Gottlieb Wilhelm Rabener
Satiren
Gottlieb Wilhelm Rabener

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Antwort.

Nein, wahrhaftig nein, mein Herr, das ist meine Religion nicht. So hoch ich Sie schätze, und so lieb ich Sie als einen meiner besten Freunde habe: so wenig kann ich mich entschliessen, als Frau im Namen Gottes mit Ihnen zu hungern. Glauben Sie mir, es geschieht nicht aus Leichtsinn, daß ich so schreibe. Sie kennen mich. So lebhaft ich bin, so ernsthaft bin ich auch, wenn ich an eine Verbindung denke, deren Folgen so wichtig sind. Ich bin überzeugt, daß Sie der rechtschaffenste Mann von der Welt sind, daß Sie mich aufrichtig lieben, daß Sie alles daran wagen würden, mich glücklich zu machen; daß unser Ehstand ein wahres Muster einer vernünftigen Ehe seyn würde; das alles weis ich. Aber, mein Herr, aus Hochachtung gegen Sie, aus wahrer Freundschaft, verstehn Sie mich wohl, aus blosser Liebe zu Ihnen, mag ich Sie nicht zum Manne haben. Glauben Sie denn, daß unser Ehstand nur vier und zwanzig Stunden dauern soll? Und glauben Sie denn, wenn man vier und zwanzig Stunden Wasser und Brodt gegessen hat, daß man sich nicht ein wenig Fleisch und Zukost wünsche? Bey einem leeren Magen kann sichs unmöglich lange zärtlich lieben. Stellen Sie Sich einmal vor, daß wir in christlichem Vertrauen auf die Vorsorge des Himmels Mann und Weib sind; daß Sie an diesem Ende der Stube sitzen, und ich an dem andern; daß Sie nichts zu essen haben, und daß mich hungert; daß ich aus Liebe zu Ihnen recht satt thue, und daß Sie aus zärtlicher Gegenliebe den Kopf traurig stützen, und unruhig nachdenken, wo Sie etwas zu essen für Ihre verhungerte Hälfte, für Ihr anders Ich hernehmen sollen: was für ein Himmel der Ehe wird dieses seyn? Je mehr wir einander lieben, je bekümmerter müssen wir seyn, wenn wir sehen, daß es uns an den unentbehrlichsten Nothwendigkeiten fehlt. Wissen Sie wohl, was ich thun würde, wenn Sie alsdann mein Mann wären? Ich würde mir die äusserste Gewalt anthun, mich alle Mittage um zwölf Uhr mit Ihnen zu zanken, mich bis aufs Schlagen mit Ihnen zu zanken, und Sie so lange zu reizen, bis Sie im Zorne zu mir sprächen: Da, verhungre Bestie! Wie ruhig wäre meine Liebe gegen Sie, wenn Sie alsdann meine Noth nicht fühlten, wenn Sie vor Aergerniß vergässen, daß Ihre liebe Frau nichts zu essen hätte, wenn ich den Kummer, unsern Mangel zu empfinden, ganz allein litte! Was wollen wir uns unser Leben so schwer machen! Der Himmel will uns alle ernähren, es ist wahr; aber das versprach der Himmel zu der Zeit, da wir noch nicht so viel brauchten, wie itzt, und da die Eitelkeit der Menschen viel tausend unnöthige Dinge noch nicht ersonnen hatte, die in der Welt, worinn wir nun sind, ganz unentbehrliche Dinge geworden sind. Noch eins fällt mir ein. Können wir durch unsre übereilte Zuversicht nicht andre auch unglücklich machen? Als ein unverheirathetes Frauenzimmer sollte ich zwar zu blöde seyn, dieses zu sagen; aber aus Furcht zu hungern sage ich alles, was mir einfällt. Mit einem Worte, ich glaube gewiß, daß es eine Art der Grausamkeit sey, wenn junge Leute sich verheirathen, ohne zu wissen, wie sie ihren Nachkommen den nothdürftigen Unterhalt, und die nöthige Erziehung geben sollen. Damit wir einander recht zärtlich und exemplarisch lieben können, sollen deswegen unsre armen Kinder verhungern, oder dem Vaterlande zur Last seyn? Wissen Sie was? Sie für sich haben zu leben, ich für mich auch; aber beyde zusammen haben wir kein Brodt. Wir wollen leben, wie bisher. Ich liebe Sie als einen vernünftigen und rechtschaffnen Freund, und Sie lieben mich als Ihre Freundinn. Dabey soll es bleiben, und wir wollen niemals eher zusammen kommen, bis wir zu Hause uns satt gegessen haben. Unser Umgang wird immer vergnügt, immer tugendhaft bleiben, und wir werden den dauerhaften Vortheil haben, daß wir bey unsrer Freundschaft nicht unruhig sind. Sind Sie mit meiner Antwort zufrieden? Wie schwer wird es mir, eine Sache auszuschlagen, die ich bey andern Umständen für mein größtes Glück halten würde! Leben Sie wohl.


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