Gottlieb Wilhelm Rabener
Satiren
Gottlieb Wilhelm Rabener

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Eine

Todtenliste

von Nicolaus Klimen,

Küstern an der Kreuzkirche zu Bergen

in Norwegen.S. Bel. des Verst. und Witzes, im Hornung 1743.

 

 

Ich habe unter dem Büchervorrathe meines Vaters den Aufsatz gefunden, welchen ich itzt meinen Lesern mittheile. Unser berühmter Klim hat ihn geschrieben; ich kenne seine Hand genau, und es wird wohl niemand zweifeln, daß es seine eigne Arbeit sey, wenn man nur dieses bedenken will, daß er ein Mann war, welcher auf seinen unterirrdischen Reisen die Gemüther der Menschen vollkommen einsehen gelernt hatte. Als Küster besaß er noch eben die Fähigkeiten, durch welche er sich als Kaiser in Quama ansehnlich und beliebt gemacht hatte. Ich berufe mich auf seine unterirrdische Reisebeschreibung, in welcher man die deutlichsten Spuren finden wird, daß er als ein Philosoph gedacht hat.

Gegenwärtiger Aufsatz ist ein Verzeichniß unterschiedner Personen, welche Zeit seines Küsteramts in Bergen gestorben sind. Er sagt von einer jeden seine Meinung, und die Liebe läßt uns hoffen, er werde in seinen Charakteren unparteyisch gewesen seyn. Es wäre zu wünschen, daß in allen Städten dergleichen Todtenlisten gehalten, und beym Schlusse des Jahres zum Drucke gegeben würden. Hierdurch erlangte man Gelegenheit, viele seiner Mitbürger nach ihrem Tode besser kennen zu lernen, als man sie in ihrem Leben gekannt hat. Manche werden auf den Kanzeln als hochedle, hochgelahrte, hochweise, ehrsame und tugendbelobte abgekündigt, welche bey ihrer Unwissenheit, bey ihrer niederträchtigen und lächerlichen Aufführung, keinen von diesen Titeln verdient haben. Es ist unbillig, daß wir denjenigen im Grabe loben, welcher sich auf der Welt um einen guten Namen nicht bekümmert hat. Durch eine Todtenliste von der Art, wie gegenwärtige ist, würden wir die Ehre der Wahrheit retten; und ich zweifle nicht, daß unsre Bürger dadurch wenigstens eben so sehr erbaut werden dürften, als durch die jährlich gedruckten Nachrichten, wie viel Communicanten gewesen, oder unehliche Kinder geboren worden. Ich will es dem Urtheile der Leser überlassen, ob meine Hoffnung gegründet sey. Vielleicht bedauern sie mit mir, daß gegenwärtige Liste nicht vollständig, sondern durch die Unachtsamkeit der klimischen Erben der Anfang, und vermuthlich ein großes Stück davon verloren gegangen ist.


Bergen in Norwegen,
am 10/21 des Wintermo-
nats 1742.

B. Abelinson.

–   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   hochmüthig,   –   –   –   –   –   –   –   –   –   geizig; er hatte es aber lediglich dem ehrwürdigen Ansehen seines langen Rocks zu danken, daß niemand an ihm diejenigen Fehler tadelte, welche an andern würden unerträglich gewesen seyn.

Gustav Trolle. Durch den Tod dieses Mannes verlor unsre Stadt mehr, als sie glaubte. Er war ein Dichter von einem ehrlichen Gemüthe; er nahm jederzeit an dem Glücke und Unglücke seiner Mitbürger vielen Antheil, und wünschte allen Leuten Gutes. Seine Feinde nannten ihn nur spottweise den Gratulanten. Kein Namenstag oder Geburtstag ward begangen, an welchem er nicht gedruckte Merkmaale seiner Ehrfurcht überreichte. Unaufhörlich ließ er die Häuser seiner Gönner und Freunde mit Freude und Wonne überschatten; und wenn der Himmel seine christlichen Wünsche erhört hätte, so würden alle Rathmänner in Bergen, vom Bürgermeister an bis auf den Stadtschreiber, wenigstens Nestors Jahre erreichet haben. Bey jedem Todesfalle tauchte er seinen Kiel in bittre Salsen und herben Wermuth ein. Er schien ganz untröstbar über den Tod des Capellans, welcher drey Vornamen hatte, und also dem Berufe unsers Dichters sehr einträglich war. Die Musen unterhielt er in beständiger Bewegung. So bald er die Feder eintunkte, so bald stunden sie alle neune auf seinem Zeddel. Sie hatten auch Ursache, gehorsam zu seyn; denn es war ein sehr hitziger Mann. Wenn sie nicht gleich kamen, und ihm bey seiner sauren Arbeit vorspannten; so schimpfte er so lange auf sie, bis der Bogen voll war. Er machte ein Sinngedichte auf mich, als ich zum Küster an der Kreuzkirche erwählt ward; es war wenigstens acht Groschen werth, und ich und meine Frau haben es niemals ohne Thränen durchlesen können. Bey Hochzeitgedichten war er sehr scherzhaft. Der Name des Bräutigams oder der Braut mochte noch so verwirrt klingen, so wußte er ihn doch so lange herum zu zerren, bis er in demselben einen Gedanken fand, der sich zur Wiege schickte. Die Deutschen haben ihm die Erfindung der Leberreime zu danken, welche er, zum erstenmale an des Stadtschulzens Geburtstage, aus dem Stegreife machte, da er so trunken war, daß er von seinem Verstande nichts wußte. Er war weder eigennützig, noch geizig, und für sechzehen Groschen schüttete er sein ganzes Herz aus. Er starb auch in großer Armuth, und hinterließ nichts, als einen Lorbeerkranz, und einen zerrißnen Mantel.

Suante Stuve, verwaltete das Stadtschulzenamt zwanzig Jahre lang; seine Frau aber hatte das Directorium actorum. Diese machte auch die Abschiede, und die Parteyen mußten in ihrer Küche gegen einander verfahren. Wer daselbst nicht erschien, der ward sachfällig; wer aber den größten Braten schickte, der hatte das größte Recht. Schienen die Sachen gar zu zweifelhaft zu seyn, so mußten die Parteyen würfeln; derjenige gewann den Proceß, der die meisten Augen warf. Der Stadtschreiber war sein Schwiegersohn, und hatte bey ihm freyen Tisch.

Peter Brahe, ein witziger Kopf, ein Wunder der spielenden Natur, ein Greis von zwanzig Jahren. Alles war frühzeitig an unserm Brahe. Schon im siebenten Jahre war er klüger, als seine Aeltern und Lehrmeister; im vierzehnten verwickelte er sich in gelehrte Streitigkeiten, und schrieb kritische Anmerkungen über die philosophischen Bücher seiner Zeit, welches in Norwegen einen großen Lärmen machte. Er war heftig in seinen Meinungen, in seiner Schreibart spöttisch, und wenn ihn sein Witz überfiel, welchem Uebel er oft ausgesetzt war, so schonte er keinen Menschen. Auf seinen leiblichen Vater machte er Satiren. Er hatte eine so herzliche Neigung gegen sich und seine Einfälle, daß er sich lieber würde den Staupbesen haben geben lassen, als einen artigen Gedanken auf seinem Herzen und Gewissen behalten wollen. Er schrieb einen zierlich gedruckten Vers, welcher aber dem geneigten Leser schwerer zu verstehen war, als ihm zu machen. Die Prosodie war sein Leibstudium nicht, und die Grammatik für seine hohe Gelehrsamkeit zu niedrig. Im zwanzigsten Jahre spürte er eine merkliche Abnahme seines Verstandes, und ward so kindisch, als ein Greis von neunzig Jahren. Man glaubt, er habe sich damals selbst gefühlt, und sein herannahendes Ende vermuthet; dieses will man aus einer Ode schließen, welche er unter dem Titel eines Schwanengesangs der Nachwelt hinterlassen, und worinnen er von seiner muthwilligen Leyer Abschied genommen hat. Er starb auch wirklich kurz darauf, und hinterließ eine große Anzahl Titel zu Büchern, die er hat schreiben wollen.

Gustav Gripp, ein Rathmann, und eine gutherzige Seele; er hat in seinem Leben nicht widersprochen, und sagte zu allem, ja. Nirgends schlief er sanfter, als auf der Rathsstube, besonders wenn die Rechtshändel vorgetragen wurden. Kam die Reihe an ihn, sein Gutachten zu sagen; so weckte ihn sein Nachbar auf, und alsdann votirte er allemal, wie der regierende Bürgermeister.

Hans Erichson, ein fleißiger Mann. Er war in Sammlung und Lesung alter Bücher unermüdet, lebte in seiner Studierstube zwey und siebenzig Jahre, und ward nach seinem Tode nicht vermißt, weil er in seinem Leben der Welt mit nichts genutzt hat. Unter seinen Papieren hat man einen Aufsatz gefunden, welcher den Titel führet: Unumstößlicher Beweis, daß ein gründlich Gelehrter nicht für andre Leute, sondern nur für sich erschaffen sey.

Hugo Alricus, ein geschickter Arzt. Wer unter seinen Händen starb, der starb dogmatisch. Er konnte aus dem Uringlase besser wahrsagen, als ein Zigeuner aus der Hand. Wenn er jemanden an den Puls fühlte, so war dieses ein sichres Zeichen eines herannahenden Todes. Er war Leibmedicus von allen denen, welche alte geitzige Wittwen, oder solche Weiber hatten, die sich nicht wieder aus der Welt finden konnten, und er verwaltete sein Amt redlich. Alle seine Patienten curirte er auf griechisch; wie ich denn nachgerechnet habe, daß binnen dreyen Jahren über vierhundert Leute am Hippocrates gestorben sind. Man kann leicht glauben, daß die Geistlichkeit, ich, der Küster, und andre Todtengräber, diesem fleißigen Manne viel zu danken haben.

Christian Tywede hatte auf der hohen Schule zu Abo seine Wissenschaften erlernet, war von einem unersättlichen Hochmuthe, und doch dabey geitzig, in seiner Freundschaft unbeständig, gegen Vornehme niederträchtig, gegen Geringe tyrannisch, in allen Arten wollüstig, in seiner Religion leichtsinnig, im übrigen aber ein Philosoph.

Claeß Horn, war ein Sohn des reichen Johann Horns, und ein Enkel des berühmten gelehrten Elrich Horns Ich nenne seine Vorfahren um deswillen, weil sein eigner Name nicht gar zu bekannt ist. Er hatte einen natürlichen Abscheu vor aller Arbeit. Seine Tugenden bestunden in zehn tausend Thalern Einkünften. Hätte ihn die weise Vorsehung nicht mit diesem Vorzuge begabet; so würde er seinem Vaterlande zur Last gereichet haben. Seine Berufsarbeit war diese, daß er aus dem Bette aufstund, und sich wieder niederlegte. Er lebte neun und funfzig Jahre; zieht man aber davon diejenige Zeit ab, in welcher er schlief, so hat er sein Alter nicht höher, als auf neunzehen Jahre, gebracht. Man muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er einsah, wie wenig Antheil er an dem Vermögen hatte, welches nicht er, sondern seine Vorältern durch ihren Fleiß verdient. Um deswillen betrachtete er sich nicht anders, als einen Verwalter fremder Güter, von welchen er einmal Rechnung ablegen müßte. Was er in seiner höchsten Nothdurft brauchte, das nahm er davon; weiter nichts. Hätte er durch sein Vermögen nothleidenden Freunden unter die Arme greifen sollen; so würde er dieses für einen Eingriff in fremde Güter angesehen haben. Endlich starb er, und hinterließ seine Schätze einem Vetter, welcher unserm Horn die Augen mit Freuden zudrückte. Seinem letzten Willen zu Folge mußte ihm ein Leichenstein gesetzt werden, auf den dasjenige kommen sollte, was er in seinem Leben rühmliches gethan hatte. Es steht also weiter nichts darauf, als dieses, daß er gestorben sey.

Nilson Scribbens. Dieser gelehrte Mann hatte eine ganz besondre Natur. Unter andern war es merkwürdig, daß bey ihm seine Gelehrsamkeit den Sitz im Magen hatte. So bald ihn hungerte, so bald fieng er auch an Bücher zu schreiben. Aus der Größe seiner Schriften konnte man deutlich abnehmen, wie lange er gefastet hatte. Ein Tractätchen von zweyen oder dreyen Bogen war ein untrügliches Merkmaal, daß er binnen vier und zwanzig Stunden nichts zu essen gehabt, und wenn der Hunger recht nagend war, so schrieb er auch Werke zu ganzen Alphabeten. In der großen Teurung im Jahre 1689 schrieb er die Universalchronike aller Nordscheine, welche sich seit dem Tode König Knuts hatten sehen lassen, in zwölf Bänden, groß Quart, mit Figuren, nebst einer Vorrede wider die unbußfertigen Atheisten. Dieses gelehrte Werk fängt schon an, rar zu werden, weil es gleich in den ersten Jahren stark verbraucht worden ist.

Johann Kyle, ein Advocat und geübter Mann, welcher alle casus in terminis gehabt hatte. Seinen Clienten konnte er es gleich an den Kleidern ansehen, ob sie gerechte Sache hatten, oder nicht. Die Armen ermahnte er sehr ernstlich zum Frieden, und schlug ihnen seinen Beystand schlechterdings ab; denn sie hatten kein Geld und folglich Unrecht. Wessen er sich aber einmal annahm, den verließ er nicht, so lange derselbe noch einen Groschen im Beutel hatte. Sein größter Vortheil bestund im Schwören. Er war auch selbst vermögend, in einem Athem drey falsche Eide zu thun. Er verstund sich sehr wohl auf die Kunst, Zeugen zu machen. Der Schelmen und Diebe nahm er sich recht väterlich an, und wessen Sache er vertheidigte, den redete er gewiß vom Galgen los.

Steen Dalekerl, ein gelehrter Renomist. Er war ein Todfeind von allen denen, welche nicht so dachten, als er. Kein Gelehrter durfte sich blicken lassen, den er nicht mit der Feder in der Faust anfiel. Eigentlich hatte er sich auf nichts gelegt; aber eben um deswillen glaubte er, er sey geschickt, alles zu beurtheilen, es möchte seyn, aus welcher Disciplin es wollt. Er war aus Northolm gebürtig, und hielt alle diejenigen für Idioten, welche nicht aus Northolm waren. Besonders in Druckfehlern hatte er eine starke Einsicht, worüber er sich oftmals sehr lustig machte. In seiner Schreibart war er so spöttisch, wie ein Bootsknecht, und konnte schimpfen wie ein Kunstrichter. Hätten ihn die unterirrdischen Einwohner der Stadt Keba gehabt; so würde er auf ihrem gelehrten Kampfjagen der beste Masbakus gewesen, und wenigstens für dreyßig tausend Ricatu verkauft worden seyn.

Ursel Sigrid. Wollte künftig jemand die Gemüthsbeschaffenheit dieser Frau beschreiben, der würde in einer Person so viel verwirrte, und einander entgegen laufende Charaktere finden, daß es unmöglich scheint, dieselben aus einander zu wickeln, wofern man nicht in ihrem Lebenslaufe besonders drey Zeitpunkte fest setzt.

Der erste geht bis in ihr dreyßigstes Jahr. Was die Ausländer galant, und wir nach unsrer einfältigen Muttersprache verbult nennen, das fand man damals in der größten Vollkommenheit an ihr. Ihr Haus wimmelte von jungen Herren, die daselbst zusammen kamen, ihre verliebte Andacht zu verrichten, welche in einer sehr strengen Abgötterey bestund. Sie ließ sich anbeten, und schien doch unempfindlich dabey zu seyn. Man mochte sie einen Tieger, oder einen Engel, ihre Augen Sonnen oder donnerschwangre Wolken heissen, ihre Brust mit hartem Marmor, oder mit kaltem Schnee vergleichen; bey allem that sie gleichgültig. Die Seufzer ihrer Anbeter bewegten sie nicht; sie sah dieselben als einen Tribut an, welchen ihr ihre Sklaven schuldig wären, und diese hielten es schon für ein großes Glück, wenn sie nur in ihrer Gegenwart seufzen konnten. Viele brachte diese angenommene Sprödigkeit beynahe zur Verzweiflung. Sie schwuren, daß sie nicht länger leben wollten, redeten von Gift und Dolch; sie leben aber noch alle, dem Himmel sey Dank, bis auf diese Stunde frisch und gesund. Man wird an dieser Erzählung keinen Zweifel tragen, wenn ich versichre, daß ich in meiner Jugend selbst einer von denen gewesen bin, welche unter diesen verliebten Fesseln geschmachtet haben. Ich will glauben, daß mir dieses Geständniß eben nicht zur Ehre gereicht; vielleicht aber wird man mich entschuldigen, wenn man bedenkt, daß ich damals noch nicht Küster an der Kreuzkirche, sondern nur ein junger Mensch und Baccalaureus der Philosophie war. Der Umgang, den ich auf Schulen mit griechischen und lateinischen Frauenzimmern gehabt hatte, wirkte in mir die gewisse Zuversicht, die norwegischen Schönen würden eben sowohl mit sich reden lassen, als jene. Ich wählte bey meiner ersten Anrede an dieselbe die zärtlichste Stelle aus dem Anakreon; es schien aber nicht, als würde sie dadurch sehr gerührt. Ich strich meine Verdienste heraus, und erzählte ihr, daß ich drey Disputationen von den Pantoffeln der alten europäischen Völker gehalten hätte; dennoch blieb sie gleichgültig. Ich wieß ihr die Zeugnisse, welche ich in Copenhagen, meines Fleißes und meiner Gelehrsamkeit wegen, von der philosophischen und tbeologischen Facultät bekommen hatte: Allein, ich glaube, ich würde den Greif, welcher mich auf den Planeten Nazar riß, eher dadurch bewegt haben, als die Unempfindliche. Ich beschwur sie bey dem Rocken der Parcen, sie möchte mit mir Erbarmung haben; aber umsonst. Sie nannte mich einen Schulfuchs, und dieser Name war mir so unerträglich, daß ich halb rasend von ihr gieng. Kurz darauf geschah es, daß ich in die Gruft fiel, welche mich bekannter maßen zu den unterirdischen Einwohnern brachte. Diesen Umstand führe ich um deswillen hier an, weil er die wahre Ursache meiner damaligen Tiefsinnigkeit ist, welche ich nicht einmal den redlichen Abelin, und meinem guten Freunde, Magister Eduarden, vertraute. denn ich schämte mich, wie ein Gelehrter, wenn er einen lateinischen Donatschnitzer gemacht hat. Ich komme wieder auf unsre Sigridinn. Diese bezeigte Grausamkeit war ihrer Natur so sehr zuwider, als der Abschied vieler von ihren Anbetern. Ihr Herz war eben so wohl von Fleisch, als die Herzen andrer Frauenzimmer. Allein, Seufzer, verliebte Flüche, zärtliche Verzweiflungen und Disputationen von Pantoffeln, waren freylich die Mittel nicht, durch welche man dieselbe gewinnen konnte. Ein Band, ein Kopfputz, eine neue Mode aus Hamburg konnte diese Spröde so zahm machen, als ein Lamm. Ich verschweige es nur aus Hochachtung gegen meine ehemalige Schöne, und kraft tragender Amtspflicht, was ich in unserm Kirchenbuche gefunden habe. Der hollsteinische Edelmann ist noch vielen bekannt; er hätte freylich sein Wort halten sollen; doch hat er auch allemal bezahlt, als ein ehrlicher Cavalier. Doch genug! Wäre ich nicht Küster, so dürfte ich mehr reden.

Was ich bisher erzählt habe, das macht den Lebenslauf meiner Heldinn bis in ihr dreyßigstes Jahr aus. Nunmehr kömmt der andre Aufzug, und die Rolle, welche sie darinnen bis in ihr vierzigstes Jahr gespielt hat, ist nicht weniger merkwürdig, als die vorige. Mich dünkt, das dreyßigste Jahr sey bey der Schönheit dasjenige, was im menschlichen Leben das große Stufenjahr heißt. Man wird wenig Schönen finden, welche dasselbe überleben; ich beweise dieses mit dem Exempel unsrer Sigridinn. Um diese Zeit verlohr sich das Feuer ihrer Blicke, welches so viele Herzen in Flammen gesetzt hatte. Ihre Anbeter verschwanden mit ihren Reizungen; man konnte sie ansehen, ohne den Verstand zu verlieren, und wenn sie gleich unempfindlich that, so wollte doch niemand verzweifeln. Nunmehr kam die Reihe zu seufzen an sie. In öffentlichen Gesellschaften war sie bemüht, den Rest ihrer Reizungen an den Tag zu legen, um wenigstens einen zu gewinnen, der ihr diejenigen Schmeicheleyen vorsagte, deren sie seit langen Jahren gewohnt war; aber umsonst. Man rechnete sie unter die galanten Alterthümer, welche man nicht ansehen kann, ohne an die Flüchtigkeit der Zeit zu gedenken. Diese bezeigte Kaltsinnigkeit machte sie unruhig; sie suchte ihren Zweck zu erlangen, es möchte auch kosten, was es wolle. Ihre verstellte Sittsamkeit verlor sich gänzlich; ihre Blicke wurden frech, ihr Umgang unverschämt; sie suchte dasjenige mit Sturm zu erobern, was sie nicht mit List hatte erlangen können. Nunmehr fieng sie an, verächtlich zu werden. Ein Dichter, welcher ehedem ihr zu Ehren alle Gestirne und Mineralien in seinen Versen verschwendet hatte; dieser leichtsinnige Dichter war so boshaft, daß er sie die Chronike von Bergen nennte, und ihre ungezähmte Aufführung dergestalt lächerlich machte, daß die ganze Stadt mit Fingern auf sie zeigte, und sie nur die verliebte Alte hieß.

Die allgemeine Verspottung brachte sie in diejenigen Umstände, in welchen sie bis an ihren Tod geblieben ist. Sie sah sich in ihren Absichten betrogen, und hatte alle fleischliche Hoffnung verloren; deswegen gerieth sie in Verzweiflung und ward fromm. Die Welt, die abtrünnige Welt, schien ihr ein Abscheu, und eine Mördergrube zu seyn; sie seufzte, wenn sie ein schönes Frauenzimmer sah, sie eiferte wider die unschuldigsten Gefälligkeiten, die man artigen Personen erzeigte; denn dieses, sagte sie, sey der gerade Weg zur Hölle. Reinlichkeit und Putz hielt sie für Eitelkeit, und Lockungen des Satans. Die Haare stunden ihr zu Berge, wenn sie tanzen sah. Schwefel und Pech würde das geringste gewesen seyn, das sie auf diese verstockte Rotte würde haben herabfallen lassen, wenn sie im Himmel etwas zu befehlen gehabt hätte. Nach ihrer Meinung war der jüngste Tag vor der Thüre, als um selbige Zeit die Weiber einiger Rathmänner in Bergen anfiengen, die sündlichen Fontangen zu tragen. Von keinem Menschen redete sie Gutes, und verdammte die ganze Stadt, besonders aber das Frauenzimmer bey lebendigem Leibe. Widerfuhr jemanden ein Unglück an seinem Körper oder an seiner Nahrung; so waren dieses allemal augenscheinliche Zorngerichte, welche über das böse Geschlecht hereinbrachen. Den Dichter, welcher, wie ich gedacht habe, an ihrer andächtigen Verwandlung die vornehmste Ursache war, sah sie schon in der Hölle brennen, und er sollte schlechterdings nirgends anders, als auf dem Misthaufen, sterben; denn er war ein Greuel vor ihren Augen. Auf der Welt wollte niemand mehr auf sie sehen; darum sah sie beständig gen Himmel. In Gesellschaften mochte sie niemand haben; darum gieng sie einsam, und verschloß sich in ihr Kämmerlein, und beseufzte vor ihrem Spiegel die Hinfälligkeit aller Dinge. Sie starb endlich alt und lebenssatt, und hinterließ in den Nasen ihrer Mitschwestern einen starken Geruch der Heiligkeit. Thue ich ihr durch diese Erzählungen zu viel, so bin ich gewisser maßen zu entschuldigen; denn sie hat mir es in meiner Jugend auch sauer gemacht, als ich noch ein verliebter Baccalaureus war.

Humulfo Humblus, ein lateinischer Mann, und geschworner Feind seiner Muttersprache. Nichts kam ihm niederträchtiger vor, als die Bemühung einiger Gelehrten, welche die norwegische Sprache in Aufnahme bringen, und gewisse Regeln der Schreibart fest setzen wollten. Ihm war es einerley, ob er Druyter, oder Titer schriebe; und wer ihn bereden wollte, nur das erste sey recht, den hielt er wenigstens für einen Grillenfänger. Wenn er aber sah, daß jemand im Lateinischen ein D für ein T setzte; so schlug er die Hände über den Kopf zusammen, und vergoß die bittersten Thränen über den Verfall der schönen Wissenschaften. Keinen Gedanken hielt er für artig, den man nicht aus dem Cicero beweisen konnte. Niemand verdiente, nach seiner Meinung, den Namen eines Gelehrten, der nicht zum wenigsten einen auctorem classicum edirt hatte. Er schrieb eine kritische Untersuchung der Frage: Ob Horaz die triefichten Augen von dem Rauche seiner Oellampe, oder von den gesalznen Fischen bekommen habe, die er in der Jugend bey seinem Vater gegessen. Er behauptete die erste Meinung; und weil sein College, der ehrliche Conrector, der letzten Meinung zugethan war, so warf er einen so tödtlichen Haß auf ihn, daß er sich auch nicht einmal auf dem Todbette mit demselben versöhnen wollte. Ueber jeden Schnitzer wider die Grammatik konnte er sich ärgern, daß er das Podagra bekam; und als sein College, der Conrector, ein Programma in seiner Muttersprache schrieb, so ereiferte er sich dergestalt darüber, daß ihm das Podagra in den Leib trat, woran er auch starb.

Stephan Wäderhat, ein friedfertiger Soldat, welcher vor den Augen seiner Mutter als ein gehorsamer Sohn gewandelt hat, bis an seinen Tod. Er wünschte für sein Vaterland zu sterben, und kam deswegen niemals aus Bergen. Er hat Zeit seiner Kriegsdienste vielen Belagerungen und Schlachten beygewohnt, aber nur von Haus aus. Etlichemal geschah es, daß er mit ins Feld rücken sollte; so bald er aber Ordre bekam, so überfiel ihn eine starke Engbrüstigkeit, und er überschicke an seiner Stelle ein Attestat vom Stadtphysicus, daß er im Leibe nicht richtig wäre, und an dieser Krankheit vermuthlich nicht eher, als nach geendigtem Feldzuge, geheilt werden dürfte. Deswegen aber war er zu Hause nicht müßig: denn er trank alle Tage die Gesundheit des commandirenden Generals und seiner übrigen Cameraden, die im Felde stunden, deren Wohlseyn er dergestalt zu Herzen nahm, daß er vielmals von seinen Sinnen nichts wußte. Es gereichte ihm auch auf dem Todbette zu sonderbarem Troste, daß er seine Hände niemals mit Blut befleckt hatte. Im übrigen war er kühn und unerschrocken, und machte sich weder aus Bürgern noch Bauern etwas, die er oftmals seinen kriegerischen Beruf empfinden ließ. Es ist eine bloße Verleumdung, daß ihm unser Pfarrer Schuld gab, er sey ein rechter Atheist, und glaube weder Himmel noch Hölle. Es geschieht ihm zu viel; denn ich habe es selbst gehört, daß er allemal über das andre Wort sagte: Hohl mich der Teufel! und daß er zu jeder Lügen schwur. Das Frauenzimmer mochte er gern leiden; doch war er dabey nicht ekel. Er gerieth einmal beym Spielen mit einem schwedischen Officier in Händel, welcher ihn herausfoderte. Allein unser sanftmüthiger Wäderhat war im Mutterleibe verwahrlost, daß ihm allemal Hören und Sehen vergieng, wenn er einen bloßen Degen erblickte; deswegen schlug er die Ausforderung vorsichtig ab, unter dem Vorwande: Er sey der einzige Sohn seiner Mutter, und der Stammhalter des wäderhatischen Geschlechts; wenn ein Unglück geschähe, so könnte die Nachwelt um seine Kinder kommen, worüber er sich ein Gewissen machte, und mit einer Hand voll Blut sey ihm auch nicht gedient. Heuer im Frühjahre bekam er Befehl, sich schlechterdings marschfertig zu halten, und weder seine Engbrüstigkeit, noch andre natürliche Fehler vorzuschützen. Dieses war ein Donnerschlag in seinen Ohren, und die Tapferkeit fuhr ihm dergestalt in alle Glieder, daß er bis an sein seliges Ende zitterte, welches vier Tage darauf erfolgte, da er in den Armen seiner gebeugten Mutter starb, und in Frieden zu seinen Vätern versammlet ward.

Curt Stemhill. Dieser Mann hatte in seiner Jugend hohe Absichten, und eine vornehme Einbildung von seinem künftigen Glücke. Als er noch auf der Stadtschule zu Bergen studirte, dachte er wenigstens regierender Bürgermeister in seinem Vaterlande zu werden. In diesen schmeichelhaften Gedanken bestärkte ihn der Aberglaube seiner Mutter, welcher damals, als sie mit diesem Sohne schwanger gegangen war, geträumt hatte, sie brächte einen Knaben mit einer ernsthaften Miene, und einem sehr dicken Bauche zur Welt. Auf der hohen Schule zu Copenhagen lernte er mehr Menschen kennen, als er in seiner Vaterstadt jemals gesehen hatte. Dieses verringerte seine Hochachtung gegen sich selbst, und er erklärte sich bey seiner Heimkunft, daß er allenfalls mit dem Stadtschreiberdienste vorlieb nehmen wollte. Allein, auch in dieser Hoffnung sah er sich betrogen, und mußte es noch für ein unverdientes Glücke rechnen, daß er bey zunehmenden Jahren als Mägdleinschulmeister an der Barfüßerkirche sein Brodt verdienen konnte; welchem Amte er auch bis an sein Ende mit der größten Ernsthaftigkeit und unermüdeten Fäusten vorgestanden hat. Dem ungeachtet glaubte er, der Traum seiner Mutter sey erfüllt: denn ein regierender Bürgermeister habe höchstens nur über Hals und Hand die Gewalt; ein Schulmeister hingegen herrsche mit unumschränkter Macht über den ganzen Körper seiner Schulkinder.

Veit Seghersell, war aus einem adelichen Geschlechte, und ein Todfeind aller Hasen und Füchse. Mit Hunden und Pferden gieng er um, als mit seines gleichen, und liebte ihre Gesellschaft am meisten, weil er unter ihnen die vernünftigste Creatur war. Aus dem Umgange mit Menschen machte er sich nicht viel; denn sie redeten allemal von Sachen, die er nicht verstand. Mit der Bibel konnte er sich gar nicht behelfen, desto besser aber mit dem Erbregister, welches seine Bauern nachdrücklich erfahren haben. Auf den Nimrod hielt er große Stücke, weil ihm sein Pfarrer gesagt hatte, er würde ein gewaltiger Jäger genannt; er wollte sich es auch nicht ausreden lassen, daß dieser Nimrod ein Landedelmann in Assyrien gewesen wäre. Um die Geschichte auswärtiger Völker und seines Vaterlandes bekümmerte er sich nicht; doch hatte er ein vortreffliches Gedächtniß, wenn er auf seine Ahnen zu reden kam. Einen Bürger roch er auf zwanzig Schritte weit. Nichts war ihm unbegreiflicher, als wenn er hörte, daß ein Mann wegen seiner Tapferkeit, wegen seiner Staatserfahrenheit oder wegen andrer Verdienste, die er dem Vaterlande erzeigt hatte, in den Adelstand erhoben ward; denn er sagte, wenn solche Verdienste einen Edelmann machten, so wäre ihm und seines gleichen Vater und Mutter, und die ganze Sippschaft, nichts nütze. Seine Wirthschaft ward sehr unordentlich bestellt. War er nicht auf der Jagd, so saß er bey Tische, und alsdann war er vermögend, seine ganze hochadeliche Nachbarschaft zu Boden zu saufen. Seine Bauern machte er arm, und jagte sie durch Processe zum Dorfe hinaus. Er folgte ihnen aber selbst bald nach, weil er, wegen Schulden, seinem Verwalter das Gut überlassen, und den Rest seines Lebens in Bergen zubringen mußte.

Nicolaus Andreä, handelte anfangs mit gedörrten Fischen, und war zugleich ein Wechsler. Diese Lebensart stund ihm aber nicht länger an; er bemühte sich also, Capellan in der sanoensischen Kirche, nicht weit von der Stadt, zu werden, welchen Dienst er auch, wider aller Vermuthen, erhielt. Kein Mensch konnte begreifen, wie es zugienge. Er sagte aber: wer in Bergen einen Dienst haben wollte, der müßte entweder der Vetter eines Rathmannes, oder ein Lackey, oder ein Hahnrey seyn; folglich habe er einen dreyfachen Beruf zu seinem Amte. Wer nur einen solchen Dienst suche, zu dem er sich schicke, der würde seinen Zweck nimmermehr erlangen. Ein Kutscher könne ein Amtmann, ein Amtmann ein Superintendent, ein Superintendent hingegen ein Geldmäkler, und folglich dieser gar leicht ein Capellan werden. Er habe eine gute Lunge; er könne schmälen, und mit seinem Willen solle ihn niemand um den Decem betrügen; mithin sähe er nicht, was man an ihm aussetzen wolle.

Uffo Suanvita, eines Schneiders Sohn. Anfänglich wollte der Vater, er sollte sein Handwerk lernen; er stellte sich aber so dumm dabey an, daß man gar bald sah, er habe weder Witz noch Verstand genug, ein Schneider zu werden. Der betrübte Vater erzählte diese große Blödigkeit des Sohnes einigen seiner Collegen, welche alle der Meinung waren, er schicke sich zu gar nichts weiter, als zu einem Gelehrten. Dieser Entschluß ward ins Werk gerichtet. Der dumme Sohn mußte studiren; er lebte auch wirklich sechs Jahr lang auf der niedern Schule zu Bergen, und drey Jahre auf der Universität zu Copenhagen; sodann absolvirte er mit Ehren, und kehrte zu den werthen Seinigen zurück, zwar älter, aber nicht klüger. Nunmehr wußte sein Vater so wenig, als andre Leute, was mit dem gelehrten Herrn Sohne anzufangen sey. Er behielt ihn bey sich, und war zufrieden, daß er ihn wenigstens in der Küche brauchen konnte. Er vertraute ihm zugleich die Aufsicht über seine Hühner an, welche er in der That mit vieler Sorgfalt fütterte. Endlich starb der Vater, und die übrigen Freunde erbarmten sich über unsern Suanvita, damit er nicht verhungern durfte. Diese kümmerlichen Umstände änderten sich auf einmal. Ein lübeckischer Kaufmann, welcher sein Vetter war, starb unvermuthet, und hinterließ ihm ein ansehnliches Vermögen. Kaum war er in dem Besitze desselben, als er einen innerlichen Berufe empfand, ein großer Mann zu werden. Was er in seinem Kopfe vermißte, das fand er in dem Geldkasten seines Vetters. Der Titel eines Strandraths hatte ihn von Jugend auf gefallen. Er glaubte, wer die Fähigkeiten besitze, jährlich drey tausend Thaler Renten zu heben, und ein sammtnes Kleid zu tragen, der habe Geschicklichkeit genug, ein Strandrath zu werden. Um deswillen fand er kein Bedenken, sich diesen Titel zu kaufen. Die Last, welche nunmehr Seine Excellenz, der Herr Strandrath, auf seinen Schultern fühlte, drückte ihn viel zu sehr, als daß er länger vermögend gewesen wäre, sich auf den Füßen zu erhalten. Er setzte sich also in einen Wagen, und zwey muntre Pferde schienen recht stolz zu seyn, daß ihnen die Ehre gegönnt ward, diesen theuern Mann, die Zierde des Vaterlandes, durch die Gassen zu schleppen. Er hatte sich eine ernsthafte und tiefsinnige Gesichtsbildung zugelegt; in seinem Umgange that er sehr geschäfftig; er hatte aber in der That itzt viel weniger zu thun, als ehedem in seines Vaters Hause, weil er damals eine ganze Heerde Hühner fütterte, nunmehr aber nur seinen Mops abrichten mußte, an dem er einen guten natürlichen Verstand zu verspüren glaubte, welchen er niemals, ohne eine kleine Eifersucht zu empfinden, bewunderte. Die Gelehrten nannte er nur Grillenfänger und Pedanten. Er versicherte, daß er niemals an den Wissenschaften einen Geschmack gefunden, und gleich anfangs bey sich gemerkt habe, daß er zu etwas grösserm, als zu einem Schulfuchse, geboren sey. Durch die viele Berufsarbeit, die er zu verwalten hatte, war ihm das Gedächtniß dergestalt geschwächt, daß er sich derjenigen Freunde gar nicht mehr erinnern konnte, bey denen er ehedem, nach seines Vaters Tode, das Gnadenbrodt gegessen hatte. Das konnte er sich gar nicht einbilden, daß sein Vater ein Schneider gewesen wäre; Adler zeugten nur Adler, und kein Schneider einen Strandrath. Er bedauerte das frühzeitige Absterben seiner Mutter, welche ihm in dieser Sache ein großes Licht würde gegeben haben. Die Poeten mochte er gern leiden; er las aber von denen Gedichten, die ihm in Demuth, zur Bezeigung unterthänigster Devotion, überreicht wurden, weiter nichts, als den Titel. War dieser recht ansehnlich und weitläuftig; so sagte er, es sey ein Carmen von einem guten Geschmacke, und er zahlte die Gratulationsgebühren willig. Sein Tod ist auch niemanden so nahe gegangen, als den bergischen Musen. Wäre alles dasjenige wahr gewesen, was in den Leichenversen stund; so würde der Verlust unersetzlich gewesen seyn, welchen das Vaterland durch das Absterben dieses Mäcenaten erlitten hätte. Man hat aber eben nicht gehört, daß durch seinen Tod eine merkliche Veränderung im norwegischen Reiche vorgegangen wäre.

Carl Hunding, dieser Mann hatte durch das Glück und durch seinen unermüdeten Fleiß ein ansehnliches Vermögen erworben; gleichwohl seufzte er beständig über die nahrlosen Zeiten und die erhöhten Abgaben, welche ihn noch zum Bettler machen würden. Mit seinem Schöpfer war er gar nicht zufrieden, daß er ihm einen Magen gegeben hatte; denn er glaubte, der Mensch würde viel ersparen können, wenn ihn nicht hungerte. Er konnte sich gewaltig ereifern, wenn er auf die Kleiderpracht zu reden kam, und eine gestickte Weste hielt er für eine Todsünde. Seiner Meinung nach waren die Kleider zu nichts nütze, als daß sie uns an den kläglichen Fall der ersten Aeltern, und an den Verlust derjenigen Glückseligkeit erinnern sollten, da wir keine Kleider würden nöthig gehabt haben. Um deswillen flickte er sich weder Strümpfe noch Hosen; und je mehr diese zerlöchert waren, desto näher glaubte er dem Stande der Unschuld zu kommen. Alle seine Ausgaben rechnete er nach Procenten, und betete nicht einmal ein Vater Unser umsonst; denn die Gottseligkeit, sagte er, sey zu allen Dingen nütze. Ward er ja einmal aufs äusserste gebracht, und genöthigt, Ehrenhalber einen Thaler Geld zu verthun; so brach er es gewiß entweder dem Pfarrer, oder seinem Gesinde am Lohne wieder ab. Die Haut schauerte ihm, wenn ihn ein Dürftiger um einen Bissen Brodt ansprach. Nichts war ihm unbegreiflicher, als die Langmuth des Himmels, welche diese nichtswürdigen Müssiggänger auf dem Erdboden duldete. So oft ihm seine Frau ein Kind zur Welt brachte, so oft klagte er, daß er in seiner Nahrung einen empfindlichen Stoß erlitte; denn Kinder wären fressende Capitalien. Als sie zum fünftenmale in die Wochen kam, so schien er ganz untröstbar; da er aber gar hörte, daß es eine Tochter wäre, so gerieth er in eine solche Verzweiflung, daß er Bonis cediren wollte, weil er glaubte, wer Töchter hätte, und sie nach der Mode erziehen sollte, der müsse banquerot werden, er sey auch so ehrlich, als er wolle. Starb ihm ein Kind, so war er allemal so vergnügt darüber, als wäre ihm eine ungewisse Schuld eingegangen. Seine Frau gewöhnte er zu allen Arten der Mäßigkeit, und sie würde sich haben sehr elend behelfen müssen, wenn sie nicht schön ausgesehen hätte; auf solche Weise aber fanden sich verschiedne Liebhaber ihrer Waare, und sie verstund ihren Handel vortrefflich. Der Mann wußte dieses; er schien aber nicht eifersüchtig zu seyn; denn er meinte, es müsse jedermann mit seinem Pfunde wuchern, so gut er könne; seine Frau thue nichts umsonst, und was ihm dadurch an der Ehre abgienge, das komme ihm am Gelde wieder zu gute; er gewinne also mehr dabey, als er verliere. Er war mit seiner Tochter unglücklich; er konnte auch in der That seine Betrübniß darüber nicht bergen: doch zog er sich nicht so wohl die Schande, als die Vermehrung seiner Familie, zu Gemüthe. Er wollte diese ungerathne Tochter enterben, als er hörte, daß sie bloß aus Neigung gegen ihren Liebhaber diesen Fehltritt begangen hatte. Da aber dieser sich erklärte, sie zu heirathen, und zwar ohne Mitgift; so kam er auf einmal wieder zu sich selbst, und hielt diese Begebenheit für die glücklichste in seinem Leben. Sein ältester Sohn war sehr lüderlich, und verschwendete mehr Geld, als der Vater ersparen konnte. Weil ihm dieser keines gab, so borgte er bey andern Leuten; und wie der Vater niemals weniger, als funfzehen pro Cent nahm, so mußte auch der Sohn allemal so viel geben. Er wies alle Schuldner auf des Vaters Leiche an, welcher ihm auch das Vergnügen machte, und starb. Denn er fiel in ein hitziges Fieber, welches ihm den Verstand noch verwirrter machte, als er bey gesunden Tagen gewesen war. Er redete von nichts, als Interessen, von bösen Schuldnern, und seinen Handelsbüchern. Sein Beichtvater war bemüht, ihn von dem Irdischen abzuziehen, und ihm Todesgedanken beyzubringen; er wies ihn auf das theure Lösegeld aller Welt. Nein, rief der Kranke, dafür kann ich es nicht brauchen, es thut nach itzigem Cours nicht mehr, als ein und drey Quart! dieses waren seine letzten Worte, und er verschied.

Stine Frogerta, ein frommes Weib. Sie hatte sehr oft andächtige Entzückungen, welche die Kinder dieser Welt ihrer verdorbnen Milz und dem ungesunden Geblüte zuschreiben wollten. Wenn sie betete, so betete sie mit Händen und Füßen, und man konnte die Wirkung ihres gläubigen Herzens an allen Gliedern sehen; wie sie denn über die Unbußfertigkeit der verstockten Welt sich dergestalt betrübte, daß sie rothe Augen, und einen krummen Hals bekommen hatte. Die dunkelsten Worte, und solche Formeln, welche etwas verwirrtes in sich faßten, waren ihre Kern- und Trostseufzer; sie hielt dasjenige für die Sprache des Geistes, was die sich selbst gelaßne Vernunft nicht verstund. Die Liebe des Nächsten rechnete sie zwar nur unter das Ceremonialgesetz, gleichwohl that sie den Armen im Urselinerkloster viel gutes; weil es allemal von der Kanzel abgekündigt, und dem christlichen Wohlthäter vor öffentlicher Gemeine gedankt ward. Ihr Mann mußte sehr viel bey ihr ausstehen; denn wenn sie betete, so zankte sie, und es ist mehr als einmal geschehen, daß sie ihm so gar mitten in der Andacht ein Bund Schlüssel an den Kopf geschmissen hat. Ihr Ehrgeiz war unersättlich; wenn sie auch bey dem Gottesdienste auf die Knie niederfiel, so mußte es doch nach der Rangordnung geschehen. Sie hatte die Gabe zu wahrsagen, und Gesichter zu sehen. Das Geschrey einer Krähe war ihr so verständlich, daß sie allemal wußte, wer davon sterben würde. Heulte ein Hund unter ihrem Fenster, so ward sie dadurch weit mehr gerührt, als wenn unser Capellan eine Bußvermahnung hielt. Wenn sich ein Stern schneutzte, so fuhr es ihr in die Seele; und als ihr von faulen Eyern träumte, erschrack sie dergestalt darüber, daß sie das Testament machte, und sich zu ihrer Heimfahrt bereitete. In dieser Einbildung stärkte sie ihr Mann auf alle ersinnliche Weise, und war dabey so glücklich, daß sie einige Wochen darauf starb.

Friedlev Frohton. Dieses hoffnungsvolle Kind hat sein Leben nicht höher gebracht, als auf ein Jahr und drey Tage. Sein Vater, der Apotheker in Bergen, kann sich über den frühzeitigen Verlust dieses tugendhaften Söhnleins noch itzt nicht trösten. Er fand einen recht männlichen Verstand an demselben, welches ihn vielmals auf die zweifelhaften Gedanken gebracht hat, ob es auch wirklich sein eigner Sohn wäre. Alle Handlungen dieses Kindes verriethen, seiner Meinung nach, eine große Seele. Wenn es auf seinem Stühlgen saß, so machte es eine ernsthafte Miene, als ein Arzt, welcher bey dem Krankenbette sitzt, und zweifelhaft ist, ob er den Patienten an Pulvern oder an Tropfen sterben lassen will. Eben diese ernsthafte Miene hielt der aufmerksame Vater für einen untrüglichen Beruf, daß sein Sohn in Doctorem medicinae promoviren müßte; nur war er noch zweifelhaft, ob es zu Upsal, oder zu Copenhagen geschehen sollte, welche Ungewißheit ihm viel schlaflose Nächte machte. Schon im Geiste stellte er sich vor, wie ansehnlich der junge Herr Doctor Frohton in einer sammtnen Weste einher treten, und den Glanz seines väterlichen Hauses empor bringen würde. Aber auf einmal verschwand diese süsse Einbildung durch den Tod des hoffnungsvollen Knabens, und der unglückliche Vater hatte weiter keinen Trost, als diesen, daß er unter seinen Händen starb, denn er war eben im Begriffe, ihm das letzte Clystier zu setzen, als er verschied. Sein Vaterland bedauerte er so sehr, als sich selbst. War noch etwas vermögend, ihn zu beruhigen; so waren es die vielen Exempel kluger Kinder, welche eben diese frühzeitige Klugheit unter die Erde gebracht hatte. Er prophezeihte sich um deswillen ein hohes Alter, und die ganze Stadt glaubt es, daß er über hundert Jahr leben kann, wenn der Verstand der Gesundheit schädlich ist.

Sivart Stärcoter, ein Astronomus, welcher am Tage die Sonne, und des Nachts den Mond mit so unermüdetem Fleiße beschauete, daß er zu nichts weiter geschickt war, als an die Gestirne zu sehen. Bey den unaufhörlichen Betrachtungen des Himmels hat er niemals Zeit gehabt, dasjenige zu lernen, was auf der Erde, und in dem Umgange mit Menschen, zu wissen nöthig ist. Er war dadurch so tiefsinnig geworden, daß er seiner selbst vergaß. Mehr als einmal geschah es, daß er des Morgens im Schlafpelze und ohne Hosen ausgieng. Wer ihm begegnete, dem sah er starr in die Augen, schüttelte mit dem Kopfe und redete nicht ein Wort. Aber von allem diesen wußte seine Seele nichts; denn der Körper bewegte sich nur mechanisch. Kurz vor seinem Tode sah er mich in der Kirche; er gieng auf mich los, pakte mich bey der Halskrause an, und sagte mit einer zerstreuten und mathematischen Miene zu mir: Die eccentrische Anomalie ist der Bogen des eccentrischen Zirkels, zwischen der Linie Apsidum; das sollte er lange wissen, und ich schäme mich, daß ich es ihm erst itzt sagen muß. Darauf gieng er wieder von mir, und ließ mich voller Schrecken stehen; denn ich hatte geglaubt, er würde mich zum wenigsten erwürgen wollen. Er hat sich vielmals des Nachts aus dem Armen seiner Frau gerissen, wenn ihm eine astronomische Speculation einfiel. Anfangs kam ihr dieses sehr unerträglich vor, und sie hat zu gewissen Zeiten mehr über die Sterne geseufzet, als mancher Liebhaber nicht thut. Endlich aber fand sie Gelegenheit, die Abwesenheit ihres Mannes durch den Zuspruch solcher Leute zu ersetzen, welche irrdischer gesinnt waren, als jener. Je gestirnter der Himmel war, desto ungestörter blieb sie in ihrem Vergnügen; und wenn der Mann eine Mondenfinsterniß zu besorgen hatte, so konnte sie gewiß glauben, daß er an sie nicht denken würde.


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