Bernhard Kellermann
Der 9. November
Bernhard Kellermann

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Viertes Buch.

1.

Ali Baba und die vierzig Räuber!

Endlich war Doras berühmter Abend gekommen. Dumpf lockte die Trommel –

Mit einem kleinen Aufschrei wich Hedi zurück. Ein fetter Neger, mit dem Gesichtsausdruck eines Orang-Utans, schlug den Vorhang auseinander und fletschte ihr die Zähne entgegen: »Ali Baba heißt dich willkommen!«

»Er tut dir doch nichts«, lachte Klara und schob Hedi vorwärts.

Die mächtigen, nackten Arme und Beine des Negers funkelten. Hellrot waren seine wulstigen Lippen gemalt. Dora selbst hatte ihn hergerichtet. Ein zweiter Neger half aus den Mänteln. Er war jung und schlank, heller von Farbe, sein Gesicht drollig und hübsch. Auch er ging barfuß und trug nur ein kurzes, rot und gelb gestreiftes Röckchen.

Hinter Vorhängen, irgendwo, schrillten Pfeifen.

Wieder ertönte der Schrei einer Dame im Entree. Ein zottiger Bär schob sich an Hedi vorüber, und daraus schälte sich eine zierliche, halbnackte, nilgrüne Türkin. Gräfin Heller. Abendmäntel aus kostbaren alten Brokaten, antiken Samten, japanischen Stickereien, ehemaligen Kirchengewändern – und Fabelwesen entstiegen ihnen: Prinzessinnen, Haremsdamen, Odolisken in Seide, Tüll, Schleiern, mit goldenen, roten, grünen Schuhen, Schuhen mit langen Silberschnäbeln und blitzenden Steinen. Wohlgerüche und der Duft gepflegter Frauenkörper gingen von ihnen aus.

Hedi zitterte vor Erregung. In fieberhafter Hast verhüllte sie das Gesicht mit dem Schleier, wie Doras Vorschrift es verlangte. Doppelt begierig blitzten nun ihre Augen.

Hedi war ganz in durchsichtige Silberschleier gehüllt. 209 Ihre jungen Brüste lagen nahezu völlig frei. Zwischen dem silbernen Jäckchen und den faltigen Pluderhosen aber war sozusagen gar nichts. Ein Hauch von Tüll. Das war Hedis höchsteigene Erfindung.

Wegen dieses etwas kühnen Kostüms war es heute nachmittag – schon am Nachmittag begannen die Damen mit der Toilette – zwischen den beiden Schwestern nahezu zu Tätlichkeiten gekommen.

Plötzlich erklärte Klara rund heraus, daß sie so nicht mit Hedi gehe! Wie?

»Ja, so! Du bist ja völlig nackt! Es ist skandalös einfach!«

Wie? Ein Kostüm, das das Taschengeld eines halben Jahres verschlang! Hedi war tödlich verletzt.

»Das ist ja gerade das Orientalische«, schrie sie aufgebracht. »Was versteht ein Kind von solchen Dingen? Und du – was soll das werden, du meine Güte?«

Ein sehr einfaches Kostüm aus hellgrauer Seide hatte Klara sich zurechtgemacht. Dazu sollte noch ein schwarzes Spitzentuch kommen, das ihr Gesicht bis zu den Augen verbarg.

»Ich bin eine türkische Witwe!«.

»Eine Witwe?«

»Ja!«

»Du bist lächerlich, Klara, und wirst auch mich noch lächerlich machen! Zum ersten Male höre ich, daß man als Witwe auf einen Ball geht.«

»Aber ich gehe so!«

»Blamiere dich ruhig!« Empörend war Hedis Lachen.

»Dann gehe ich überhaupt nicht, ich habe sowieso nicht die geringste Lust!« schrie Klara und begann sich wieder auszukleiden. Sie warf die Schuhe wütend unter das Bett.

Hedi erbleichte. »Nun gut, mein Liebling. Papa wird außer sich sein, wenn er dich nicht dort findet. Ich werde ihm aber dann die Geschichte erzählen, die du mit dem kleinen Fliegerleutnant hast, warte nur!« 210

Sie hatte Klara ins Herz getroffen. »Und du?« schrie Klara und funkelte die Schwester mit drohenden Augen an.

»Und ich? Was soll mit mir sein?«

»Sage nur ein Wort, und ich werde es Papa erzählen. Ich weiß mehr, als du glaubst.«

»Was weißt du, nichts weißt du.«

»Nun, ich werde Papa erzählen, daß du einen Brillantring bekommen hast. Woher hast du diesen Brillantring? Und weshalb gehst du immer in den Kaiserhof?«

Jetzt war die Reihe an Hedi, außer sich zu sein.

»Das ist doch unerhört!« schrie sie rasend. »Du weißt so gut wie ich, daß man mir den Ring anonym mit der Post geschickt hat. Ich schwöre –.«

Hier also wäre es nahezu zwischen den Schwestern zu Tätlichkeiten gekommen.

Nun aber waren sie doch hier. Dumpf lockte die Trommel, und Hedis Herz pochte.

Unaufhörlich stürzte Petersen mit dem Schirm die Treppe hinab. Es regnete etwas.

Droschke um Droschke klapperte die stockfinstere Lessingallee herauf zur roten Backsteinvilla. Dazwischen kam auch ein Gespenst von einem Auto, das auf eisernen Rädern wie ein Tank rasselte und die ganze Straße mit Qualm und Gestank erfüllte.

Schließlich, etwas spät am Abend, rauschte auch eine elegante feldgraue Limousine heran, mit wunderbaren Lampen, die alle Villen der Lessingallee magisch beleuchteten. Und – viel später noch – fuhr eine zweite Limousine vor, ein schwarzlackiertes Auto mit einem Chauffeur in Livree, das gänzlich lautlos dahinglitt und selbst die Limousine des Generals weit in den Schatten stellte.

»Ali Baba heißt dich willkommen!«

Der General prallte zurück. Seit seiner Kindheit hatte ihn niemand mehr geduzt. Und nie in seinem Leben hatte ein Schwarzer es gewagt, ihn anzusprechen.

Drollige Einfälle hatte diese Dora! 211

 


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