Gottlieb Wilhelm Rabener
Satiren
Gottlieb Wilhelm Rabener

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»Es ist beynahe keine Handlung und Beschäfftigung in der Welt, welche man nicht in gewisse Regeln gebracht, mit Grundsätzen befestiget, und mit Exempeln erläutert hat. Wir haben eine Kunst zu lieben, eine Kunst zu trinken, eine Kunst zu regieren, eine Kunst zu leben. Mit solchen Kleinigkeiten beschäfftigt sich unser spielender Witz, wichtigere Sachen verabsäumen wir. Sind wohl alle diese Künste dem Menschen so nöthig, als ihm die Kunst zu bestechen ist? Ich schäme mich, daß ich der erste seyn muß, der meinen Landsleuten die Augen öffnet, meinen Landsleuten, die so oft mit einem patriotischen Stolze die Glückseligkeit ihrer aufgeklärten und erleuchteten Zeiten rühmen. Ich will es thun, wenigstens will ich einen Versuch davon liefern. Es ist mir vielmals ganz unbegreiflich gewesen, durch welches Schicksal ich zu dem Amte verstossen worden bin, das ich führeDieser Brief ward im Jahre 1752 geschrieben.; nunmehr glaube ich, es einzusehen. Die Kunst zu bestechen habe ich meine Landsleute lehren sollen; dazu war mir mein Amt nöthig. Ich will diesem deutlichen Berufe folgen. Man wird meiner Lehre glauben können, da ich mit Ueberzeugung lehre. Der zärtliche Ovid lehrte die Kunst zu lieben; der feurige Horaz die Kunst zu dichten; und ich, berechtiget durch mein Amt, ich lehre die Kunst zu bestechen.

»Es wird nicht leicht jemand zu finden seyn, der in seinem Leben nicht wenigstens einmal, es sey nun als Kläger, oder als Beklagter, in die traurige Nothwendigkeit wäre gebracht worden, daß er einen Theil seines Glücks, oder wohl gar sein ganzes Glück der zufälligen Einsicht des Richters, und den von dessen Willkühr abhangenden Gesetzen Preis geben müssenSo oft ich in dieser Abhandlung eines Richters erwähne, so oft nehme ich dieses in dem allgemeinsten Verstande und begreife darunter alle diejenigen, denen Amts- oder Commißionswegen, oder auf andere Art die Entscheidung, oder auch nur die Untersuchung einer Sache aufgetragen ist.. Und was ist hierbey wohl nöthiger, als die Kunst zu bestechen? Will er sich auf seine gerechte Sache verlassen, das ist ein leerer Name, ein Wort ohne Bestimmung. Wer soll entscheiden, ob seine Sache gerecht ist; da man noch in den wenigsten Richterstuben einig ist, was Gerechtigkeit sey? Soll man diese Entscheidung aus den Gesetzen nehmen? Aber müssen die Gesetze nicht so wollen, wie der Richter will? Oder ist der Richter etwan wegen der Gesetze da? Vielleicht; aber selten.

»Ist es wohl sicher, sich aufs die Erfahrung und billige Einsicht des Richters zu verlassen? Wer leistet uns die Gewähr, daß der Richter erfahren, und billig, und einsehend sey? Es ist möglich, daß er es seyn kann; doch Sachen, die möglich sind, machen noch keine Wahrscheinlichkeit aus; und was dann und wann geschieht, das kann keine allgemeine Regel werden. Richterstuben werden besetzt, wie andre Aemter; wollen wir von ihnen mehr verlangen, als von andern Aemtern? Oftmals, und nur gar zu oft nimmt der Richter zwey Drittheile von der gerechten Sache für sich; in das übrige Drittheil theilen sich seine Schreiber, die Advocaten, und die Parteyen. Was hilft mir bey dieser Plünderung die augenscheinlichste Gerechtigkeit, die auf meiner Seite ist? Wie glücklich bin ich, wie viel gewinne ich nicht, wenn ich die hohe Kunst verstehe, einem eigennützigen und unwissenden Richter auf eine anständige Art, und mit gutem Nachdrucke begreiflich zu machen, daß meine Sache gerechter ist, als die Sache meines Gegenparts, oder, im Kanzleystyl zu reden, wenn ich weis, meinen Richter zu bestechen?

»Das ist alles Pedanterey, was der unnütze Fleiß müssiger Rechtsgelehrten von der Erklärung der Gesetze geschrieben hat. Für wen schreiben sie dieses? Für die Richter? Viele von ihnen lesen nicht einmal die Gesetze, wie sollen sie Geduld genug haben, die trocknen Erklärungen zu lesen. Für die Advocaten? Den wenigsten unter ihnen ist daran etwas gelegen, daß die Gesetze deutlich sind. Für die Parteyen? Was hilft es den Parteyen, Erklärungen zu wissen, die dem Richter zu ekelhaft, und den Advocaten in ihrer Nahrung so nachtheilig sind? Die sicherste, die beste, die vortheilhafteste Art, den wahren und eigentlichen Sinn der Gesetze seinem Richter deutlich zu machen, ist die Kunst, ihn zu bestechen.

»Ein Richter wird noch immer, wenigstens um die Formalien seines Amts zu beobachten, unparteyisch, und gewissenhaft thun. Ist er noch nicht gar zu lange Richter, oder ist er sonst von einer gemeinen und schlechten Erziehung, so wird er von Zeit zu Zeit etwas fühlen, das ihm sagt, es sey unbillig, parteyisch zu seyn. Dieses Etwas nennt der Pöbel Gewissen, und es ist vielmal für einen Theil der Parteyen von schlimmen Folgen. Durch die Kunst zu bestechen erleichtern wir unserm Richter diese Unbequemlichkeit des Gewissens.

»Ich verlange aber schlechterdings, daß man solches als eine Kunst ansehe, und sehr vorsichtig dabey verfahre. Man muß die Geschicklichkeit besitzen, die Gemüther der Menschen, und, in gegenwärtigem Falle, die Leidenschaften eines Richters zu erforschen. Kein Umstand in seiner Verwandtschaft, in seinem Hause, ist zu klein, den man nicht sorgfältig bemerken und sich zu Nutze machen müßte. Der Angriff muß von der Seite geschehen, wo der Richter uns die Blösse giebt, sonst wird er sich vertheidigen, und der Gegner wird sich unsere Unvorsichtigkeit zu Nutze machen.

»Wie die Arten der Bestechung sehr verschieden sind, so ist die erste Regel diese: Man muß sich durchaus nicht merken lassen, daß man bestechen will.

»Einmal ist der Satz richtig und ausgemacht; ein jeder will für einen ehrlichen Mann gelten, der sich ausserdem sehr viele Mühe giebt, es nicht zu seyn. So niederträchtig unser Richter ist, so hungrig er ist, sich bestechen zu lassen; so sehr werden wir ihn beleidigen, wenn wir ihm merken lassen, daß wir die Absicht haben, ihn zu bestechen. Er muß sich schämen, nicht vor sich, sondern vor uns; er wird den Namen eines unparteyischen Richters behaupten, er wird seiner Natur Gewalt anthun, gerecht zu seyn, um uns das nachtheilige Vorurtheil zu benehmen, daß er das sey, was er ist. Er muß befürchten, daß wir die Einsicht seines Fehlers misbrauchen, und entweder den Werth der Gefälligkeit nicht erkennen, die er uns durch seine Nachsicht bezeigt, oder ihm gar seinen Fehler öffentlich vorrücken, wenn wir etwan eine andere Gelegenheit finden sollten, mit ihm unzufrieden zu seyn. Diese ungewöhnliche Gerechtigkeit wird ihm sodann desto leichter ankommen, je gewisser ein aufmerksamer Gegner sich unsre Dummheit zu Nutze macht, und den beleidigten Richter dadurch auf seine Seite bringt, daß er ihn, wegen seiner uns erzeigten strengen Gerechtigkeit, auf eine anständigere und bindigere Art schadlos hält.

»Ich habe bey einer andern Gelegenheit bezeugt, wie sehr ich wünschte, daß meine Landsleute sich gewöhnen möchten, so zu schreiben, wie sie denken. Gegenwärtigen Fall nehme ich aus. Wo die Frage entsteht, ob ich mein Vermögen verlieren, oder der Wahrheit Eintrag thun will? da ist die Wahl leicht. Bey einem Richter, welcher die Ehrliebe dergestalt in seiner Gewalt hat, daß er damit machen kann, was er will; bey diesem würde es sehr unvorsichtig seyn, durch die Wahrheit seine Ehrbegierde zu reizen. Dadurch, daß ich diesen Fall ausnehme, widerspreche ich meinem Satze gar nicht. Eine andere Sprache ist diejenige, die ich in Gesellschaften, und im gemeinen Leben rede, da kann ich, da soll ich die Wahrheit sagen; eine ganz andere Sprache aber ist der stylus curiae, da muß ich dem Herkommen gemäß reden, oder, welches einerley ist, ich muß den Richter zu eben der Zeit, da ich ihm zeige, daß er ein Schelm ist, versichern, daß ich ihn für einen unparteyischen, für den billigsten Mann halte.

»Damit ich dasjenige deutlicher mache, was ich hier gesagt habe, so will ich ein paar Briefe einrücken, wo man dem Richter sagt, daß man ihn bestechen will. Ein jeder setze sich an die Stelle des Richters, und prüfe sich, was er in diesem Falle werde gethan haben.«


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