Gottlieb Wilhelm Rabener
Satiren
Gottlieb Wilhelm Rabener

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Vetter,

Ihr habt ein schweres Amt übernommen. Ich glaube, daß Ihr nicht ganz ohne Grund argwöhnisch seyd. Vielleicht könnte ich Euch noch mehr sagen; aber ich mag Euch das Herz nicht schwer machen. Alles, was Ihr thun könnt, ist dieses, daß Ihr den Befehl Eures Großvaters ausrichtet. Habt Ihr nicht Herz genug, den Brief der Fräulein selbst zu übergeben, so schickt ihn diesen Abend zu ihr. Ich werde ganz alleine bey ihr seyn, und Euch morgen mehr Nachricht geben können. Also habt Ihr es doch endlich gestehn müssen, daß Ihr die Fräulein liebt! Eure Wahl muß gewiß vernünftig seyn, weil Ihr mit dem Großvater einerley Geschmack habt. Ich wünsche Euch Glück dazu. Wahrhaftig, eine so liebenswürdige Großmutter ist werth, daß man ihr die Hände küßt. Armer Vetter! Ihr dauert mich, aber nur ein wenig. Warum seyd Ihr so mistrauisch gegen mich gewesen, und habt mir niemals gestehn wollen, daß Ihr die Fräulein liebt? Vielleicht hätte ich Euch diese Unruhe ersparen können, denn für eine Tante schickt es sich doch wohl am besten, wenn sie ein wenig kuppelt. Eure Aeltern haben Euch in solchen Umständen verlassen, daß Ihr es wohl hättet wagen können, lauter zu seufzen; und Euren Jahren hält man eine zärtliche Thorheit zu gute. Wie glücklich hättet Ihr werden können! Aber nun ist alles aus. Ihr bekommt Eure Prinzeßinn zur Großmutter, und ich meine beste Schwester und Freundinn zur Mama, und das alles durch Eure Schuld. Ich dächte, Vetter, Ihr verzweifeltet ein Bischen. Ihr seyd ja ein Poet, Ihr könnt singen, Ihr seyd ein unglücklicher Liebhaber, und in Eurem Garten ist ein Echo. Was wollt Ihr mehr? betäubt einmal die Felsen mit einer herzbrechenden Arie, in der Melodie: da der Großvater die Großmutter nahm! Ich möchte Euch von ferne zusehn, wie es Euch läßt, wenn Ihr aus Liebe verzweifelt. Wie gefällt Euch mein Trost? Aber ein Wort im Ernste. Uebersendet der Fräulein den Brief; seyd vorsichtig, verlaßt Euch auf mich; und wenn auch alles wider Euern Wunsch laufen sollte, so vergeßt doch niemals, daß Euer Großvater ein rechtschaffner Mann ist, der mich und Euch zärtlich liebt. Lebt wohl.


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