Gottlieb Wilhelm Rabener
Satiren
Gottlieb Wilhelm Rabener

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Dieses war die letzte Kraft meines jungfräulichen Stolzes, und nunmehr kam die Reihe an mich, gedemüthiget zu werden.

Hier fängt sich der zweyte Theil meines Romans an. Wie traurig ist diese Veränderung für mich!

Mein Vater starb. Was ich befürchtet hatte, geschahe, und noch weit mehr. Er verließ kein Vermögen, es meldeten sich so gar verschiedene Gläubiger, und man fand in seinen Rechnungen viele Unrichtigkeiten, welche machten, daß auch die Caution zurück behalten ward. Ueberlegen Sie es einmal, mein Herr: Ein Mädchen von dreyunddreyßig Jahren ohne Aeltern, ohne Vermögen, dasjenige zu bestreiten, was zum nothdürftigsten Unterhalte erfodert wird; ein Mädchen, welches sich durch ihren Hochmuth alle zu Feinden gemacht hatte, welches so bequem, und vornehm erzogen, und itzt von allen verlassen, und nicht geachtet war; mit einem Worte, eine alte Jungfer ohne Geld, ohne Schönheit, ohne Freunde, und deutsch zu reden, ohne Verstand, ist so ein Mädchen nicht eine erbarmenswürdige Creatur? Was sollte ich anfangen? Zwey Jahre hatte ich mich unter meinen Verwandten aufgehalten, und für die kleinen Gefälligkeiten, die sie mir, als ein Allmosen erwiesen, viel Demüthigung erfahren müssen. Sie wurden mich überdrüßig, und sie sagten mir es deutlich, daß sie wünschten, ich möchte mich entschließen, sie zu verlassen. Wo sollte ich hin? War ich nicht bey diesen kümmerlichen Umständen zu entschuldigen, daß ich einen Schritt wagte, der eine Folge meiner grossen Verzweiflung war, der mich allen, die meine Noth nicht wußten, verächtlich, und lächerlich machte, und dessen ich mich gewiß noch itzt schämen würde, wenn mich nicht mein Unglück so abgehärtet hätte, daß ich weiter nicht im Stande bin, mich über eine Niederträchtigkeit zu schämen?

Mein Vater hatte ein armes Kind zu sich zur Aufwartung, als Jungen, genommen, und ihn endlich zum Schreiber heran gezogen. Er mochte bey dem Absterben meines Vaters ungefähr dreyßig Jahre alt seyn. Seine Person war sehr unansehnlich, seine Sitten verriethen seine schlechte Abkunft, und die Livrey, die er lange Zeit getragen hatte. Dieser Mensch, welcher wenigstens funfzehn Jahre meines Vaters demüthiger Johann gewesen war, sollte itzt das unerwartete Glück haben, die stolze Tochter seines ehemaligen Herrn zur Frau zu bekommen, damit sie nicht vor Hunger sterben möchte. Glauben Sie nur, mein Herr, daß mich dieser bittre Entschluß viel Selbstverläugnung gekostet hat. Dieser Mensch hatte sich bey dem Leben meines Vaters so wohl vorzusehn gewußt, daß er einige hundert Thaler sammeln, und sich die Gnade eines vornehmen Mannes erwerben können, der ihm, als mein Vater gestorben war, den Geleitseinnehmerdienst in einem kleinen Orte an der Gränze verschafft; einen Dienst, der etwan zweyhundert Thaler eintragen mochte. Ich hörte, daß er noch unverheirathet sey, und ich schrieb nachstehenden Brief an ihn, welcher mich viel Thränen kostete, ehe ich ihn zu Ende brachte. Wie krümmte sich mein Hochmuth!

 

Mein Herr,

»Es ist eine von meinen angenehmsten Beschäfftigungen, wenn ich itzt an diejenige Treue und Ergebenheit zurück denke, welche Sie, mein Herr, gegen meinen seligen Vater funfzehn Jahre lang auf die unverbrüchlichste Art bezeigt. Dieser rechtschaffne Vater, welcher so vorsichtig, als dienstfertig war, hat sich niemals in seiner Wahl betrogen. Der erste Blick, den er auf Sie that, entdeckte ihm alles das Gute, und die lobenswürdigen Eigenschaften, welche den Werth Ihrer Seele ausmachten. Er eilte, Sie aus dem Mangel zu reissen, welcher Sie in dem Hause Ihrer armen Aeltern niederdrückte; er nahm Sie zu sich, und liebte Sie bis an sein Ende, als sein eignes Kind. Da er mich beständig mit Ihrem frommen christlichen Wandel, mit Ihrer Treue, mit Ihrem Fleisse, und mit der Hoffnung unterhielt, die Sie zu Ihrem künftigen Glücke von sich blicken liessen; so würde ich vielleicht vielmal Gelegenheit gehabt haben, über die Liebe meines Vaters gegen Sie eifersüchtig zu werden, wenn ichs nicht für einen Theil meiner Schuldigkeit angesehen hätte, Ihren Verdiensten Recht wiederfahren zu lassen. Der unvermuthete Tod meines Vaters hinderte ihn, dasjenige zu Stande zu bringen, was er sich zu Ihrem Besten vorgenommen hatte. Alles, was er thun konnte, war dieses, daß er wenig Stunden vor seinem Ende mir sagte, wie nahe ihm dieses gienge, wie sehr er Sie liebte, und wie aufrichtig er wünschte, daß ich mich entschliessen möchte, Ihnen, mein Herr, diejenige Freundschaft zu erzeigen, die er Ihnen für Ihre redliche Dienste schuldig zu seyn glaubte. Er sagte dieses, und noch viel mehr, als er starb. Der redliche Vater! Seit diesem betrübten Absterben sind mir seine letzten Worte niemals aus den Gedanken gekommen, ob ich schon keine Gelegenheit gehabt habe, Ihnen, mein Herr, etwas davon zu eröffnen. Die glückliche Verändrung Ihrer Umstände sehe ich als eine Wirkung des letzten Segens meines Vaters, und als eine Belohnung Ihrer Verdienste an, die Ihnen den Weg zu demjenigen weitern Glücke bahnt, dessen Sie so würdig sind. Ich bezeuge Ihnen meine aufrichtige Freude darüber, welche Ihnen vielleicht nicht ganz gleichgültig seyn kann, da Sie, wie ich hoffe, noch itzt nicht aufgehört haben, ein Freund von meines Vaters Hause zu seyn, und da ich bereit bin, dem Wunsche meines sterbenden Vaters, und, wenn ich so sagen darf, seinem letzten Willen aufs sorgfältigste nachzuleben, und es Ihnen zu überlassen, wie genau diejenige Freundschaft unter uns seyn soll, welche mir mein Vater noch auf dem Todbette so nachdrücklich empfohlen hat. Ich glaube, diejenige Achtung und Gefälligkeit verstanden zu haben, welche Sie mir, mein Herr, in meines Vaters Hause die letztern Jahre über bey verschiednen Gelegenheiten gezeigt. Ich lebte damals unter der Gewalt eines Vaters, und es stund bey mir nicht, Ihnen zu eröffnen, wie geneigt ich sey, diese Achtung zu vergelten. Sie selbst, mein Herr, waren nach der Art aller tugendhaften Gemüther in diesemFalle zu blöde, und glaubten, obwohl ganz ohne Ursache, meinen Vater zu beleidigen, der Sie als sein Kind liebte, und damals schon Ihr Vater war. Sein Tod hat auf beyden Seiten den Zwang aufgehoben. Sie haben keine Ursachen mehr, blöde zu seyn, und ich stehe unter keiner Gewalt mehr, welche mich abhalten könnte, Ihnen zu sagen, wie hoch ich Sie schätze. Es wird auf Ihrem Ausspruche beruhen, wie weit ich in meiner Hochachtung gegen Sie gehen darf. Ich wenigstens wünsche mir nichts mehr, als die beständige Freundschaft eines Mannes, welcher wegen seiner Tugend und Verdienste der einzige ist, der einzige unter allen, den ich lieben kann, und dessen Gegenliebe mir dennoch unschätzbar seyn würde, wenn mich auch der Befehl meines Vaters nicht verbände, Sie darum zu ersuchen. Ich werde aus Ihrer baldigen Antwort sehn, ob ich in meinem Zutrauen auf Ihre redliche Freundschaft zu voreilig, und meinem seligen Vater gar zu gehorsam gewesen bin. Ich habe die Ehre mit aller Hochachtung zu seyn,

Mein Herr,

– – –
am 6 August,
1747.
Ihre Dienerinn,
F.
       

 


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