Bernhard Kellermann
Der 9. November
Bernhard Kellermann

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5.

Ich glaube!«

»Ich glaube an den Menschen!«

»Ich glaube an die Güte des Menschen und seine Reinheit! Ich glaube an seine heilige Bestimmung und seine göttliche Seele! Ich glaube an die Brüderlichkeit, die Kameradschaft, an die allerlösende Menschenliebe! Dies ist mein Bekenntnis, großer Gott über der Finsternis!«

Mit der ganzen Inbrunst seiner fünfundzwanzig Jahre schrie Ackermann, der Soldat, dies Bekenntnis vor sich hin. Soeben flog die bekannte graue Limousine an ihm vorüber.

»Ich glaube –!« Die Glocke eines elektrischen Wagens gellte, und er sprang mit einem Satz zur Seite. Um ein Haar wäre er überfahren worden. Sein weiter, grauer Mantel flatterte dem Brandenburger Tor zu. Mit großen, raschen Schritten, wie gewöhnlich, ging er dahin. Er gestikulierte heftig, und seine rasenden, dunkeln Augen glühten in dem fahlen, mageren Gesicht.

»Ich glaube an die Brüderlichkeit zwischen den Völkern, die sich heute zerfleischen! Ich glaube an den Tag, da man die Kanonen und Schlachtschiffe zertrümmern, die Grenzpfähle umstürzen und die Flaggen zerreißen wird! Ich glaube an den Tag, da die Menschen nur eine Sprache sprechen werden, einerlei welche, denn nicht um die Sprache handelt es sich, allein um die Gedanken, die sie damit ausdrücken!«

»Ich glaube an den Tag, da kein Mensch mehr den Menschen ausbeuten wird, an den Tag, da es weder weiße noch schwarze, noch gelbe, weder männliche noch weibliche Sklaven geben wird, an den Tag der gleichen Rechte bei 113 gleichen Pflichten! Ja, ich, Ackermann, glaube daran! Ich glaube an den Sieg des Rechts über das Unrecht, der Wahrheit über die Lüge! Ich glaube, daß göttliche Ideen die Welt bewegen und nicht die Kanonen.«

»Ja, ich, Armseligster unter den Armseligsten, ich glaube an das kommende Menschenreich auf Erden – das Reich der Vernunft, Gerechtigkeit, Würde und Schönheit!«

»Auch an dich glaube ich, mein Volk!« rief Ackermann mit rasenden, glühenden Augen aus, und durchschritt das Brandenburger Tor. Es ist gut, dachte er aufatmend, sich zuweilen sein Bekenntnis zu wiederholen – in dieser entsetzlichen Verfinsterung – so gut tut es.

In diesem Augenblick wurde sein rascher Schritt urplötzlich gehemmt. Etwas Ungewöhnliches, Unerwartetes, ein Wunder! Feuer lohte durch seinen Körper, Glut flog über sein Gesicht, die Hände brannten. Der Himmel blendete, der Himmel jubelte. Rot flammte der Himmel über Berlin.

Schon –? Schon –? Verheißung . . .

Er blieb stehen, schob die Mütze zurück über die schwarzen Haare, und – so erregt war er – deutete auf die rote Flagge auf dem Dache. Seine Lippen bebten. Ohne jede Regung stand er, gläubiges Feuer die Augen.

Dann nahm er die Mütze ab.

»– Licht aus dem Osten, Morgenröte –«

 


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