Gottlieb Wilhelm Rabener
Satiren
Gottlieb Wilhelm Rabener

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein Traum

von

den Beschäfftigungen

der abgeschiednen Seelen.Dieser Traum ward zum erstenmal durch den Druck bekannt gemacht in den Neuen Beyträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes, I. B. 2 St. 1744.

 

 

– – – Locus est et pluribus vmbris.

Die Seelen beschäfftigen sich nach der Trennung von ihren Körpern am liebsten mit denen Sachen, an welchen sie im Leben aus dieser Welt ihr größtes Vergnügen gefunden haben. Dieser philosophische Lehrsatz, welcher noch etwas älter ist, als ich und Leibnitz, fängt wieder von neuem an, Mode zu werden; und weil ich eine ziemlich dauerhafte Natur habe, so hoffe ich, es noch zu erleben, daß er die beste Welt, und den zureichenden Grund verdrängen soll. Nur will ich wünschen, daß es nicht dem Grunde des Widerspruchs eben so gehen möge. Denn wenn diese drey Stücke alle auf einmal abkommen sollten; so dürften unsre philosophischen Stutzer in dreyßig Jahren eine sehr altväterische Miene machen, und ihre tiefsinnigsten Schriften, welche sie und ihre Verleger itzt bewundern, eben dem Schicksale unterworfen seyn, welches diejenigen Familiengemälde trifft, die man, wenn es hoch kömmt, bloß der alten Tracht wegen als eine Rarität noch aufhebt, gemeiniglich aber in die dunkelsten Winkel des Hauses stellt, um niemanden zu ärgern. Dem sey, wie ihm wolle; eine jede Sache ist der Mode unterworfen, und die Philosophie am meistenDer geneigte Leser wird dieses mit mehrerm ausgeführet finden, in meiner Vorrede zur neuen Auflage des vermehrten und verbesserten Bruckers, welche künftige Messe zu Cölln ans Licht treten soll, und worinnen ich unter andern durch Zeugen und Documente bewiesen habe, daß der Ruhm des leibhaften Newtons unsers Vaterlandes, des philosophischen Herrn – – die großen Manschetten nicht überleben werde.. Wenigstens ich werde mich über den Verlust dieser drey philosophischen Universalrecepte trösten lassen, wenn ich nur erfahre, daß meine abgeschiednen Seelen ihren Werth behalten. An der Betrachtung dieses Grundsatzes finde ich mehr Vergnügen, als an allen elektrischen Experimenten. Ich habe demselben oftmals viele Stunden lang nachgedacht, und allemal bin ich darüber in eine solche Entzückung gerathen, in welcher kaum ein Poet seyn kann, der im Namen eines Andern für Geld und gute Worte die Augen einer Phyllis besingt.

Eben dieses ist Ursache, daß ich heute meinen Leser einen Traum von den Beschäfftigungen der abgeschiednen Seelen nach der Trennung von ihren Körpern vorlege. Im voraus aber muß ich eines und das andre erinnern, welches die Einrichtung meines Traums, und verschiedne Freyheiten betrifft, so ich mir darinnen genommen habe.

Ich will es niemanden im Ernste zumuthen, daß er glauben solle, ich habe wirklich also geträumet, ungeachtet es eben nicht unwahrscheinlich ist. Ich kann es zwar nicht läugnen, der Traum ist ziemlich lang gerathen; aber in der Stadt, wo ich mich aufhalte, schlafen die Leute viel länger, als an andern Orten, und also träumen sie auch länger. Wer wollte mir es wehren, wenn ich ihn in Archangel geträumt hätte, wo man zu gewissen Zeiten lauter Nacht, und fast gar keinen Tag hat? Allein, ich habe nicht Ursache, so viel Umstände zu machen. Ich will es nur frey bekennen, ich habe geträumt, damit ich schreiben wollte. Dieses kann genug seyn, mein Verfahren zu rechtfertigen, und wer mehr Beweis fodert, der muß von dem gelehrten Herkommen gar nichts verstehen. Ohne Ruhm zu melden, weis ich alles, was zu einem orthodoxen Traume gehört. Man denkt nach; man schläft über diesem Nachdenken unvermerkt ein; man sagt im Traume etwas, das man vielmals nicht sagen würde, wenn man wachend, und seiner Sinne mächtig wäre; man erwacht unvermuthet. Kein einziges von diesen Stücken habe ich in meinem Traume so beobachtet, wie es nach den Regeln eigentlich hätte seyn sollen. Ich habe nicht nachgedacht, denn ich bin ein Autor nach der neuesten Mode; ich bin nicht unvermerkt darüber eingeschlafen; und was meinen Lesern etwan wiederfahren sollte, dafür kann ich nichts. Ich habe von allem dem, was hier steht, nicht ein Wort im Traume gehört und geredet; ja, da ich ein Advocat bin, so kann ich bey meinem zarten Gewissen bezeugen, daß mich dieser Traum um manche Stunde Schlaf gebracht hat. Ich bin nicht unvermerkt aufgewacht; dieses braucht keines Beweises, man darf nur bis zum Ende lesen. Mit einem Worte, alles dieses wird man in gegenwärtiger Schrift nicht finden, und dennoch muß sie, trotz allen Kunstrichtern, ein Traum seyn, ebensogut, als Herrn – – Träume, nach seiner Meinung, mathematische Beweise seyn sollen.

Von den Freyheiten muß ich noch etwas sagen, welche ich mir in meinem Traume genommen habe. Ich habe meine abgeschiednen Seelen niemals ohne Kleider, und dergleichen Geräthe, erscheinen lassen. Ich kann eben nicht sagen, daß dieses aus einer besondern Schamhaftigkeit geschehen wäre, und ich muß zur Beruhigung unsrer jungen Herren und einiger meiner Leserinnen hier anmerken, daß meine Frauenzimmerseelen keine Halstücher, sondern, wenn es hoch kömmt, nur flüchtige Palatine tragen. Ich habe wichtige Ursachen, warum ich will, daß meine Seelen auch noch im Tode ihre Kleidung beybehalten sollen. Wie viele derselben würde ich nicht unglücklich machen, wenn ich ihnen ihre prächtigen Kleider nähme! Und wäre ich so unbarmherzig, einigen ihre reichen Westen zu rauben, wieviel hochwohlgebohrne Seelen würde ich nicht unter den Pöbel verstossen, welche doch in ihrem Leben zum unsterblichen Ruhme ihres Vaterlandes und ihrer Ahnen beym pyrmontischen Brunnen geschimmert haben! Das ist noch lange nicht genug. Wenn ich meiner Nachbarinn, dem witzigsten Frauenzimmer unsrer Gasse, ihre Bänder, Spitzen, Schminkfleckchen, und andre wesentliche Stücke ihres Verstandes contreband gemacht hätte; was würde sie in dieser philosophischen Ewigkeit für lange Weile haben! Celinde würde einen noch einmal so schweren Todeskampf ausstehen, wenn sie befürchten müßte, daß sie in jenem Leben ohne Reifrock und Fächer erscheinen sollte. Wie kläglich würde es um die Seelen unsrer galanten Stutzer stehen, wenn ich ihnen nicht erlauben wollte, Ferngläser zu brauchen, oder wenn ich so pedantisch wäre, und ihnen verwehrte, zu trällern, und zu pfeifen! Nein, das sey fern! Sie sollen trällern! Sie sollen pfeifen! und Celinde kann freudig sterben, so bald es ihr gefällt, denn sie soll auch ihren Mops mitnehmen!

Nunmehr wäre der erste Zweifel gründlich und muthig aus dem Wege geräumt. Es wird mich bey weitem so viel Mühe nicht kosten, die andern Freyheiten zu entschuldigen, welche ich mir genommen habe. Ich habe es gewagt, die Seelen einiger Ausländer in unsre Gegend zu bannen. Ich habe Grund dazu. Wenn es wahr ist, daß die Seelen nach ihrem Abschiede aus diesem Leben, dasjenige am liebsten thun, womit sie sich in der Welt am meisten beschäfftigt haben; so muß folgen, daß die deutschen Seelen in fremde Länder, und fremde Seelen in unser Land kommen. Unser gelehrter Herr Professor Quintus Calpurnius, dessen gründliche Noten und edirte Schriftsteller ihn wenigstens auf drey Jahre verewigt haben, wallt zwar dem Leibe nach unter uns deutschem Pöbel; aber man merkt es ihm an den Augen, an seinen Gesprächen, und an seiner ganzen Aufführung an, daß seine Seele weit von hier ist, und ich müßte mich sehr irren, wenn sie nicht so gleich nach ihrer Auflösung vom Körper unter die verfallnen Gemäuer des alten Latiens sich verkriechen, oder vielleicht gar in dem gelehrten Schutte Griechenlands wühlen sollte, um ihren edlen Hunger nach Antiquitäten zu stillen. Die Seele des kleinen Junkers mit rothen Absätzen, welcher dort am Markte wohnt, wird man gewiß nirgends anders antreffen, als in den Tuillerien zu Paris; es müßte denn seyn, daß ihn der Wohlstand nöthigte, nach Versailles zu eilen, um dem Könige frühmorgens beym Aufstehen das Hemde zu reichen; denn eben dieses ist dasjenige, was er sich itzt am meisten wünscht, und wozu er, nach dem Urtheile der vernünftigsten Leute, sich am besten schickt. Sollten also die Seelen der Ausländer bey uns nicht eben so wohl etwas finden, welches sie neugierig machte, hieher zu kommen? Ich zweifle gar nicht dran. Burmanns Seele, die Seele des Bentley, die verketzernde Seele des Jurieu werden in Deutschland an mehr als an einem Orte die angenehmste Beschäfftigung und hundert theure Mitglieder der gelehrten Welt finden, welche ihnen den Rang streitig zu machen scheinen. Vielleicht ist Addison mehr als einmal auf meiner Studierstube gewesen, um zu sehen, wie sich ein Deutscher geberdet, wenn er ein Chronostichon macht. Sollte es wohl mit den abgeschiednen Seelen der Franzosen anders beschaffen seyn? Sie mögen uns gleich hundertmal Verstand und Witz absprechen; darinnen sind sie doch einig, daß unser Brodt nahrhaft ist, und je mehr sie auf uns lästern, desto dienstfertiger sind wir, sie zu ernähren, so, wie ein Papagoy bloß dadurch das Futter verdient, daß er seinen Herrn einen Hahnrey, und die gnädige Frau eine Hure heißt. Was ist wohl natürlicher, als daß sie auch nach ihrem Absterben in dasjenige Land kommen, wo keiner ein Narr ist, der französisch reden kann? Vielleicht flattert itzt, indem ich dieses schreibe, mancher hungrige Marquis über unsrer Stadt, und schimpft uns, damit er eine Ritterzehrung erhalten möge.

Dieser Vorbericht war nöthig. Ich komme nunmehr zum Hauptwerke.

Mir träumte, ich sey gestorben. Ich sahe den Körper, von dem sich meine Seele getrennt hatte, auf dem Bette mit eben der Gleichgültigkeit liegen, mit welcher man eine abgelegte Redutenmaske, oder Koch seine theatralische Kleidung ansieht, in welcher er nach Gelegenheit entweder als Prinz befohlen, oder als Kammerdiener Befehle angenommen hat. Ich werde nicht gern sehen, wenn mir jemand hierinnen widersprechen, oder mich gleich anfangs in meiner Abhandlung stören, und läugnen wollte, daß eine Seele ihren Körper so gleichgültig ansehen könnte. Bey mir ist dieses gar nicht unwahrscheinlich. Ich bin in einer kleinen Stadt gebohren und erzogen, in welcher kein junges Herrchen war, als des Amtmanns Sohn, und der Stadtschreiber. Ich habe um deswillen niemals Exempel genug gehabt, welche meine Seele verleitet hätten, sich mit ihrem Körper am meisten zu beschäfftigen: zu geschweigen, daß mein Körper eben nicht so gebaut gewesen, daß er mich in diesem Stücke zu einer merklichen Eigenliebe, oder zu besonders sorgfältigen Beschäfftigungen bewogen hätte. Ich berufe mich hierinnen auf den guten Geschmack meiner verstorbnen Frau, welche in ihrem Leben viel Körper gekannt hat, in deren Umgange sie weit mehr annehmliches und artiges zu finden vermeinte, als bey mir. Ich verlange also, daß man wenigstens meiner Frau glaube, wenn auch mein Zeugniß verdächtig seyn sollte. In Sachen, welche die Körper und Menschengesichter angehen, kann man dem Ausspruche solcher Frauenzimmer, wie mein liebes Weib war, sicher trauen; in andern hingen hingegen, welche den Verstand betreffen, bin ich gar wohl zufrieden, daß man gründliche Beweise fodere. Diese kleine Ausschweifung ist um so viel nöthiger gewesen, je mehr einem Geschichtschreiber daran liegt, daß man gegen seine Erzählungen nicht mistrauisch sey, oder seine Nachrichten für verdächtig halte. Ich erwarte also von meinen Lesern ohne weitere Complimente, daß sie in diese Gleichgültigkeit meiner Seele gegen ihren Körper weiter keinen Zweifel setzen. Der einzigen Chloris will ich nicht zumuthen, solches zu glauben; denn diese beschäfftigt sich mit nichts, als mit ihrem Gesichte, und einigen seufzenden Schäfern, denen nichts, als ihr Körper, und sehr wenig von der Seele bekannt ist, es müßte denn eine zärtliche Seele, eine holde Seele, eine grausame Seele, eine verzweifelnde Seele, oder andre dergleichen Seelen seyn, welche die arkadischen Dichter mit verliebten Händen alle Stunden schaffen und wieder zernichten können. Chloris mag es also immer nicht glauben; ich bin es zufrieden. Sie soll mir es aber auch nicht verwehren, zu behaupten, daß ihre Seele nach dem Tode beständig um ihren Nachttisch vor ihrem Spiegel, und um ihren Körper herumflattern, und vielleicht selbst beschäfftigt seyn wird, diesen noch im Sarge zu putzen. Ich komme wieder auf mich.

Sobald ich meinen erblaßten Körper vor mir sahe, so eilte ich zu meinem Schreibepulte. Das habe ich gedacht, wird die erbitterte Chloris aus Rachbegierde rufen, das habe ich gleich gedacht! Die mürrischen Gelehrten werfen uns beständig den Nachttisch vor, und vielmals begehen sie doch vor ihrem Schreibepulte eben diejenigen Schwachheiten, welche man an uns vor unserm Nachttische kaum wahrnehmen wird. Mit ihrer Feder und Dinte treiben sie mehr Eitelkeiten, als wir mit unsrer Schminke und mit dem Brenneisen. In ihren Schriften bewundern sie vielmals ihre prächtige Größe und gelehrte Schönheit mehr, und doch mit wenigerer Gewißheit, als wir uns in Spiegeln. Ihre Eigenliebe, ihr Stolz, ihre Begierde, andern zu gefallen, ihre Eifersucht – – Es ist alles wahr, Chloris, aber itzt will ich weiter erzählen! Auf meinem Pulte lag der Entwurf zu einer Schrift, welchen ich noch den Abend vorher zu Papiere gebracht hatte. Ich wollte mich mit aller der Hitze, welche mir und vielen Gelehrten so natürlich ist, der Feder bemächtigen, um zum Troste meiner kritischen Mitbrüder diese wichtige Schrift zu Stande zu bringen. Allein, wie groß war nicht mein Entsetzen, da meine abgeschiedne Seele, als ein Geist, nicht vermögend war, die Feder aufzuheben, noch weniger aber, zu schreiben! Ich bin nicht im Stande, das Schrecken auszudrücken, welches mich deswegen überfiel, und dergleichen Angst empfindet wohl niemand, als ein Poet, welcher einen Reim sucht, und ihn nicht erhaschen kann. Siebenmal, und noch siebenmal bemühte ich mich zu schreiben; aber allemal umsonst. Ich wollte ein gewisses Register aufschlagen, welches mir so oft in meinen gelehrten Wehen geholfen hatte; aber auch dieses zu thun war ich nicht im Stande. Ich schlug die Hände über dem Kopfe zusammen, und bedauerte, wegen dieses unersetzlichen Verlustes meiner entworfenen Schrift, den Verleger, mein Vaterland, die Nachwelt; ja ich würde sagen, daß ich mich selbst bedauert hätte, wenn es unter uns Gelehrten eingeführt wäre, in diesem Punkte so offenherzig zu seyn. Genug, ich sahe, daß es mit meiner ganzen Gelehrsamkeit aus war, weil ich nicht mehr schreiben konnte. Das einzige, was ich zu meiner Beruhigung that, war dieses, daß ich zum Bücherschranke eilte, und mit einer recht väterlichen Zärtlichkeit alle diejenigen Bücher übersahe, welche durch meine unermüdeten Hände ihr Daseyn erhalten hatten. Hier stund ich so vergnügt, und entzückt, wie Aeltern, welche zwar selbst keine Kinder mehr zeugen können, aber doch an denen, welche sie bereits ans Licht der Welt gebracht haben, aus schmeichlerischer Eigenliebe so viel Verstand und Geschicklichkeit bewundern, als außer ihnen sonst niemand wahrnehmen kann.

Vielleicht würde ich in dieser Stellung noch lange geblieben seyn, wenn ich nicht im Traume das freudige Schrecken wahrgenommen hätte, welches meine ungeduldigen Erben überfiel. Sie eilten so hungrig zu meinem Bette, als wenn ein Raub auszutheilen wäre. Ist er todt? Ist er auch gewiß todt? schrien sie. Ja! Endlich einmal ist er im Ernste todt! Geschwinde schickt nach dem Sarge, daß wir ihn unter die Erde bringen! antwortete ein Vetter von mir, und eine Muhme, welche durch mein Absterben alle diejenigen Tugenden zu erben hoffte, welche gewisse gründliche Liebhaber bey ihr zeither vergebens gesucht, und ihr um deswillen die Freyheit zu ihrem großen Verdrusse nicht geraubt hatten; diese Muhme vergoß viel Thränen, und würde mich, wegen ihrer unvermutheten Bekümmerniß, in großer Ungewißheit gelassen haben, wenn sie nicht alsbald, unter herzlicher Aufhebung ihrer Hände, mit lauter Stimme geseufzet hätte: Der ehrliche Vetter! Tröste ihn Gott! Es ist ihm recht wohl! Wir wollen ihm seine Ruhe gönnen! Dieses war die Losung zum Plündern. Den ersten Sturm hatte meine Geldcasse auszustehen. Meinen Kleidern und meinem Geräthe gieng es eben so. Sie thaten alles in eine Kammer, welche sie, wie ich hörte, wollten versiegeln lassen, und zwar von einem gewissen Manne, dessen Name mir entfallen ist, welcher aber ein ehrlicher und glaubwürdiger Mann seyn sollte, weil er ein großes Petschaft und zween Zeugen hatte. Bis hieher hatte ich meinen Erben ganz gelassen zugesehen: Als ich aber merkte, daß es über meine Papiere hergehen sollte, so fieng ich an, zu zittern. Alles ward aufs sorgfältigste durchgesucht. Gegen alle Briefe, in denen die Worte stunden: Leiste gute Zahlung, und nehme Gott zu Hülfe! hatten sie eine so andächtige Ehrfurcht, daß sie dieselben sorgfältig aufhoben; aber über ein paar Laus Deo schüttelten sie die Köpfe gewaltig, denn dergleichen Latein konnten sie gar nicht leiden. Endlich traf die Reihe meine gelehrten Concepte, welches mich recht wütend machte. Ich eilte voll Verzweiflung hinzu, sie zu vertheidigen; vielleicht aber würde ich dennoch zu unvermögend gewesen seyn, wenn nicht meiner Schwester Sohn, ein Meister von sieben freyen Künsten, wider seinen Willen mir beygestanden, und das ganze Packet unter den Tisch geworfen hätte, mit der Versicherung: Es sey nur Maculatur. Der Ignorant! Als meine Erben noch mit dieser Haussuchung beschäfftigt waren, merkte ich einen Haufen Bediente, welche im Namen ihrer Herrschaft ein gewisses Compliment hersagen mußten, das sie das herzliche Beyleid nannten. Die Bekümmerniß über meinen Tod mochte in der ganzen Stadt gleich stark, und allgemein seyn, denn ihre Formulare endigten sich alle mit den Worten: Daß der Himmel den betrübten Hinterlaßnen diesen empfindlichen Verlust durch anderweitige Glücksfälle reichlich ersetzen möchte! Allein der kräftigste Trost lag schon in der Kammer, und meine Muhme war so boshaft, einer gewissen Nachbarinn, welche ihr den Sohn eines reichen Kaufmanns abspänstig gemacht hatte, anwünschen zu lassen, daß der Himmel dieselbe vor dergleichen Trauerfällen jederzeit bewahren sollte.

Nunmehr ward alles zu meiner Beerdigung veranstaltet, man eilte damit ganz ungewöhnlich, und, sobald der Schneider alles gekauft und zurechte gemacht hatte, was zu einer schmerzlich gebeugten Miene gehört; so gab man Geld über Geld, mich aus dem Hause zu bringen. Dieses geschahe endlich unter einer ansehnlichen Begleitung. Man brachte meinen Körper in die Kirche, mit Beobachtung aller derer kläglichen Gebräuche, so diejenigen verdienen, welche ein rühmliches Ende nehmen, und Mittel hinterlassen. Zuletzt trat noch ein Redner auf, welchem meine Erben in einem versiegelten Päcktchen vorher alle meine Tugenden begreiflich gemacht hatten. So zufrieden ich jederzeit in meinem Leben mit mir selber gewesen bin, so zweifelhaft war ich doch über dieser Lob- und Trauerrede, ob ich es auch wirklich sey, welchen er meine. Ich sah mich in der ganzen Kirche um, in der Meinung, vielleicht noch eine andre Leiche zu finden, auf welche alle diese Lobeserhebungen gehen sollten; ich fand aber dergleichen nirgends, und nunmehr merkte ich, daß ich es selbst in ganzem Ernste seyn müßte. Er nennte mich einen großen, berühmten, gründlichgelehrten Mann, eine Stütze der Wissenschaften, seinen Mäcenaten. Und das mochte noch gehen; für zwölf Ducaten war es eben nicht zu viel. Er verschwendete mehr, als zwanzig Figuren, die Bekümmerniß abzuschildern, welche meine Erben über das frühzeitige Absterben ihres Herrn Vetters empfunden, und diese waren aus Dankbarkeit so bescheiden, daß sie sich unter dem Flore versteckten, um ihn nicht öffentlich zu widerlegen. Er schrieb ihnen verschiedene andächtige Recepte vor, welche bey Stillung der Thränen sehr probat seyn sollten, das hätte der ehrliche Mann wohl ersparen können! Ich hörte ihm aber dennoch mit vieler Geduld zu. Endlich machte er es gar zu arg. Er schwur, und er schwur mit einer solchen Heftigkeit, daß er ganz braun im Gesichte ward; er schwur, sage ich, daß ich zwar ein großer Gelehrter, aber noch ein größerer Menschenfreund, ein starker Beförderer der schönen Künste und Wissenschaften, aber noch ein weit stärkerer Vertheidiger der Wittwen und Waisen gewesen wäre. Meine vergnügte und beglückte Ehe sey eine sichtbare Vergeltung dieser seltnen Tugenden gewesen. Brechet hervor! rief er, brechet aus eurer Gruft hervor, ihr vermoderten Gebeine der weiland Hochedelgebohrnen Frauen, Frauen – – – Himmel! wie erschrack ich, als ich hörte, daß er meine verstorbne Frau citirte! Ich floh, ohne mich umzusehen. Ich floh voll Angst zur Kirche hinaus.

Aus Furcht, die hochedelgebohrnen Gebeine möchten mir nachkommen, schwang ich mich in die Höhe, und erblickte daselbst eine große Menge abgeschiedner Seelen, welche mir theils fremd, theils bekannt waren. Dieser unvermuthete Anblick setzte mich in Erstaunen. Ich machte vor Verwunderung ein paar so große Augen, wie ein Würzkrämer in Ritzebüttel, wenn er in seinem Leben zum erstenmale auf die Börse nach Hamburg kömmt. Eine so zahlreiche Versammlung von Geistern hätte ich mir an diesem Orte nimmermehr vermuthet. Alle ihre Beschäfftigungen kamen mir fremd und ungewöhnlich vor. Ich war neugierig, und doch unentschlossen. Ich wußte nicht, wo ich mich zu erst hinwenden sollte, und gleichwohl war ich noch nicht beherzt genug, mich zu einer von diesen abgeschiednen Seelen zu nahen, und sie um dasjenige zu befragen, was mir zweifelhaft war.

Eine sehr lebhafte Seele, wie etwan die Seelen der jungen Herren seyn mögen, merkte diese meine Befremdung am ersten. Wir kannten beyde einander nicht; aber sie war so gefällig, daß sie auf mich zuflog, mich tausendmal auf das vertrauteste umarmte, und sagte: »Ganz unterthäniger Diener, mein allerliebster Herr Bruder! Ich bin erfreut, daß ich die Ehre haben soll, Sie hier zu finden. Kann ich Ihnen in etwas dienen, so bitte ich ganz gehorsamst, befehlen Sie nur. Nichts auf der Welt soll mir angenehmer seyn, als wenn ich im Stande bin, Ihnen eine Gefälligkeit zu erzeigen. Sie können Sich sicher auf meine Verschwiegenheit und Bereitwilligkeit verlassen. Nehmen Sie es nicht für ein bloßes Compliment an! Es ist, hol mich der Teufel! mein Ernst; ich steh allemal zu Dero Befehl.« Er umhalste mich von neuem, und ich war eben im Begriffe, ein so liebreiches Anerbieten mit vielem Danke anzunehmen, als er sich auf dem Absatze herumdrehte, mit dem Munde pfiff, mich allein ließ, und im Fortgehen mit einer heischern Stimme einige Verse sang, von denen ich weiter nichts, als diese Worte, verstehen konnte:

Je quitterai le jour
Plutôt, que mon amour,
Quand j'aime, quand j'aime.

Ich sahe, daß er einige Schritte von mir eine gleiche Dienstfertigkeit einer andern Seele, unter vielen Küssen und Umarmungen, zuschwur, welche er vielleicht eben so wenig kannte, als mich. Wenigstens verließ er sie eben so geschwind wieder, und ich konnte daraus schließen, daß seine ganze Beschäfftigung nur in Freundschaftsversicherungen bestünde.

Dieser Vorfall hatte mich noch zweifelhafter gemacht, als ich anfangs gewesen war. Ich hatte das Herz nicht, mich nach demjenigen, was ich sah, zu erkundigen; aus Furcht, ich möchte noch einmal in die dienstfertigen Hände eines jungen Herrn fallen. In dieser Ungewißheit erblickte ich, nicht weit von mir, eine Seele, welche auf alles dasjenige aufmerksam zu seyn schien, was in dieser Gegend vorgieng. Ich merkte deutlich an ihr, daß sie noch etwas wichtigers, als eine bloße Neugierigkeit, aufmerksam machte. Zuweilen schienen ihre Mienen ernsthaft zu seyn, zuweilen aber verriethen ihre Blicke etwas spottendes, und, wenn sie auch lachte, so geschah dieses doch mit einer so edlen Art, daß man die deutlichsten Spuren von Mitleid und Liebe dabey wahrnahm. Ich würde sie um deswillen für niemand anders, als für die abgeschiedne Seele des englischen Zuschauers gehalten haben, wenn sie nur ein kurzes und breites Gesicht gehabt hätte. Weil ich es also nicht selbst errathen konnte, so faßte ich das Herz, mich ihr zu nähern. Ich eröffnete ihr mein Anliegen, und ich merkte, daß sie über meine Fragen vergnügt war. Sie reichte mir die Hand, und sagte: Ich will dein Verlangen erfüllen. Seitdem ich von meinem Körper getrennt worden, seitdem ist dieses mein einziges Vergnügen, daß ich auf die Handlungen der abgeschiednen Seelen Acht habe. Eben dieses war vormals meine Beschäfftigung, daß ich auf meine Mitbürger Achtung gab. Ich zeigte ihnen in Schriften, worinnen sie fehlten, und wodurch sie ihre Glückseligkeit befördern könnten. Folge mir! Du wirst alles erfahren, was dir nützlich seyn kann. Ich bat sie, mir ihren Namen zu sagen. Sie that es, nachdem ich ihr vorher in diesem Stücke alle Verschwiegenheit versprechen müssen. Meine Leser werden mir verzeihen, daß ich hierinnen mein Versprechen halten muß. Die abgeschiednen Seelen sind noch etwas gewissenhafter, als die Seelen der Liebhaber.

Nicht weit von uns sah ich einen großen Zulauf von Seelen, und das Getümmel, welches sie verursachten, machte mir Lust, näher hinzugehen. Mein Führer warnte mich anfänglich, mit der Versicherung, daß man in diesem Gedränge gar leicht Schläge bekäme. Ich wagte es aber dennoch, und bat ihn, mich zu begleiten. Ich will es endlich thun, sagte derselbe; allein, entdecke mir vor allen Dingen, ob du ein Poet bist? Dieser Zweifel gieng mir durch die Seele, und in meinem Leben hätte ich es niemanden rathen wollen, eine so unbehutsame Frage an mich zu thun. Ich empfand den schmerzlichen Verlust meiner zurückgelaßnen Schriften auf einmal wieder. Ich war so thöricht, daß ich umkehren, und einige gedruckte Beweise holen wollte. Ich gab solches meinem Führer zu verstehen; allein, er machte mir eine so ernsthafte Miene, daß ich mich über meine Autorschaft zum erstenmale schämte. Ich versicherte ihn also nur mit furchtsamen Geberden, daß ich in meinem Leben kein Feind der Dichtkunst gewesen wäre. Das ist gut, sagte er, ich habe diese Frage deswegen an dich gethan, weil man sich in dieser Gegend, welche du betrachten willst, ohne eine Kenntniß der Gemüthsarten, und Ausschweifungen der Poeten in gar nichts finden kann. Du wirst wunderliche Gegenstände sehen. Es scheint, als ob sich die Natur an diesem Orte verloren hätte, und du wirst finden, daß daselbst alle Handlungen nicht so sind, wie sie natürlicher Weise zu seyn pflegen, weil dergleichen Poeten nicht so denken, wie sie natürlich denken sollten. Die ganze Gegend, fuhr er fort, wird besonders von einer Seele in Bewegung gesetzt, welche sich in ihrem Leben durch possierliche Handlungen von andern unterschieden hat. Ihr ganzer Aufzug sieht einem Traume ähnlicher, als einer wirklichen Begebenheit, welches eben daher kömmt, daß diese Seele mit dergleichen Träumereyen sich in ihrem Leben am meisten beschäfftigte. Sie hat in jener Welt die edlen Bemühungen vernünftiger Männer um den guten Geschmack sehr übel verstanden. Was jene durch Wissenschaft und Bescheidenheit erhielten, das suchte sie durch Geschrey und Ungestüm vergebens zu erhalten.

Mein Führer wollte weiter reden; allein, ich war aus Neubegierde so ungeduldig, daß ich ihn bey der Hand faßte, und mich durch den Pöbel drängte. Ich sah auf einem hohen Gerüste eine Seele, in der gewöhnlichen Pracht eines Marktschreyers, für welchen ich ihn gewiß gehalten haben würde, wenn nicht, wie gedacht, mein Führer mir vorher gesagt hätte, daß es ein Charlatan des guten Geschmacks sey. Er hatte sich auf einem erhabnen Orte, wo er alles übersehen, und ein jeder auch ihn wahrnehmen konnte, das Gerüste erbaut. Jedoch war die Architektur daran sehr gothisch und abgeschmackt, und die Verzierungen waren ganz ungleich. Einige Stücke davon bestunden in Schnitzwerke, welche sehr prächtig und mit vieler Kunst ausgearbeitet zu seyn schienen. Mein Führer versicherte mich, daß dieser Charlatan solche aus alten Tempeln entwendet, in welchen man sie als merkwürdige Ueberreste der griechischen und römischen Architektur aufgehoben, verschiedne aber durch einige seiner Bande, so er zu London und Paris deswegen unterhalten, erbeutet hätte, und nunmehr so unverschämt sey, solches für seiner eignen Hände Arbeit auszugeben, ungeachtet man ihn mehr als einmal seiner Dieberey zu überführen gewußt, und ihm so gar die Oerter genannt, wo er sie herbekommen habe. Diese Nachricht schien mir sehr glaublich, denn ich sah, daß diese gekaperten Zierrathen kaum den vierten Theil seines Theaters ausmachten, die übrigen drey Theile aber aus Klötzern, und ungehobelten Bretern, zum Theile aber aus Puppenwerke und solchem Geräthe bestunden, welches man den Kindern zum Spielen giebt. Alles dieses war sehr unordentlich zusammen genagelt, und es schien so baufällig zu seyn, daß es alle Augenblicke einzufallen drohte. Es würde vermuthlich auch geschehen seyn, wenn nicht verschiedne Personen, welche seine Liverey trugen, solches mit vieler Sorgfalt unterstützt hätten. Gleichwohl schien bey diesen mißlichen Umständen ihr Principal ganz unbesorgt zu seyn. Er gieng mit starken Schritten auf diesem Gerüste hin und wieder, und so oft er seine Medicamente anpries, so redete er mit einer solchen zuversichtlichen Stimme, daß das ganze Gebäude davon erschütterte. Niemals habe ich etwas übermüthigers gesehen, als diesen Charlatan. In seinem Gesichte war er sehr häßlich und ungestalt; gleichwohl konnte man es ihm von weitem ansehen, daß er sich geschminkt hatte, und dem ungeachtet war er so eitel, zu glauben, daß er der schönste Charlatan seiner Zeit sey. Man hat es, wie mir mein Führer erzählt, vielmals versucht, ihm aus seinem Irrthume zu helfen, und ihm um deswillen Spiegel vorgehalten: Allein dadurch ist er jedesmal so erbittert geworden, daß er nicht allein die Augen fest zugedrückt, sondern auch den Spiegel selbst mit einem Knittel, den er gemeiniglich seinen Beweis zu nennen pflegte, zerschlagen, und auf diejenigen losgeprügelt, welche es mit ihm so redlich gemeint, und ihm seine Häßlichkeit zeigen wollen. Seine Kleidung sah natürlich so aus, wie das fürstliche Gewand eines von denen theatralischen Prinzen, welche in kleinen Städten die Jahrmärkte besuchen, und ihre ganze Monarchie auf dem Schubkarren herum führen. Sie war an verschiednen Orten dergestalt zerrissen, daß sie nicht einmal seine Blöße völlig bedeckte, welchem Uebel er dadurch abzuhelfen suchte, daß er über die Löcher verschiedne Sinngedichte und Heldenoden klebte, welche seine Anhänger ihm zu Ehren verfertigt hatten. Bey den gemeinen Marktschreyern habe ich gefunden, daß sie ihr Theater durch Anklebung verschiedner Zettel ansehnlich machen, welche dem Pöbel von ihren verrichteten Wunderwerken Nachricht geben, und daß sie ihre Geschicklichkeit durch die erdichteten Privilegien von Allerunüberwindlichsten, Allerdurchlauchtigsten, und Großmächtigsten Häuptern glaubwürdig machen wollen. In diesem Stücke war es hier ganz anders beschaffen. Sein Theater war über und über mit Dedicationen und Vorreden beklebt, und an denen Orten, welche am meisten in die Augen fielen, war sein Bildniß unter vielerley Gestalten zu sehen, welche jedoch wenigstens darinnen einander ähnlich sahen, daß sie allerseits entweder mit Lorbeerzweigen oder mit einem gewissen Glanze ausgeziert waren, der die Unsterblichkeit vorstellen sollte. An statt der Privilegien aber führte er einen großen Blasebalg in der Hand, welchen er allemal zusammendrückte, so oft er von der Liebe zum Vaterlande redete.

Einen Umstand kann ich nicht unberührt lassen, weil er mir einige Nachricht von der Religion unsers Charlatans gab. Auf der ersten Seite des Theaters stund das Götzenbild eines Frauenzimmers. Dieses trug eine Krone von Federspuhlen, welche nach Art der Amerikaner in einer Rundung aufgestellt waren. An derselben hiengen die Namen verschiedner alter und neuer Schriftsteller, welche sie als Ketzer zum Tode verdammt hatte, weil sie sich geweigert, sie als eine Gottheit anzubeten. Ihr Kopf, welcher keine Augen hatte, war ungeheuer, noch größer aber ihr Bauch, und hierinnen habe ich nichts ähnlicher gesehen, als den Abgott der alten Deutschen, welchen sie den dicken Püster nennten, und dessen sich die Betrügerey der heydnischen Priester zum Schrecken des Volks zu bedienen wußte, wenn sie ihn durch ein geheimes Triebwerk Feuer speyen ließen; ungeachtet er nur ein Klotz war. Ihre Hände waren sehr stark und plump. In der linken hielt sie ein Fernglas, welches sie aber nicht brauchen konnte, weil sie blind war; gleichwohl merkte ich, daß sie es für ihr Gesicht hielt, um den Mangel der Augen zu verbergen. In der rechten Hand hatte sie ein Gefäß voll Dinte, das sie denen in die Augen zu schütten drohte, welche sich nicht entschließen konnten, sie für eine Gottheit zu erkennen. Sie saß auf einem sehr erhabnen Throne, welcher aber nur aus einem aufgeblasenen Schlauche bestund, so wie etwan diejenigen gewesen sind, in denen die Götter der Heyden ihre Winde verwahrten. Unter ihren Füßen lag ein nacktes Frauenzimmer, dessen Name mir unbekannt blieb, welches aber vermuthlich ihre ärgste Feindinn seyn mochte. Diesem Götzenbilde nahte sich unser Charlatan, so oft er merkte, daß seine Hitze und sein Eifer für das allgemeine Wohl einigermaaßen nachließ. Er betete sie mit eben der Niederträchtigkeit an, mit welcher er selbst verehret seyn wollte, und opferte ihr jedesmal auf einem kleinen Altare einige gelehrte Blätter, welche bloß dadurch das Feuer verdient hatten, weil nicht er, sondern ein andrer, sie geschrieben. Das sicherste Zeichen einer gnädigen Erhörung war dieses, wenn ihm unter seiner andächtigen Beschäfftigung der Schaum vor den Mund trat, und er ein gelehrtes Zucken in seinen Händen empfand, so wie es etwa bey den heftigsten Paroxysmus neidischer und zänkischer Schriftsteller seyn mag. Dieses Augenblicks bediente er sich mit großem Nutzen, und alsdann war er am geschäfftigsten, seine gelehrten Medicamente unter die Zuschauer auszutheilen, ihnen die probatesten Recepte des guten Geschmacks vorzuschreiben, und von denen Wundern zu erzählen, welche diese Universalarzneyen bey verschiednen seiner kindlichgehorsamsten Patienten gewirkt, die sie mit offnem Munde verschlungen hatten.

Sein größtes Geheimniß bestund in einer gewissen Art Pillen. Eine jede Dose davon, wickelte er in eine von den Lobschriften, welche man ihm zu Ehren, und der Nachwelt zur Erbauung, verfertigt hatte, und dadurch erlangte er einen doppelten Nutzen, weil er auf solche Art den Leuten seine Pillen, und seinen Ruhm, zugleich beybrachte. In der That hatten diese Pillen eine erstaunende Wirkung. Kaum hatte sie der Patient eingenommen, als er ein heftiges Grimmen im Gehirne empfand, das so lange anhielt, bis sich die Natur half, welches aber nicht nach dem ordentlichen Laufe der Natur geschah; sondern alle Unreinigkeiten giengen durch die Finger weg; und was mir dabey am seltsamsten vorkam, so fiengen die meisten der Patienten diese Unreinigkeiten mit einem Papiere auf, welches sie sodann mit einer demüthigen Verbeugung ihrem Arzte selbst widmeten, und zu fernerer Beförderung des guten Geschmacks überreichten. Sodann erhielten sie von ihm die Gewalt, unter seiner Aufsicht andre zu curiren. Ich habe gemerkt, daß sie in ihrer Cur oftmals viel heftiger waren, als ihr Oberhaupt, und ich habe es mit meinen Augen gesehen, daß einer derselben nur einige Schritte von mir einem der Zuschauer eine ziemliche Anzahl Pillen in den Hals steckte, um ihn auch wider seinen Willen von dem übeln Geschmacke zu curiren. Ich habe vergessen, zu erinnern, daß der Anführer dieser kleinen Charlatane erschreckliche Abentheuer von seinen Curen zu erzählen wußte. Das war ihm viel zu wenig, zu sagen: Diesen oder jenen gebrechlichen Mann habe ich durch meine herrlichen Elixiere, durch meine vortrefflichen Pillen curirt! Nein! zum wenigsten sein ganzes Vaterland war es, dem er geholfen hatte, und so oft seine Pillen bey einem Patienten so, wie ich oben erzählt habe, durchschlugen, so oft gratulirte er auch dem ganzen gemeinen Wesen. Beynahe hätte ich den wichtigsten Umstand ganz mit Stillschweigen übergangen. Ordentlicher Weise haben unsre Marktschreyer etliche Schnuren angereihter Zähne an dem Halse hangen, welche sie preßhaften Patienten ausgerißen haben, und nunmehr als Siegeszeichen herumtragen. Meine Leser können wohl glauben, daß unser Arzt dergleichen redende Zeugen seiner Geschicklichkeit und Erfahrung eben so wohl an sich hangen hatte. Zwar waren es keine Zähne, an deren Stelle aber eine große Schnur zusammengereihter und auserlesener Donatschnitzer, welche er aus den Schriften gelehrter Männer herausgehoben hatte. Ich konnte mich bey dem Anblicke dieser kostbaren Pracht unmöglich des Lachens enthalten; zu meinem größten Unglücke aber ward ich von einem dieser witzigen Adepten darüber entdeckt, welcher sich durch die andern Geister drängte, und indem er auf mich zueilte, einmal über das andere rief: Halt auf! Halt auf! Ich suchte mich unter dem Volke zu verbergen; er fand mich aber dennoch, und als er mich angepackt hatte, sagte er: Lasse sich der Herr curiren! Der Herr hat den Staar, einen gefährlichen Staar! Er kömmt nicht aus meinen Händen, bis ich ihm denselben gestochen habe! Halte der Herr im Guten, oder ich brauche Gewalt! Hier half weder Bitten noch Drohen; er fiel über mich her, warf mich zu Boden, und ich würde gewiß die erschrecklichsten Experimente haben ausstehen müssen, wenn nicht mein Begleiter, ich weis nicht mehr, was für ein Mittel, ausfündig gemacht hätte, mich den Klauen meines barbarischen Wohlthäters zu entreißen.

Indem ich noch vor Schrecken außer mir war, so kam ein Schatten, welcher diese Gewaltthätigkeiten von ferne wahrgenommen haben mochte, in vollem Laufe auf mich zu. »Protestiren Sie, mein Herr, rief er, als er wohl noch zehen Schritte von mir war, protestiren Sie! Ergreifen Sie das heilsame beneficium appellationis! Sie können es bezahlen, ich sehe es Ihnen an, Sie haben die gerechteste Sache von der Welt. Ich diene Ihnen mit Vergnügen, und ich will es billig machen. Sie sollen es erfahren. Wir wollen unsern Gegner ermüden, bis er selbst kommen und einen Vergleich anbieten soll. Ich will Ihnen für ein weniges Geld Zeugen schaffen, so viel Sie verlangen. Befehlen Sie etwa alte Documente? Ich will gleich welche zurechte machen. Wir wollen die Sache durch alle Instantien durchsetzen, und verlangen Sie es, so müßte ich meine Praxin schlecht verstehen, wenn ich es nicht in möglichster Kürze dahin bringen wollte, daß Ihr Rechtshandel in dreyßig Jahren noch eben so verwirrt aussehen sollte, als er itzt ist. Ich bin recht dazu geboren, meinen bedrängten Clienten beyzustehen. Feige werde ich, dem Himmel sey Dank, auch durch nichts, und im Schreiben bin ich unermüdet, so lange ich noch einen Finger rühren kann. Aber Geld müssen Sie freylich haben; denn ich und Ihr Richter können ohne Geld die Sache nicht recht einsehen. Was betreffen denn Ihre Streitigkeiten? Machen Sie mir nur einen kleinen statum caussae, einen ganz kleinen statum caussae. Aber ja kurz, so kurz als immer möglich, denn ich bin kein Liebhaber von Weitläuftigkeiten.« Ich erstaunte über die boshafte Dienstfertigkeit dieser kleinen geschwätzigen Seele, die so voll Begierde nach einer gerechten Sache um mich herum sprang, daß sie nicht ein Auge von meinem Schubsacke verwandte. Ich fieng schon an, zu zweifeln, oh ich den praktischen Händen meines rechtlichen Beystandes entgehen, und ohne Proceß von ihm loskommen würde, als ich mich besann, ihn zu bitten, daß er mir sein Wort halten, und in einer sehr wichtigen, meine Ehre und ganze Glückseligkeit betreffenden Sache, die ich ihm gleich entdecken würde, treulich beystehen, vor allen Dingen aber bey meinem Richter es dahin bringen sollte, daß ich das Armenrecht erlangen möchte. »Das Armenrecht! rief er mit einer kleinmüthigen Stimme. Ich wollte Ihnen gern dienen; aber ich mache mir ein Gewissen daraus, eine Sache anzunehmen, welche ich gleich beim ersten Anblicke unbillig finde. Streiten Sie ja nicht, Sie haben das größte Unrecht von der Welt! Vergleichen Sie Sich in der Güte, ich rathe es Ihnen wohlmeinend. Zum wenigsten werde ich mich wohl hüten, an Ihrem boshaften Vorhaben Theil zu nehmen, Sie sollten sich schämen, einem ehrliebenden und gewissenhaften Advocaten, wie ich bin, dergleichen Antrag zu thun! Leben Sie wohl!«

Ich freute mich, daß ich ein Mittel gefunden hatte, mich auf eine solche Art von diesem verdrüßlichen Handel los zu wickeln. Doch diese Freude war nur von kurzer Dauer. Denn ehe ich mich es versah, sprang eine Seele mit einem großen Körper hinter einem Busche hervor, und auf mich los. Ich erschrack, wie leicht zu glauben ist, da ich mir an diesem einsamen Orte von einem so unvermutheten Ueberfalle nichts gutes versprechen konnte. Ich floh, ohne mich umzusehen, und war vor Angst außer mir, als ich fühlte, daß man mich bey den Haaren hielt. Ich wandte mich um, in der Absicht, meinem Verfolger zu sagen, daß ich kein Geld hätte. Aber wie groß war mein Erstaunen, als dieser sich mit einer demüthigen Geberde, jedoch, ohne meine Haare loszulassen, vor mir bückte, und zu mir sagte:

  Der Ehrfurcht gieb es Schuld, gepriesner Mäcenat,
Daß ich aus reger Glut, mit demuthsvollen Händen,
  Den Wunsch – –

Ich habe nicht einen Dreyer in meinem ganzen Vermögen; war meine Antwort. Darauf ließ er mich mit einer verächtlichen Mine los, und ich sich ihn zu einem großen Schwarme kleiner Geister eilen, welche einer dicken Seele nachliefen, aus deren prächtigem Anzuge man ihre großen Verdienste und Gaben einigermaaßen wahrnehmen konnte. Ihr Geschrey war so verwirrt, daß ich anfangs nicht zu errathen vermochte, was es bedeuten sollte.

Ich wagte es aber, näher hinzuzugehen, und hörte einen Mischmasch von Altären, von Zierde des Vaterlandes, von Wundern seiner Zeit, von Nachwelt, von Unsterblichkeit, und von hundert schönen Sachen, deren eine jede, durch die Bank gerechnet, wenigstens einen Gulden werth war. Besonders kam mir eine etwas klare Stimme sehr bekannt vor, welche, um ihr Anliegen recht feurig zu verstehen zu geben, immer über das dritte Wort, O! rief. Es war lustig anzusehen, wie unermüdet diese kleinen Geister ihrem besungnen Helden nachliefen, welcher, wie man deutlich merken konnte, von dem vielen Weihrauche mehr und mehr aufschwoll, und durch seine hohen Blicke zu verstehen gab, daß er sich dieses Ruhms allerdings nicht unwürdig erkennte. Endlich erbarmte er sich seiner Clienten, kehrte sich um, und blieb stehen. Dieses vermehrte den Lärm. Die kleinen Seelen stolperten über einander weg, und drängten sich, weil eine jede die nächste seyn wollte. Sie hielten die offnen Hände empor, und sahen alle mit sehnlichen Blicken auf den patriotischen Geldbeutel ihres theuern Gönners, welcher auch in der That großmüthig genug war, und durch eine reiche Spende ihren ehrfurchtsvollen Magen befriedigte. Ich fragte eine davon, welche sich vor andern hervorgethan, und ganz aus dem Athem vergöttert hatte; wer denn dieser berühmte und tugendhafte Mann sey? wie er heisse, wodurch er sich um sein Vaterland so verdient, und eines so ausnehmenden Lobes würdig gemacht hätte? Das weis ich alles nicht, antwortete sie mir kaltsinnig; aber heute ist sein Geburtstag!

Zwo Seelen, die ich anfangs für Bierschröter ansahe, welche aber, wie ich von meinem Begleiter erfuhr, in ihrem Leben Kritici, und ganz abscheulich gelehrte Männer gewesen seyn sollten, verursachten einen großen Auflauf in der Gegend vor dem Stadtthore, wo sich sonst zu gewissen Zeiten die Ringer und Klopffechter von dem Pöbel bewundern lassen. Sie hatten einander auf die grimmigste Art bey den Haaren angefaßt, und ein jeder bemühte sich, den andern zu überwältigen. Dieser Kampf war merkwürdig, aber auch ungewiß, weil sie einander beyde gewachsen waren. Ich war nicht im Stande, einige Nachrichten von den Ursachen ihrer Verbitterung zu erfahren: denn alles, was ich noch hören konnte, waren solche Schimpfwörter, welche vielmals der witzigste Kutscher nicht gelernet hat, wenn er auch in seiner Muttersprache noch so stark ist. Endlich fiel der eine mit grosser Heftigkeit zu Boden. Sein Ueberwinder mochte vermuthlich gerechte Sache haben, denn er schlug, aus Liebe zum Vaterlande und zu den schönen Wissenschaften, ganz unbarmherzig mit geballter Faust auf ihn zu. Sie besudelten sich beyde, und erregten einen solchen Staub, daß ich nicht vermögend war, weiter etwas von ihnen zu sehen.


 << zurück weiter >>