Gottlieb Wilhelm Rabener
Satiren
Gottlieb Wilhelm Rabener

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»Seit der Zeit, daß ich mir vorgenommen habe, satirische Briefe zu schreiben, bin ich von diesem Gedanken so voll gewesen, daß fast eine jede merkwürdige Stelle, die ich in einem Buche lese, mich auf den Einfall bringt, einen Brief darüber auszuarbeiten. Eben so gieng es mir mit der Stelle in der Odyssee, wo ich durch die grausame Freundschaft des Polyphems auf eine empfindliche Art gerührt ward. Ich wünschte mir, diesen Gedanken in einem Briefe anzubringen; ich wandte meinen Polyphem auf alle Seiten herum, um eine Aehnlichkeit mit einem Manne zu finden, dessen Charakter etwas lächerliches und tadelnswürdiges an sich hätte. Endlich schuf ich mir eine gewisse Art eines ungerechten Richters. Ich bewaffnete ihn mit einiger Gewalt, Schaden zu thun; ich bauete ihm eine Höhle, aus welcher er das umliegende Land schrecken sollte; ich schaltete hin und wieder kleine Episoden ein, und endlich ward der Brief fertig, der nachsteht.

»Es ist für einen Verfasser nicht vortheilhaft, wenn der Leser gar zu genau weis, was die Gelegenheit zu einer Schrift gegeben, und wie sich ein Gedanke aus dem andern entwickelt hat. Sagt man ihm dasjenige zu zeitig, was er selbst entdecken sollte, so fällt das Unerwartete, und eben dadurch der größte Theil der Annehmlichkeit weg.

»Ich verliere bey dieser Erklärung allerdings, das sehe ich gar wohl voraus: aber ich habe diesen Schaden lieber verschmerzen, als in einen Verdacht fallen wollen, der mir noch weit empfindlicher seyn würde. Nunmehr sind meine Leser überzeugt, wenigstens hoffe ich es, daß mein ungerechter Richter nur des Polyphems wegen erdacht worden. Hätten sie das nicht gewußt, wie viel vergebne Mühe würden sie sich gemacht haben, das Original zu errathen. Hätten sie auch kein Original dazu gefunden, wie es denn nicht möglich ist, da dergleichen ungerechte Richter, wenigstens in unsern Landen, nicht sind, so würden sie doch mich nicht aus dem Verdachte gelassen haben, daß meine Satire eine persönliche Satire sey. Nun kann ich ihr Urtheil gelassen erwarten. Derjenige Leser muß sehr verstockt seyn, der dem ungeachtet glauben will, daß ein solcher Polyphem unter uns wohne.«

 

Gnädigster Herr,

Ist es möglich, daß Sie diesen Mann erst itzt haben kennen lernen? und Sie wohnen schon sechs Jahr in der Gegend, welche unter seiner Ungerechtigkeit seufzt? Aber vielleicht kennen Sie ihn noch itzt nicht einmal recht genau. Ich will ihn malen, nach dem Leben will ich ihn zeichnen. Machen Sie sich diese Entdeckung zu Nutze, und hüten Sie sich vor ihm.

Er giebt sich Mühe zu vergessen, was er gewesen ist, ungeachtet seine Aeltern sich dieses Sohnes mehr zu schämen haben, als er sich seines Vaters zu schämen hat, welcher in Armut lebt, und ehrlich ist. Er hat für gut angesehn, eine mittelmäßige Stadt zu seinem Aufenthalte zu wählen, um seine Verdienste desto merklicher zu machen. Das ist die Höhle, in welcher er die Beute verzehrt, die er in der umliegenden Gegend von etlichen Meilen zusammen raubt. Er hat so einträgliche Begriffe von der Amtspflicht, daß er gerecht ist, nur seinen Vortheil zu machen, und eben dieses Vortheils wegen zu andrer Zeit die größten Ungerechtigkeiten begeht. Der Hochmuth ist seine stärkste Leidenschaft, eine Leidenschaft, die immer diejenigen am meisten martert, welche die wenigsten Verdienste haben. Er erinnert sich noch, und sagt es allen denen, die es nöthig zu wissen haben, daß er vor zwanzig Jahren neben dem Minister auf dem Canapee gesessen hat. Er wiederholt diesen Umstand so oft, als er merkt, daß man an seiner unumschränkten Gewalt zu schaden zweifelt. Ungeachtet dieses Hochmuths ist er noch immer niederträchtig genug, Geschenke zu fodern, wenn man ihm solche nicht so geschwind, als er wünscht, entgegen bringt. Er bestimmt selbst den Werth derselben, wenn er findet, daß sie für seine Parteylichkeit ein zu geringer Lohn sind. Es ist gefährlich, von dem Preise abzugehen, den er setzt. So vorsichtig ein andrer Richter ist, um zu verbergen, daß er sich habe bestechen lassen; so mühsam ist dieser, es allen zu sagen, von denen er itzt oder künftig Geschenke vermuthen kann. Von alle dem, was sein Amt erfodert, versteht er weiter nichts, als die Kunst, das nicht zu thun, was er thun soll. In seiner Jugend war es in verschiednen Häusern noch Mode, daß vornehme Leute mit der Religion leichtsinnig scherzten, daß sie in ihrem Amte sich aus Bequemlichkeit auf den Fleiß ihrer Untergebnen verliessen, von schönen Wissenschaften verächtlich sprachen, und in den artigsten Gesellschaften auf eine unflätige Art witzig waren: Er ist beynahe der einzige, der diese pöbelmäßige Mode noch beybehalten hat. Mit der Religion scherzt er leichtsinnig, weil er sich Mühe giebt, den traurigen Gedanken von der ernsthaften Folge einer Religion zu seiner innerlichen Beruhigung zu überwältigen. Seine Untergebnen haben die ganze Last des Amts bey einem geringen Unterhalte auf sich, weil er zu ungeschickt ist, es selbst zu verwalten. Ich kenne niemanden, dem es natürlicher läßt, von den schönen Wissenschaften verächtlich zu sprechen, als ihm, weil niemand natürlicher dumm ist, als er. Die unflätige Sprache ist seine Muttersprache. Er ist stark darinnen, noch stärker, als sein Gesinde. Von diesem Witze ist er ein wahrer Kenner, den weis er zu schätzen. Die Thränen eines nothleidenden Unterthanen rühren ihn bey weitem so nicht, als eine unerwartete Zote; mit dieser kann man ihn gewinnen. Er hat einen Advocaten in seiner Pflege, welcher bey einem jeden neuen Processe auf neue Unflätereyen sinnt, und so glücklich ist, durch diesen Witz einen beyfälligen Richter zu behalten. So grausam er gegen die Unterthanen seines Fürsten ist, so ein harter Vater ist er auch. Er hat sich zum drittenmale verheirathet, und, welches bey ihm fast unglaublich ist, er hat zum drittenmale eine vernünftige Frau bekommen. Wie glücklich wäre diese Elende, wenn er zum drittenmale zum Wittwer würde! Sie hat es einmal gewagt, die Thränen einer gedruckten Gemeine sich bewegen zu lassen, und für sie zu bitten; dieses Mitleiden findet er so widernatürlich, daß er es sie noch itzt empfinden läßt. Seine Kinder sind so tugendhaft und vernünftig, daß sie wohl verdienten, seine Kinder nicht zu seyn. Wären sie ihm ähnlicher, so würde er sie mehr lieben.

Glauben Sie wohl, Gnädiger Herr, daß man, dieses häßlichen Charakters ungeachtet, dennoch fast eine Stunde lang mit Vergnügen in seiner Gesellschaft seyn kann? Wirklich kann man es so lange seyn; aber man muß sich seiner Schwäche zu bedienen wissen. Ich habe es versucht. Ich ließ mich bey ihm melden, als ein Mann, der die Ehre zu haben wünschte, ihn kennen zu lernen, und ihm seine unterthänige Aufwartung zu machen. Er nahm mich an, nachdem mich sein alter Bedienter, welcher Kutscher, und Gärtner, und Koch und Schreiber zugleich war, an der Treppe empfieng, und im Pompe durch drey große Säle, eine Küche und zwo Vorrathskammern in das Cabinet zur Audienz führte, wo ich dieses Geschöpfe, das theure Schrecken seiner Bauern, und die Geißel der Gerechtigkeit, in prächtigem Schlafpelze am Pulte sitzend fand. So dick er ist, denn seine schweren Berufsarbeiten haben ihm immer noch Zeit gelassen, fett zu werden: so geschwinde sprang er auf, bedauerte, daß er in seinem Nachtkleide überrascht ward, warf zween große Stöße Acten über den Haufen, die er seit vielen Jahren zur Parade neben sich stehen, und seit vielen Jahren über den Haufen geworfen hat, gieng mir mit einer großen geschäfftigten Miene entgegen, und empfieng mich mit Huld und Gnade. Sie können wohl glauben, daß bey einem solchen Auftritte kein Compliment natürlicher ist, als dieses, daß man die Freyheit entschuldigt, die man sich genommen hat, einen Mann von solchen Geschäfften zu stören. Er nahm es mit der lächelnden Miene an, mit der eine alte Jungfer widerspricht, wenn man ihr die Schmeicheley macht, daß sie schön sey. Sein linker Arm hieng nachläßig über das Schreibepult, und die Finger waren geschäfftig, in verschiednen Schreiben und Suppliken zu wühlen. Er seufzte über sein Amt, über den Anlauf der Leute, über die vielen herrschaftlichen Arbeiten ex officio. Ich war in allem seiner Meinung, und seufzte ergebenst mit. Dieses machte, daß er sein Herz zu mir herab neigte, und mir nach verschiednen wichtigen Unterredungen endlich von großen Veränderungen im Staate ganz im Vertrauen einen Wink gab. Ein Brief von Seiner Excellenz – – mehr durfte er nicht sagen. Ein Hofmann, wie er, sagt alles nur halb, und denkt gar nichts dabey! In der That wies er mir von ferne einen Brief, und ließ mich sehr vorsichtig weiter nichts lesen, als Hochedelgebohrner, Hochgelahrter. Mit einem male verschloß er ihn ins Pult, brach ab, und sahe mir steif in die Augen. Ich antwortete ihm mit einem beredten Achselzucken, schlug die Augen in die Höhe, und lächelte. Wir verstunden beyde einander; er, daß ich seine Einsicht in das Zukünftige des Staats bewunderte, und ich, daß er ein Narr war. Nach einer landesverrätherischen Pause von zwo Minuten, nahm er mich bey der Hand, und sagte: Seria in crastinum! und sagte mir vielleicht damit sein ganzes Latein. Womit kann ich Ihnen dienen? mit Ungarischem Weine? Mit Champagner? mit Burgunder? Mit Burgunder doch wohl am liebsten. Burgunder, Johann, vom besten, geschwind! rief er seinem Bedienten zu, der von ferne an der Thüre stand, und sich die Haare auskämmte. Er kam. Burgunder? Nein, Gnädiger Herr, ein rother Landwein. Ich trank ihn als ein wahrer Patriot, und schlurfte ihn so prüfend durch meine Zähne, als der Schmarozer kaum thut, welcher gegen Sie, Gnädiger Herr, niemals mehr Ehrfurcht bezeigt, als wenn Sie Burgunder und Austern haben. Bey dem ersten Glase nöthigte er mir eine Schmeicheley ab, die mir nicht schwer ward, weil ich mich darauf gefaßt gemacht hatte; bey dem zweyten erzählte er mir den ganzen Umfang von seinem Amte, und seufzte noch einmal darüber, daß er ein schweres Amt hätte. Ein sehr vergebner Seufzer! denn, wenn es ihm schwer wird, so geschieht es gewiß nur alsdann, wenn er Jemanden glücklich machen soll. Und in diese Umstände setzt er sich sehr selten, oder er muß wenigstens die Hälfte von dem Glücke zu genießen haben. Bey dem dritten Glase rühmte er die Gnade, die das Ministerium für ihn habe. Das Canapee ward nicht vergessen. Bey dem vierten Glase versicherte er mich seiner Freundschaft. Verlohnte diese Versichrung wohl die Mühe, vier Gläser sauern Landwein zu trinken? Ich verbat mehrern Wein, und schützte den Gehorsam vor, den ich meinem Arzte schuldig wäre, einen Gehorsam, von dem mein Arzt nichts weis. Er beschäfftigte sich noch fast eine halbe Stunde mit seiner Größe, und beschloß den letzten Aufzug mit ein paar artigen Unflätereyen. Ich stund von meinen Stuhle auf, und entflohe seinem Witze und seinem Weine!

Hätten Sie mir wohl so viel Geduld zugetraut, Gnädiger Herr? In der That habe ich sie gehabt, und habe sie eine Stunde lang mit Vergnügen gehabt; dennoch will ich Ihnen nicht rathen, mir es nachzuthun. Da ich nicht in der geringsten Verbindung mit ihm, und mit seinem Amte stehe, so war er mir erträglich. Ihnen hingegen wird er es nicht seyn, und Sie wird er eine gewisse Hoheit empfinden lassen, die seine Dummheit ehrwürdig machen soll. Am wenigsten wagen Sie es itzt, da Sie in den unglücklichen Proceß gerathen sind. Bisher hat er Sie geschont, oder schonen müssen; nun sieht er Sie als ein Opfer an, das von seiner Hand sterben soll, das für ihn geschlachtet wird. Ich bin gar nicht mit dem Einfalle zufrieden, den Sie gehabt haben, ihn mit dem Eymer Wein zu besänftigen. Dadurch machen Sie ihn nicht menschlich, nicht billig; wenn es hochkömmt, erlangen Sie von seiner Ungerechtigkeit nur eine kurze Frist. Polyphem war im Begriffe, den Ulysses mit seinen noch übrigen Gefährten zu fressen. Ulysses gab ihm von seinem göttlichen Weine. Der ungerechte Cyclop trank davon, er lobte den göttlichen Wein; dreymal trank er davon, und sagte zum Ulysses: Dein Wein ist vortrefflich, mein Freund, dich will ich zuletzt fressen! Hätten Sie wohl geglaubt, Gnädiger Herr, daß sich mein Brief so pedantisch schließen sollte? Ich bin mit beständiger Hochachtung u. s. w.


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