Gottlieb Wilhelm Rabener
Satiren
Gottlieb Wilhelm Rabener

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Und was meinen Sie wohl, mein Herr, in welcher Absicht ich diesen Brief schrieb? Ich wollte meinem alten Liebhaber ein freywilliges Opfer bringen. Aus diesem Entschlusse, den ich wider den Rath und Willen meines Vaters faßte, sollte er urtheilen, wie beständig meine Liebe, und wie billig es von ihm sey, diese nunmehr zu belohnen, da er in den Stand gekommen, es nach seinem und meinem Wunsche zu thun. Mit der nächsten Post schrieb ich ihm diesen Brief:

 

Mein Herr,

»Können Sie wohl von mir itzt was anders erwarten, als die bittersten Vorwürfe? Gewiß, Sie haben sie verdient, hundertmal verdient, und dieses itzt mehr, als jemals. Erst sind Sie grausam und werden krank, um mich ein ganzes Jahr zu ängstigen. Endlich werden Sie wieder gesund, aber nicht zu meiner Beruhigung; nein, um mich auf eine neue Art zu quälen. Sie verreisen, ohne mich es wissen zu lassen, ohne mir zu erlauben, daß ich Ihnen bey dem Abschiede die zärtlichste Versichrung meiner Freundschaft, meiner beständigen Liebe, gäbe. Wie viel wichtige Sachen hatte ich Ihnen zu sagen, tausend wichtige Sachen, auf die meine ganze Ruhe ankömmt! Ist für mich etwas wichtigers, als wenn ich Ihnen sage, daß ich Sie liebe? Und kann ich ruhig seyn, wenn ich nur den mindesten Verdacht habe, an Ihrer Liebe zu zweifeln? Sie fliehn, Grausamer? Fliehn Sie, einen traurigen Abschied zu vermeiden? Wie wenig kennen Sie die Liebe, die Sie mich doch selbst gelehrt haben. Es würde mich Thränen gekostet haben; aber ich hätte sie in Ihren Armen geweinet. Ich würde Sie beschworen haben, Ihre Rückkunft zu beschleunigen. Wie viel zärtliches hätten Sie mir dabey sagen können, das ich sonst gewohnt bin, von Ihnen zu hören! Glauben Sie wohl, daß ich Ihnen würde eine Reise widerrathen haben, welche Sie thun, um Ihr Glück auf diejenige dauerhafte Art zu befestigen, die Sie so oft, und so oft meinetwegen, gewünscht haben? Kommen Sie, eilen Sie zurück, ich erwarte Sie mit der zärtlichsten Ungeduld. Das hätte ich doch nicht geglaubt, daß ich Sie so heftig liebte? Kommen Sie, damit ich Ihnen vom neuen sagen kann, daß ich Sie ewig lieben werde.

»Wissen Sie denn auch, mein irrender Ritter, in welcher Gefahr Sie Ihre trostlose Prinzeßinn verlassen haben? Drachen und Riesen schwärmen um mein Schloß herum, mich zu entführen. Tapfrer Roland! Eilen Sie, diese Ungeheuer zu verjagen. Glauben Sie nur nicht, daß ich scherze! Lesen Sie den eingeschloßnen Brief. Er ist von einem schwarzen Ritter aus dem Königreiche Latium, welcher auf Abenteuer ausgieng, und den ich mit meinem Schwerdte kecklich erwürgt habe. Ja, mein Herr, konnten Sie von Ihrer zärtlichen und ewig treuen Charlotte einen andern Entschluß erwarten, als den, welchen Sie aus dem andern Briefe sehn werden? Für diesesmal bin ich der gedachten Gefahr glücklich entkommen. Werde ich immer Muth und Kräfte genug dazu haben, wenn Sie mich länger verlassen? Eilen Sie! Bey Ihrer Liebe beschwöre ich Sie, eilen Sie, und sagen Sie mir, daß meine Sorge vergebens gewesen ist. Was ich Ihnen dafür sagen werde? Daß Sie mein bester Freund sind; daß ich Sie unendlich liebe! Daß ich ganz die Ihrige bin! Soll ich Ihnen noch mehr sagen? Gut, ich will Sie küssen, tausendmal will ich Sie küssen. Wie unruhig ist man, wenn man liebt! Leben Sie wohl.«


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