Bernhard Kellermann
Der 9. November
Bernhard Kellermann

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7.

Schuft, Schuft!« Hedi lachte. Was für ein bodenloser Schuft war er doch!

Mit schnellen Schritten eilte sie an den Häusern entlang in das Schneetreiben hinein, den Hut mit dem kleinen Reiher dicht in den Schirm gedrückt. 55

Seine Motive – seine Motive kannte sie ganz genau! Seine Familie, seine Karriere – was für Ausflüchte! Hätte er doch den Mut gehabt ihr zu sagen, daß er sie nicht mehr liebte! Aber diese Männer sind Feiglinge, und wenn sie auch mitten in den Kugelregen hineingehen. Geld und Ordensauszeichnungen, das war alles, wonach diese Offiziere trachteten.

Die Lampen eines Automobils blendeten durch die finstere Straße, und die Schneeflocken jagten gleißend durch den Lichtkegel. Plötzlich aber stockte Hedis Schritt, in dem gleißenden Lichtkegel flatterte ein weiter, heller Mantel. Er mußte ihr gefolgt sein, sie umgangen haben, um plötzlich vor ihr erscheinen zu können, oder war es ein Zufall? Ihre Füße waren wie gelähmt, denn der Mantel kam näher, und sie bemerkte, daß er die Richtung seiner Bewegung änderte. Sie bog rasch ab und stürmte die Treppe zur Untergrundbahn hinunter. Mein Gott, sie war falsch gegangen, sie wollte nach dem Leipziger Platz, und nun war sie an der Friedrichstraße angelangt.

Der gelbe Mantel erschien auf der Treppe der Station. Er war nur einen Augenblick sichtbar, dann verschwand er, er kam nicht herunter.

Hedi atmete erleichtert auf.

Nein, sie brauchte Otto nicht, sie brauchte ja nur die Hand auszustrecken und soviel Finger sie hatte, soviel . . .

Der Zug fuhr in die Station. –

Otto hatte gleich hinter Hedi das Hotel verlassen. Als er sie mit den Blicken suchte, war sie schon verschwunden. Übrigens fesselte gerade eine Dame seine Aufmerksamkeit, die aus einer Droschke stieg und duftend und glitzernd die lichte Hotelhalle betrat. Otto eilte rasch nach Hause. Er warf sich in Zivilkleidung, in ganz unglaublich kurzer Zeit hatte er sich umgezogen. Er knöpfte noch den Mantel zu, als er wieder die Treppe herabsprang. Er hatte nicht die geringste Lust, den Abend zu Hause zu verbringen und alle 56 möglichen Dinge über Siedelungsgebiete, Kolonien und strategische Sicherungen zu hören.

An der Türe des schmalen Vorgärtchens prallte er mit einem kleinen Herrn im Havelock zusammen. Aber der kleine Herr im Havelock war nicht im geringsten ungehalten. Im Gegenteil, er zog den Hut, stammelte Entschuldigungen.

»Herr Oberleutnant –.« Offenbar kannte er ihn. Irgendein Hausmeister der Nachbarvillen.

Fort! Schon rauschte die Limousine des Generals heran.

In einem Tempo, als habe er auch nicht eine Sekunde Zeit zu versäumen, eilte Otto der Friedrichstadt zu.

 


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