Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ich liebte nur Ismenen,
      
 Ismenen liebte mich,
      
 Voll Ahndung und mit Thränen
      
 Getreu verließ ich dich. 
      
 Noch fühl ich gleiche Triebe,
      
 Nur du fliehst mein Gesicht;
      
 Beweg ihr Herz, o Liebe!
      
 Doch straf Ismenen nicht.
Wie oft hast du geschworen,
      
 Du liebtest mich allein;
      
 Es soll dein Reitz verlohren,
      
 Dein Antlitz schreckbar seyn.
      
 Doch liebst du auch Narzissen,
      
 Vergissest Schwur und Pflicht;
      
 Rührt Götter ihr Gewissen,
      
 Doch straft Ismenen nicht.
Dort unter jener Buchen,
      
 Dort nahmst du Blum und Band;
      
 Dort kam ich dich zu suchen,
      
 Und gab dir meine Hand;
      
 Dort nahmst du mit Erröthen
      
 Den Ring, den Untreu bricht.
      
 Gedanken! die mich tödten,
      
 Doch nur Ismenen nicht.
Du grubst in jene Linde
      
 Mit deinen Händen ein:
      
 Wer untreu wird, der finde
      
 Hier seinen Leichenstein;
      
 Schützt Götter, schützt Ismenen!
      
 Die selbst ihr Urtheil spricht,
      
 Mein Tod soll euch versöhnen,
      
 Nur straft Ismenen nicht. 
      
Was höre ich für Klagen?
      
 Mich rührt die treue Pflicht,
      
 Und reizet mich zu fragen,
      
 Was da mein Damet spricht?
      
 So strafet mich ihr Götter!
      
 Doch nur Dameten nicht.
Damet! was ich geschworen,
      
 Bleibt ewig unverletzt,
      
 Nie sey die Treu verlohren,
      
 Die einmal festgesetzt;
      
 Du sagest von Narzissen,
      
 Ich kenne meine Pflicht,
      
 Rührt Götter sein Gewissen!
      
 Doch straft Dameten nicht.
Dort unter jener Buchen,
      
 Wo ich die Blumen brach,
      
 Dort kam ich dich zu suchen,
      
 Wo ich dir Treu versprach;
      
 Dort schwur ich dich zu lieben,
      
 Dort sah ich dein Gesicht,
      
 Erfüllt mit zarten Trieben,
      
 Jetzt glaubst, ich lieb dich nicht?
Ich schrieb auch in die Linde
      
 Mit meinen Händen ein:
      
 Wer untreu wird, der finde
      
 Hier seinen Leichenstein. 
      
 Kein Gott soll mir verschonen,
      
 Wenn meine Treu dir bricht,
      
 Der Tod soll mich belohnen,
      
 Nur dich mein Damet nicht.
Schön ist's, wenn die Morgensonne
      
 Frisches Gold auf Berge stäubt,
      
 Und Aeternes Thau mit Wonne
      
 Aus den braunen Locken reibt;
      
 Schön ist ja Aurorens Binde
      
 Um der Stirn; gesteht es doch,
      
 Aber schöner ist Selinde
      
 Schöner ist mein Mädchen noch.
Gönnt dem Mond nur Gold und Seide,
      
 Seinen Stern und blaues Band,
      
 Denn mir blühet Lust und Freude
      
 Tausendfach im Hirtenstand.
      
 Schön steht zwar am Bach die Linde,
      
 Kenner, ach gesteht es doch!
      
 Aber schöner ist Selinde,
      
 Schöner ist mein Mädchen noch.
Wenn bey hellen Mondesscheine
      
 Philomel im Busche singt,
      
 Und der Echo durch die Haine
      
 Ihre Seufzer wiederbringt. 
      
 Schön sind die bemooßten Gründe,
      
 Dunkles Laub, gesteht es doch,
      
 Aber schöner ist Selinde,
      
 Schöner ist mein Mädchen noch.
Schön ist jede Silberwelle,
      
 Schön ist ein beschattet's Thal,
      
 Auch das Veilchen an der Quelle,
      
 Kröß und Klee am Wasserfall,
      
 Jedes Bäumchen, jede Linde
      
 Duftet Lust, gesteht es doch u. s. w.
Nymphen, Grazien und Musen,
      
 Wenn sie sich zu baden gehn,
      
 Und den leichten Schleier vom Busen
      
 Sanft enthüllen, sind zwar schön;
      
 Denn gleich buhlen sanfte Winde
      
 Um den Schoos, gesteht es doch u. s. w.
Ihre Küsse, ihre Scherze,
      
 Jeder Druck der Lilienhand,
      
 Wärmen oft mein schmachtend Herze,
      
 Daß ich einen Himmel fand.
      
 Tausend Busen, tausend Münde
      
 Sind zwar schön, gesteht es doch u. s. w.
Oftmals in dem Veilchenkranze,
      
 Giebt sie mir frisch einen Schmaz,
      
 Und für dieses Veilchen pflanze
      
 Ich ihr einen Strauß am Laz;
      
 Wüßtet ihr wie schön er stünde,
      
 Was ich sah, ach glaubt mir doch u. s. w. 
      
O sie liebet mich nicht wenig!
      
 Das ist mir ein Königreich;
      
 Bin ich nicht ein wahrer König,
      
 Und bey ihren Küssen reich!
      
 Fürsten sind im Purpur blinde
      
 Und nur arm im Glücke doch,
      
 Aber ich bei der Selinde
      
 Bin ja mehr als König noch.