Gottlieb Wilhelm Rabener
Satiren
Gottlieb Wilhelm Rabener

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Trauerrede

eines Wittwers

auf den Tod seiner Frau,

in der Gesellschaft

der geplagten Männer

gehalten;

nebst einer Nachricht

von dieser Gesellschaft.S. Belustigungen des Verstandes und Witzes, im Christmonat 1741.

 

 

Nachricht

von einer Gesellschaft

geplagter Männer.

 

Mein Herr,

Sie werden sich der Gefälligkeit noch wohl erinnern, welche Sie gegen diejenige erkenntliche Wittwe gehabt haben, die sich einbildete, sie könnte ihre jungfräulichen Zungensünden nicht schärfer büssen, als wenn sie eine Lobschrift auf die bösen Männer verfertigte. Ich fodre itzt, im Namen unsers Geschlechts, eine gleiche Willfährigkeit von Ihnen, und ersuche Sie, beyliegende Trauerrede, die ich auf den Tod meiner Frau, in der Gesellschaft der geplagten Männer gehalten habe, bekannt zu machen. Es würde dem männlichen Geschlechte nachtheilig seyn, wenn es von dem weiblichen an Großmuth übertroffen werden sollte; so viel kann ich Sie versichern, daß ich diese Trauerrede aus einem eben so redlichen Gemüthe gemacht habe, als unsre Wittwe ihre Lobschrift.

Ich glaube nicht, daß Sie von dieser Gesellschaft der geplagten Männer einige Nachricht haben werden. Es geht uns nicht viel besser, als den ersten Christen; wir versammlen uns nur bey verschloßnen Thüren, aus Furcht vor den Weibern. Niemand weis die Absicht unsrer Zusammenkunft, nicht einmal der Wirth, von dem wir das Zimmer gemietet haben. Dieser hält uns für Quacker, weil wir allezeit tiefsinnig aussehen, und die Köpfe hängen. Wir kommen wöchentlich einmal zusammen, und erzählen einander die Verfolgungen, welche wir, von Zeit zu Zeit ausstehen müssen. Sie können glauben, daß es uns niemals an Materie zu reden fehle. Es geht in unsrer Gesellschaft zu, wie in den Invalidenhäusern, wo die alten Soldaten von nichts, als von Feldzügen, von Hunger, von Beschwerlichkeit des Krieges, von Treffen reden, und einander die empfangnen Wunden zeigen. Es ist mir nicht erlaubt, Ihnen von der Einrichtung dieser Gesellschaft nähere Nachricht zu geben; dieses aber darf ich wohl sagen, daß wir einen Vorsitzenden unter uns haben. Hierzu gelangt keiner, der nicht besondre Vorzüge hat. Demjenigen, welcher itzt diese Würde bekleidet, wollten verschiedne unter uns den Rang streitig machen, er behauptete ihn aber dadurch, daß er bezeugte, seine Frau ließe ihn allemal unter den Tisch kriechen, so oft er nicht gut thun wollte.

Der Nutzen, welchen die Mitglieder unsrer Gesellschaft haben, ist augenscheinlich. Ich sage nicht zu viel, wenn ich versichere, daß derjenige der beste Philosoph sey, der eine böse Frau hat. Die Bändigung der Affecten, die Entsagung der Eigenliebe, der Bequemlichkeit, des Vergnügens, und alles dessen, was uns in Ausübung der Weltweisheit stören kann, dieses, sage ich, bringt niemand so hoch, als ein geplagter Mann. Fällt ihm seine Frau in die Haare, so wird er sich darüber nicht entrüsten; weil er glaubt, sie thue es mit zureichendem Grunde. Geht sie auf Eroberung aus, und sie ist bemüht den Haufen ihrer Anbeter zu vermehren; so wird er sich mit einer philosophischen Geduld waffnen: denn er weis, es wiederfahre ihm nichts, wozu er nicht prästabilirt sey. Schlagen Sie alle Schriften der tiefsinnigsten Weltweisen nach, kein einziger wird eine böse Frau zur besten Welt rechnen; aber unsre Gesellschaft ist überzeugt, daß böse Weiber zur besten Welt gehören.

Vielleicht halten Sie diese unsre Glückseligkeit nicht für beneidenswürdig; ich will Ihnen den Stand der geplagten Männer auch auf der schönen Seite zeigen.

Niemand kennt den Werth der Gesundheit, der nicht vorher krank gewesen ist; ein Sklave, der zehn Jahre auf den Ruderbänken geschmachtet hat, wird nach seiner Loslassung am besten sagen können, wie edel die Freyheit sey: Und ein Mann, der eine böse Frau begräbt, empfindet einen solchen Grad der Wollust, den niemand beschreiben kann, als wer in meinen Umständen ist.

Ich halte die Gesellschaft der geplagten Männer für eine Pflanzschule, in welcher man die geschicktesten Leute zu den allerbeschwerlichsten Aemtern antrifft. Ich finde hiervon einen starken Beweis in der glaubwürdigen Reisebeschreibung des beruffnen Klims, welcher unter andern vernünftigen Gesetzen der Einwohner des Planeten Nazars besonders dieses rühmt, daß sie zu den beschwerlichsten Verrichtungen die geduldigsten Ehemänner nehmen. Sie werden mir verzeihen, wenn ich Ihnen hier kein Verzeichniß von dergleichen mühseligen Aemtern mache; dieses einzige muß ich, mit Ihrer Erlaubniß, erinnern, daß sich, nach meiner Meynung, niemand besser zu einem Scribenten schicke, als ein geplagter Mann.

Bedenken Sie nur selbst, was ein Autor ausstehen muß. Er stellt sich den Urtheilen aller Welt bloß; er geht durch gute und böse Gerichte, und die letzten sind gewiß häufiger, so lange es mehr Leute giebt, die lesen, als die schreiben können. Wie standhaft wird hierbey ein geplagter Mann seyn! Haben ihn die unfreundlichen und gehäßigen Blicke, das Schelten, die Schimpfreden, ja so gar die erbitterten Hände seiner Frau nicht zur Verzweiflung bringen können; so wird er gewiß auch alsdann gelassen bleiben, wenn die Leser seine Schriften mit dem strengsten Eifer beurtheilen. Ich weis nicht, mein Herr, ob Sie verheirathet sind; ich sollte es aber fast glauben, und ich bin begierig, Ihre Frau kennen zu lernen. Den sparsamen Wachsthum der schönen Wissenschaften schreibe ich keiner andern Ursache, als dieser, zu, daß es unter uns eine so große Anzahl Scribenten giebt, welche entweder gar keine, oder doch keine bösen Weiber haben. Wenn diese schreiben, so haben sie nicht das Herz, bey ihrer guten Absicht standhaft zu bleiben. Die geringste Drohung, ein Zeitungsblatt erschreckt sie, und reißt ihnen die Feder aus der Hand; sie geben bey dem ersten Feuer die Flucht. Ich finde eine große Aehnlichkeit zwischen den Actien, und den Schriften dieser unabgehärteten Scribenten. Eine Schifferzeitung, ein Nordwestwind, ein kleiner Seesturm, ein Kaper ist vermögend, zu machen, daß jene auf einmal fallen: diese aber gerathen gleich ins Stecken, so bald ein Widersacher aufsteht, der ihnen die Zähne weist.

Ich vermuthe, es werde Ihnen diese Erzählung eine Hochachtung für unsre Gesellschaft beygebracht haben. Sie werden mich in dieser Meynung bestärken, wenn Sie die Anstalt treffen, daß ich meine Trauerrede gedruckt lesen kann. Leben Sie wohl.

 

Trauerrede
eines Wittwers,
auf den Tod seiner Frau.

Meine Herren,

Niemals habe ich die Gesetze unsrer Gesellschaft mit mehrerm Vergnügen beobachtet, als itzt, da ich mit Ihnen von dem Verluste reden soll, welchen ich durch das Absterben meines Weibes erlitten habe. Schon seit vielen Jahren wünschte ich mir diese Gelegenheit zu reden, und dieses bloß darum, damit ich Ihnen in einem kurzen Abrisse die ganz besondern Eigenschaften meiner Frau vorstellen möchte, welche mich ein zehenjähriger Ehestand deutlich genug hat kennen lernen. Sie wissen wohl, meine Herren, daß mir bey ihren Lebzeiten dieses zu thun nicht vergönnt war; sie konnte nichts weniger vertragen, als das Lob ihres Mannes, und alles, was ich von ihren Fähigkeiten erzählte, kam ihr verdächtig vor. Nunmehr befreyet mich ihr Tod auch von diesem Zwange; und wenn Sie bedenken wollen, wie sehr mich dieser Verlust schmerze: So werden Sie auch wohl einsehen können, wie groß mein Vergnügen seyn müsse, da ich Sie von der Wichtigkeit desjenigen unterhalten kann, was ich verloren habe. Finden Sie vielleicht nicht in meinen Augen die Blicke eines bekümmerten Wittwers: So wird Ihnen doch dieser Trauermantel, und dieser lange Flor von meiner Betrübniß zeugen können. Ich bin eben so sehr gerührt, als andre, welche der Himmel in meine Umstände versetzt hat. Nur darinnen unterscheide ich mich von jenen, daß ich meine Regungen durch kein Tuch zu verbergen suche. Gönnen Sie mir eine kleine Aufmerksamkeit. Hierdurch machen Sie mich Ihnen so verbindlich, daß ich meine Wünsche verdoppeln werde, Ihnen bey einer gleichen Gelegenheit eben so gefällig seyn zu können.

Meine Liebe hat sich mit einer Krankheit angefangen, womit die meisten unsers Geschlechts befallen werden. Mir ist es einerley, ob man sie Milzsucht, oder Fieber, oder gar den verliebten Schwindel heißt; so viel weis ich noch, daß ich damals meine Freunde beredete, ich sey bezaubert, und dieses war allerdings nicht unwahrscheinlich. Ein Blick, ein einziger Blick von einer Person, die ich meine Grausame nannte, brachte mich in die äußerste Verwirrung. Ich sah, ich seufzte, und auf einmal empfand ich eine Gewalt in mir, welche mich alles Nachdenkens beraubte. Mein Geblüt kam in ein heftiges Wallen, ich ward unruhig, und gieng des Tages wohl hundertmal, diejenigen Hände zu küssen, welche mich, wie ich klagte, gefesselt hielten. Ich küßte sie, und dieses brachte meine Bezauberung aufs höchste. Ich verlor die Sprache, wenigstens diejenige, welche man bey gesunden Leuten hört. Ich redete von nichts, als von Sterben, von Entzückungen, von Cometen, von Blitzen, von Sonnen, von Opfern; ja, ich habe nach der Zeit erfahren, daß ich so gar in Versen geredet habe. Bald verwandelte ich meine Zauberinn in einen Schäfer, und ich beschwur die Felsen; bald dünkte mich, ich sey mehr, als alle Könige, und der Zepter war das geringste, was ich zu den Füßen meiner Gebieterinn legen konnte. Endlich erbarmte sich meine Grausame. Sie gab mir ihre Hand, und dieses endigte meine Bezauberung auf einmal. Meine Gesichter verschwanden, und ich sahe meine Frau. Alle schmeichelnde Entzückungen verloren sich. Ich war weder Schäfer, noch König; nichts blieb mir übrig, als eine Gebieterinn. Sie werden es entschuldigen, meine Herren, wenn ich in dieser Beschreibung zu weitläuftig gewesen bin. Sie haben sich vielleicht mehr als einmal gewundert, wie ich mich entschließen können, eine Frau, wie die meinige, zu heirathen: nunmehr werden Sie einsehen können, daß die Ueberlegung an dieser Wahl keinen Antheil gehabt hat.

Ich habe Ihnen einen ganz kurzen Abriß von den ganz besondern Eigenschaften meiner Frau versprochen; ich will dieses Versprechen erfüllen, und Sie werden finden, daß alles ganz besonders gewesen ist.

Mich dünkt, diejenigen sehen den Nachdruck und Gebrauch unsrer Sprache nicht genugsam ein, welche das Wort, Ehestand, als einen Innbegriff alles desjenigen betrachten, was man durch zärtliche Liebe, durch den höchsten Grad der Freundschaft, durch vernünftigen Umgang, durch eine edle Bemühung eines beyderseitigen Vergnügens und, ich weis nicht, durch was für schöne Benennungen mehr, ausdrückt. Man findet vielleicht diese Bedeutung in den Wörterbüchern, oder in den Schriften philosophischer Junggesellen; ich glaube aber nicht, daß eine solche Auslegung im gemeinen Leben einen großen Nutzen habe. Wenigstens war derjenige Ehestand ganz anders beschaffen, in welchen mich das Verhängniß gesetzt hatte. Auch meiner Frau kann ich es nachrühmen, daß sie sich einen ganz andern Begriff davon machte. Sie war meine Frau, weil ich ihr Mann war; sie hatte mich geheirathet, um sich ernähren zu lassen. Dieses hielt sie für ihre Pflichten des Ehestandes; und ich muß es gestehen, daß sie dieselben niemals gebrochen hat.

Ich bewundre ihre Einsicht, wenn ich daran gedenke, wie nachdrücklich sie die Meinung derer zu behaupten wußte, welche glauben, daß die Herrschaft der Männer in den Gesetzen der Natur nicht den geringsten Grund habe. Den Anfang zu ihrer unumschränkten Macht legte sie durch Blicke und schmeichlerische Mienen; ich ward erweicht, und gab mit Vergnügen nach. Sie gieng weiter; sie befestigte ihre Gewalt durch Worte, und ein ernsthafteres Verlangen. Ich schwieg, und ließ mir alles gefallen, um wenigstens den Rest der eingebildeten Herrschaft zu erhalten. Endlich machte sie ihren Sieg vollkommen; sie befahl, sie drohte, und ich wußte durch nichts, als durch einen blinden Gehorsam, mein Schicksal erträglich zu machen.

Meine Frau war viel zu edel gesinnt, als daß sie ihre Gemüthsruhe durch die Sorgen der Nahrung hätte unterbrechen sollen. Sie überließ sich der Vorsehung des Gesindes. Sie befürchtete, sie möchte die Natur beschimpfen, wenn sie diejenigen schönen Hände in der Küche besudelte, welche ich ehedem recht abgöttisch geküßt hatte, und von denen ihre Verehrer noch itzt zweifelhaft waren, ob sie den Schnee, oder den Alabaster, überträfen.

Ich war so glücklich, daß sich beständig Kenner fanden, welche meine Wahl vollkommen billigten. Sie wußten es meiner Frau auf das verbindlichste vorzusagen, daß sie die artigste Person von der Welt wäre. Sie beneideten das Glück desjenigen Sterblichen, welchem vergönnt wäre, eine so anbetenswürdige Göttinn zu lieben. Meine Frau nahm Antheil an meinem Glücke; sie konnte diese Schmeicheley wohl leiden, und war allemal erfreut, ich weis aber nicht, ob über ihre göttlichen Eigenschaften, oder darüber, daß man ihr sagte, ich sey ein Sterblicher. Dieses muß ich noch zum Ruhme meiner Freunde erinnern, daß sie dergleichen Lobeserhebungen niemals in meiner Anwesenheit vorbrachten; selbst meine Frau war hierinnen vorsichtig. Eine solche Erklärung hätte mich hochmüthig machen können, und ich würde es nicht ohne Erröthung angehöret haben, wenn man dieses in meiner Gegenwart hätte sagen wollen.

Meine Frau war bemüht, ihre natürliche Schönheit durch einen prächtigen Aufputz noch mehr zu erheben. Sie wußte, daß die Kleidung noch zu etwas weiter, als zur Bedeckung der Blöße, dienlich wäre. Ich kann nicht läugnen, daß mir diese ihre Einsicht sehr theuer zu stehen kam. Ich weis, wie viel es mich gekostet hat, nur ihren Reifenrock in baulichem Wesen zu erhalten, und es ist mehr als einmal geschehen, daß sie dasjenige an einen einzigen Kopfputz gewandt, was ich binnen vier Wochen nicht ohne saure Mühe erworben hatte. Sie hatte etwas gelesen, das sie für einen sinnreichen Scherz hielt, und mit Vergnügen auf sich deutete, wenn sie sagte: Es wären ihr alle vier Theile der Welt zinsbar. der Perser spinne für sie; der Mohr fange ihr die Perlen; der Amerikaner durchwühle die Erde, ihr den nöthigen Putz zu schaffen; der Europäer wage sein Leben, alles dieses herzubringen; ihr Mann aber sey nur um deswillen erschaffen, daß er die nöthigen Kosten dazu verdiene. Ich weis nicht, ob dieser Gedanke wohl ausgesonnen ist; daß er aber allerdings gegründet gewesen, solches habe ich merklich genug empfunden.

Sie dürfen nicht gedenken, meine Herren, als wäre der Endzweck dieses prächtigen Aufputzes der gewesen, daß sie ihrem Manne hätte gefallen wollen. Keinesweges. Hierinnen war sie unbesorgt, und sie gehörte unter die Zahl derjenigen Weiber, welche alles für überflüßig halten, was ihren Männern zu gefallen geschieht, und welche in ihrem Anzuge alsdann am unachtsamsten sind, wenn sie niemanden, als ihre Männer, um sich haben. Die ganze Stadt sollte Zeuge von ihrer wohlausgesonnenen Pracht seyn. Sie besuchte Gesellschaften, welche ihr zu dieser Absicht dienlich waren, und kehrte allezeit mit einer triumphirenden Miene zurück, wenn sie merkte, daß sie den schmeichlerischen Beyfall eines artigen Herrn erhalten, und eine eifersüchtige Nachbarinn in Unruhe gesetzt hatte.

So kostbar dieser Aufwand war, so sorgfältig war meine geschickte Frau, denselben durch verschiedne Arten der Sparsamkeit einiger maaßen zu ersetzen. Niemals schien ihr das Gesinde boshafter zu seyn, als wenn die Zeit herankam, da es seinen Lohn fodern konnte. Sie war recht sinnreich in Erfindung der Ursachen, solchen zu verkümmern, und konnte es mit einer wunderbaren Standhaftigkeit ansehen, wenn ein Dienstbothe mit leeren Händen von ihr ziehen mußte. Nichts auf der Welt war ihrer Natur so zuwider, als die flehende Stimme eines Armen. Hierinnen erzeigte sie sich als eine gute Bürgerinn, indem der Befehl wider die Bettler dasjenige Gesetz war, welches sie am liebsten mit einer unverbrüchlichen Sorgfalt beobachtete. Ich habe es nicht, ohne gerührt zu werden, anhören können, so oft sie einen Dürftigen, der um eine geringe Gabe bat, mit dem heftigsten Eifer über seine Faulheit, sein lüderliches Leben, und seine niederträchtige Aufführung von sich stieß. Wenn ich zuweilen dieses Bezeigen für unfreundlich halten wollte; so wußte mir meine gute Wirthinn die schweren Zeiten sehr lebhaft zu Gemüthe zu führen.

Aus dieser Erzählung können Sie wohl sehen, daß unter den Tugenden meiner Frau das thätige Christenthum nicht die kleinste gewesen ist. Ich kann Sie, meine Herren, das im Ernste versichern, daß ihre Andacht jedermann in die Augen fiel. Die ganze Woche hindurch war nichts vermögend, ihre erquickende Ruhe zu unterbrechen, und sie schlief ungestört so lange, bis sie ihre Berufsarbeit zum Caffeetische nöthigte. Desto muntrer hingegen war sie an den Feyertagen. Sie bereitete sich etliche Stunden lang vor dem Spiegel zu ihrer Andacht, und wußte ihren Anzug mit einer sehr genauen Sorgfalt einzurichten, weil, wie sie sagte, die geringste Unordnung ihren Nebenchristen in der andächtigen Beschäfftigung stören könnte. In der Kirche waren ihre Augen ohn Unterlaß in Bewegung. Sie hat mich versichert, es geschähe dieses nicht aus Neugierigkeit, sondern darum, weil sie ein Vergnügen empfände, an einem Orte so viel gläubige Seelen beysammen zu sehen, welche allerseits mit ihr aus einerley Absicht dahin gekommen wären.

Es erfodern, wie Ihnen bekannt ist, die Statuten hiesiges Orts, daß das Frauenzimmer des Nachmittags, nach geendigter Andacht, zusammen komme. Wer niemals die Ehre gehabt hat, dabey zu seyn, der könnte glauben, es geschähe dieses wegen des Caffees und des Spielens: Allein, diese Meinung ist falsch; es geschieht lediglich in der Absicht, dasjenige zu wiederholen, was man in der Kirch gehört und gesehen hat. Auch hierinnen übertraf meine Frau ihr ganzes Geschlechte. Ich habe bey dieser Gelegenheit mit Verwunderung gehört, wie aufmerksam sie in der Kirche gewesen war. Ihre Beredtsamkeit war erstaunend, wenn sie den Inhalt desjenigen beurtheilte, was an heiliger Stäte geredet worden war. Sie machte die ganze Gsellschaft dadurch aufgeräumt, und hätte wegen ihrer witzigen Spötterey billig den Namen eines starken Geistes verdient, wenn sie eine Mannsperson gewesen wäre. Die reichste Materie wird endlich erschöpft, und die Ordnung der Gedanken führte meine strenge Richterinn auf die andern Personen, welche zugegen gewesen waren. Es schien etwas übernatürliches zu seyn, wenn man sie die geheimsten Nachrichten ihrer Nachbarn erzählen hörte. Sie erklärte die verstohlnen Blicke jener Freundinn, welche die Eifersucht ihres Mannes so behutsam gewöhnt hatte. Sie wußte von dem Fächer eines Frauenzimmers, welches ihr gegen über gesessen, einen weitläuftigen Roman zu erzählen, und schwur, daß vier wohlhabende Männer vergebens seufzten. Sie stellte ihren Feinden mit einer ungemeinen Zuversicht die Nativität, wobey sie mit vieler Wahrscheinlichkeit anzeigte, warum es dieser oder jener unglücklich gehen müßte. Der sündliche Hochmuth einer Frau, welche ihr acht Tage vorher den Rang streitig gemacht, war die einzige Ursache, warum sie der Himmel zween Tage darauf augenscheinlich gezüchtiget, und durch einen Verlust gedemüthigt hatte, welchen ihr Mann in seiner Nahrung erlitten. Jedes Strafurtheil, das sie fällte, endigte sich mit dem christlichen Seufzer, sie wolle niemanden nichts Böses nachgeredet haben.

Nunmehr wird mir es leicht fallen, Ihnen einen genauern Begriff von der Kinderzucht meiner verstorbnen Frau beyzubringen. Sie wissen, meine Herren, daß ich der Vater einer Tochter bin, und wenn Sie es nicht glauben wollen, so kan ich es Ihnen aus dem Kirchenbuche beweisen. Diese Tochter hat mir in den ersten sechs Wochen mehr, als die ganze folgende Zeit über, gekostet. Ich will von dem prächtigen Aufputze des Wochenzimmers nichts gedenken, welcher allerdings verschwenderisch würde gewesen seyn, wenn er nicht zu Ehren meiner Frau, und ihrer Nachkommen, also eingerichtet worden wäre: nur dieses muß ich erinnern, daß mir damals die guten Wünsche unzähliger neugieriger Freundinnen mehr Schaden an meinen Einkünften gethan haben, als jemals die Flüche meiner Feinde. Meine Frau hatte diese Tochter zur Welt gebracht, und also alles verrichtet, was man von einer Mutter fodern kann. Der Wohlstand nöthigte sie, eine Amme zu wählen, welche die Pflichten der Ernährung über sich nähme. Schon im zweyten Jahre zeigte das Kind, zum unaussprechlichen Vergnügen seiner werthesten Mamma, die deutlichsten Proben eines durchdringenden Verstandes, da es mit der größten Heftigkeit dasjenige verlangte, was ihm einfiel, und mit Händen und Füssen seinen Unwillen bezeugte, wenn jemand so unbedachtsam war, und ihm widersprach. Schläge gehören nur für die Kinder gemeiner Leute; meine Frau hielt es für eben so grausam, ihr Kind zu schlagen, als wider ihr eignes Eingeweide zu wüten. Man war sehr sorgfältig, meine Tochter zu unterweisen. Das erste, was sie von ihrer Muttersprache lernte, war dieses: Sie sey ein artiges Kind, und wenn sie fromm wäre, so sollte sie auch einen hübschen Mann bekommen. Diese wichtige Ermahnung war nicht ohne Nutzen. Die Hoffnung, einen Mann zu bekommen, hatte so vielen Nachdruck in dem Gemüthe dieser Tochter, daß sie alles faßte, was meine Frau für Tugenden ihres Geschlechts hielt. Im vierten Jahre verstund sie die Wirkung des Spiegels; im fünften erlangte sie einen Geschmack von schönen Kleidern; im sechsten war sie vermögend, über ihre Gespielinnen zu spotten; im siebenten faßte sie die Regeln des Lombers, und andern Zeitvertreibes; im achten unterwies man sie in de Kunst, zärtlich zu blicken, und artig zu seufzen; und nunmehr war meine Frau eben im Begriffe, ihr eine kleine Kenntniß von demjenigen beyzubringen, was der gemeine Mann Christenthum und Wirthschaft nennt, als eine unverhoffte Krankheit diese sorgfältige Mutter von ihrer hoffnungsvollen Tochter trennte.

Ich komme itzt auf denjenigen Umständ meiner Ehe, an welche ich nicht ohne die empfindlichste Rührung gedenken kann. Was bey einem Trauerspiele die Aufwickelung des Knotens heißt, daß ist in dem Ehestande der Tod unsrer Weiber. Je verwirrter, je betrübter bey jenem das widrige Schicksal der ausgeführten Personen vorgestellt wird, desto wichtiger scheint uns die Aufwickelung. Ich sehe dem Tode meiner Frau getrost entgegen, weil ich dadurch aufhöre, eine beschwerliche Rolle zu spielen, und weil ich ihr diejenige Ruhe von Herzen gönne, welche die Weltweisen so lebhaft zu rühmen wissen. Meine Frau fiel in eine Krankheit, wobey gleich die ersten Anzeigen tödtlich waren. Sie nahm ihre Zuflucht zum Arzte, welcher sie in seiner Sprache sehr umständlich versicherte, daß sie sich nicht wohl befände. Er hatte Recht: denn das Uebel nahm in wenigen Stunden dergestalt zu, daß er an nichts weiter gedachte, als sie nur nach gehöriger Ordnung zu ihren Vätern zu versammlen. Man kann das Gemüth eines Menschen niemals besser einsehen, als in demjenigen Augenblicke, wenn die Seele anfängt, sich von der Beschwerlichkeit des Leibes frey zu machen. Dieses habe ich an meiner sterbenden Frau beobachtet. Sie foderte einen Spiegel; sie sah sich an, und erschrack. Ich sterbe, rief sie, ich sterbe zu früh! Meine Schuldigkeit war, sie zu trösten. Ich redete ihr zu: sie solle nur freudig sterben. Aber ein zorniger Blick unterbrach meine Vermahnung; sie stieß mich mit den Worten von sich: Schweig, Verräther! Dieses war ihr letzter Wille, welchen sie in dem Augenblicke mit ihrem Tode versiegelte.

Ich bin nicht vermögend, meine Herren, Ihnen dasjenige deutlich genug zu beschreiben, was ich damals in meinem Gemüthe empfand. Stellen Sie sich einen Menschen vor, welchen ein fürchterlicher Traum beunruhigt. Er befindet sich auf der See, wo ihn ein heftiger Sturm von der größten Höhe in den tiefsten Abgrund wirft; sein Schiff scheitert; er glaube, nun sey alles verloren, und erwacht. Mein Ehestand hat zehen Jahre gedauert, die schärfsten Proben einer strengen Geduld hatte ich ausgehalten, noch sah ich nicht die geringste Hoffnung, als meine Frau ganz unvermuthet starb.

Dieses wird genug seyn, Ihnen, meine Herren, einen hinlänglichen Begriff von den ganz besondern Eigenschaften meiner Frau beyzubringen. Nunmehr werden Sie überzeugt seyn, daß ich der Ehre, Ihr Mitglied zu heissen, nicht ganz unwürdig gewesen. Ich bescheide mich dessen gar wohl, daß ich nur die unterste Stelle verdiene, da mir diejenigen Vorzüge nicht unbekannt sind, welche Ihre Weiber noch vor der meinigen haben.


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