Gottlieb Wilhelm Rabener
Satiren
Gottlieb Wilhelm Rabener

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Gnädige Frau Hofräthinn,

Ich muß Ihnen ein Anliegen eröffnen, welches ich gegen Sie am sorgfältigsten verschweigen soll! wenigstens hat man mir ausdrücklich verboten, Ihnen etwas davon zu sagen. Es ist mir unmöglich, diesem Verbote nachzuleben. Die Sache ist für mich zu wichtig, sie allein zu überlegen; und ich befürchte, meine Freundschaft und mein Zutrauen gegen Sie zu beleidigen, wenn ich Ihnen aus einer Sache ein Geheimniß machen wollte, auf die meine Ruhe und mein ganzes Glück anzukommen scheint. Lesen Sie den eingeschloßnen Brief von Ihrem Herrn Vater. Werden Sie sich nunmehr wohl noch wundern, daß ich gestern Abends so unruhig, und ganz ausser mir war! Was soll ich auf diesen unerwarteten Antrag antworten? Meine Glücksumstände sind allerdings nur mittelmäßig. Man zeigt mir eine Gelegenheit, solche auf eine ansehnliche Art zu verbessern. Der Rang, zu welchem man mich erheben will, ist vielleicht nicht eine von den geringsten Bewegungsursachen; wenigstens ist er in dem Briefe die erste, auf die man mich weist. Soll ich alles dieses abschlagen, und mir doch nicht den Vorwurf eines unvernünftigen Eigensinns zuziehn, vor welchem man mich stillschweigend zu warnen scheint! Wird man in der Ehe dadurch glücklich, daß die Person, die man wählt, den Charakter eines rechtschaffnen Mannes vor den Augen der ganzen Welt behauptet; so kann man sich gewiß nicht glücklicher verheirathen, als mit Ihrem Herrn Vater. Was soll ich thun? Sollte mich nicht meine Jugend noch entschuldigen, an ein so ernsthaftes Bündniß zu denken, als die Ehe ist? Werde ich aber diese Entschuldigung brauchen können, ohne in den Verdacht zu kommen, daß mir die hohen Jahre Ihres Herrn Vaters den Antrag zuwider gemacht haben? Ein Verdacht, der mir um deswillen doppelt empfindlich seyn muß, weil er den Muthwillen junger Leute zu Spöttereyen reizen, bey Ihrem Herrn Vater aber die Achtung ganz vertilgen wird, die er gegen mich, ohne daß ich es verdiene, zu haben scheint. Kann ich hierbey wohl gleichgültig bleiben, da mir so viel daran gelegen ist, das Wohlwollen eines Mannes zu erhalten, der den Ruhm eines billigen, eines vernünftigen, eines einsehenden Mannes sich seit so langen Jahren eigen gemacht hat? Nehme ich aber den Antrag an, wie sehr stelle ich mich den bittern Beurtheilungen der Welt bloß! Wird man mir wohl das Recht wiederfahren lassen, daß ich ihm meine Hand gegeben, weil er ein billiger, ein einsehender, ein vernünftiger Mann ist, oder wird man nicht vielmehr glauben, daß der Eigennutz mich bewogen, einen Schritt zu thun, von dem mich nach dem Urtheile der richtenden Welt meine Jugend, und sein Alter hätten zurückhalten sollen? Wie unglücklich wäre ich, Gnädige Frau, wenn ich mir itzt bey dieser Unentschlüßigkeit nicht Ihren freundschaftlichen Rath versprechen könnte? Als Schwester liebe ich Sie itzt, Gnädige Frau. Nehme ich das Anerbieten Ihres Herrn Vaters an, was soll ich unsrer Liebe alsdann für einen Namen geben, ohne daß er bey meinen jungen Jahren lächerlich wird? Gewiß, daran darf ich nicht denken; ich schäme mich vor mich selber. Ich glaube itzt den Brief von Ihrem Vetter besser zu verstehn, als ich ihn gestern Abends verstand, da ich Ihnen solchen zu lesen gab. Vielleicht ist ihm schon etwas von der Sache bekannt, und eine dergleichen Handlung von einem Großvater kann einem Enkel allerdings nicht gleichgültig seyn, wenn er auch auf weiter nichts sieht, als auf den Verlust eines Theils der gehofften Erbschafft. Ich habe verschiedene Ursachen, Sie zu bitten, daß Sie gegen ihn weder von dem Antrage des Herrn Vaters, noch von meinem Briefe etwas gedenken. Wir wollen ihm eine Unruhe ersparen, welche vielleicht vergebens seyn würde. Beschleunigen Sie Ihre Antwort, Gnädige Frau. Ich werde nicht eine Minute ruhig seyn, bis ich solche habe. Rathen Sie mir, aufrichtig rathen Sie mir, und, wo möglich, so, wie ich wünsche. Ihr Rath soll den Ausspruch thun. Setzen Sie sich an meine Stelle. Was würden wohl Sie thun? Ich bin &c. &c.


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