Bernhard Kellermann
Der 9. November
Bernhard Kellermann

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2.

Frau v. Dönhoff – die Dame der roten, mit Efeu bewachsenen Backsteinvilla in der Lessingallee, dicht am Tiergarten, war eine Blondine, nicht mehr in der ersten Jugend, von ihren intimen Bekannten die schöne Dora genannt.

Sie war mittelgroß, die schöne Dora, etwas üppig, kleine, zierliche Füße, kleine, zierliche Händchen mit spitzen Fingern, große strahlende Augen von herrlich leuchtendem, seltenem Blau – der berühmte Schriftsteller, der in ihrem Hause verkehrte, hatte die Farbe mit dem Blau des Gebirgsenzians verglichen – ein Paar reizender Grübchen, runde rote Lippen – ah, und Zähne – schneeweiß! Sie lachte immer und bei jeder Gelegenheit, das Lachen setzte ganz unvermittelt ein, sie lachte in Skalen und Trillern, ein Geklingel war ihr Lachen. Es riß mit fort. Und immer, schon im Bett am Morgen, hielt sie eine dicke Zigarette zwischen den spitzen Fingern und qualmte. Sie rauchte auch auf der Straße, während sie Butzi, einen belgischen Griffon, an die frische Luft brachte. Das war die schöne Dora.

Etwas umschwebte sie. Ein Glanz, ein Abglanz. Der Abglanz einer Freundschaft, die sie vor ihrer Heirat mit einer Königlichen Hoheit verbunden hatte. Dieser Abglanz war immer gegenwärtig. Hatte die Königliche Hoheit wirklich diese schlanken ringgeschmückten Finger an die Lippen gedrückt? Diese Grübchen bewundert, sich an diesem Lachen erfrischt, diesen weichen, verschwenderisch reichen blonden Haarschopf liebkost? Ruhten die Augen der Königlichen Hoheit auf diesen Schultern? Immer, immer war Dora von diesem Abglanz umschwebt. Die Sonne war untergegangen – aber der Glanz lag noch in der Luft. 19

Nunmehr war die Königliche Hoheit längst verheiratet, hatte drei Kinder.

Dora aber hatte – danach – einen Freund der Königlichen Hoheit geheiratet, den Hauptmann v. Dönhoff, einer der ersten Herrenreiter Deutschlands, professioneller Schürzenjäger und Spieler, der in kürzester Zeit zwei Vermögen durchbrachte, auch Doras Vermögen. Eines Tages stand sie ohne einen Pfennig da – vis-à-vis de rien!

Mit einem Wort: dieser Hauptmann Dönhoff entpuppte sich als ein Lump ersten Ranges, er betrog Dora schon am Hochzeitstage, so unglaublich es klingt, und sie gab ihm nach kurzer Zeit den Laufpaß. Schon vor dem Kriege trennte sie sich von ihm. Gegenwärtig lebte sie in Scheidung – oder war sie schon geschieden? Niemand wußte es, der Krieg hatte das Interesse an den armseligen privaten Schicksalen in den Hintergrund gedrängt.

Der Herrenreiter und Spieler war Artillerist und lebte gegenwärtig bei seiner Batterie im Westen – irgendwo. Er ergraute bei seinen Kanonen, in den Waldschluchten des Argonner Waldes oder in den Kalkhügeln der Lausechampagne, sein Gesicht wurde gelb, pergamenten. Die Welt hatte ihn vergessen, seine Damen – nur die Gegenwart hat Macht. Ein einziges Mal war er während des Krieges in Berlin aufgetaucht, ohne Dora zu besuchen, es gab sofort wieder Skandal, eine Dame, ein Offizier – immer die gleiche Geschichte. Und er ergraute weiter bei seinen Kanonen. Seine Schläfen waren schon ganz weiß. Zuweilen schrieb Dora an ihn, zuweilen kam auch ein Brief aus dem Felde, und Petersen, der Diener, zeigte ihn Frida, der Zofe, und flüsterte: »Von ihm!«

Also, das war Dora und ihre Lebensgeschichte, in flüchtigen Linien natürlich nur, und heute hatte sie die Grippe.

Doras Haus war eine alte Villa, verbaut und immer wieder umgebaut, mit Sälen und Zimmern, Nischen, Erkern, Korridoren, großen und kleinen Treppen und 20 Treppchen. Niemand, der nicht hier lange verkehrte, fand sich zurecht. Dora hatte das ganze Haus in ein Teppichmagazin verwandelt. Es gab keinen Quadratmeter, der nicht mit einem Teppich belegt war. Es gab im Dönhoffschen Hause sogar etwas, was es nur selten in Berlin gab, nämlich einen Raum, der ein vollkommenes Zelt war. Eine Art arabisches Zelt, ganz aus Teppichen aufgebaut. Infolge der vielen Teppiche roch es im Dönhoffschen Hause eigentümlich nach Staub. Dazu hatte Dora das ganze Haus mit antiken Möbeln vollgestopft, Möbeln aller Stilarten, mit Säulen aus Kirchen und grellbemalten oder vergoldeten Heiligenfiguren. Alle Tische, Kommoden und Gesimse waren mit kleinen Kostbarkeiten aller Art, mit Leuchtern, Schnitzereien, Waffen, Miniaturen, Dosen derartig übersät, daß es unmöglich war, auch nur ein Paar Handschuhe abzulegen, ohne irgendeine Kostbarkeit in Gefahr zu bringen. Es war unmöglich, alle diese Dosen, Schnitzereien, Waffen und Heiligen abzustauben. Und so sammelte sich immer mehr Staub an. An das arabische Zelt stieß das Speisezimmer, ein riesiger Raum mit einer Empore, zu der eine steile Rokokotreppe, gelb und rot bemalt, emporführte. Dieser Raum war zurzeit schwer heizbar und beständig strömte ein kalter Luftzug in das arabische Zelt hinein. Doras Haus hatte aber noch eine Eigentümlichkeit: das waren die Lampen. Es gab kein Haus in ganz Berlin, das so viele Beleuchtungskörper aufwies. Blaue, grüne, gelbe, rote Ampeln, alle von ganz besonders erlesener Färbung, Kronleuchter mit Dutzenden von Flammen, schwere Messingkronen mit halb heruntergebrannten dicken Wachskerzen. Das arabische Zelt selbst wurde durch eine polnische Synagogenampel beleuchtet. Es war ein opalisierendes, bläuliches Licht, der Farbe von Zigarettenrauch ähnlich. In der Ecke des arabischen Zeltes aber stand noch eine riesige purpurrote Lampe, die auf eine vergoldete Barocksäule aus irgendeiner Kirche montiert war. Neben dieser 21 roten Lampe saß gewöhnlich Dora, sie strahlte dann wie glühender Alabaster, während die andern wie Leichen aussahen. Sie verstand ihre Sache.

Zwischen diesen Teppichen und Lampen, sonderbaren Heiligen und tausenderlei Krimskrams bewegte sich Dora, mit ihrem blonden Haarschopf, ihren Grübchen und dem Glanz, der sie umschwebte. Niemand hatte Dora jemals in schlechter Laune gesehen. Ihr Benehmen war immer gleich. Jedermann fühlte sich wohl bei ihr.

Nicht zu vergessen auch Doras Badezimmer, eine Sehenswürdigkeit – ein richtiges Treibhaus.

 

Sobald der General die rote Backsteinvilla betrat, kam das Steingesicht in Erschütterung.

Der General gehörte zu den Intimen des Hauses. Zweimal in der Woche, Dienstag und Freitag, pflegte er bei Dora zu Abend zu speisen. Ohne andere Gäste.

Der Stein verwitterte im Lichte der Garderobenampel, er verwandelte sich in Haut, in die Haut eines Menschen, der ewig von Zimmerluft umgeben ist, und der – vielleicht, nur eine Vermutung – an beginnender Sklerose der Arterien leidet. Die starre Leblosigkeit des Gesichts löste sich. Es zeigte sich sogar, seht an, eine Spur von Farbe auf den breiten Wangen, ein rötliches Violett, von feinem Geäder herrührend. Die ernsten Gedanken, die den General einhüllten, zerflatterten, der etwas massige, schwerbewegliche Körper schien elastisch und verjüngt.

Es scheint ja nicht so schlimm zu sein, mit der Grippe, dachte er, als Doras Lachen in die Garderobe drang.

Die geschliffenen Linsen der Feldherrnaugen ruhten sogar einen Augenblick leutselig auf dem Diener. Etwas Außergewöhnliches, denn der General pflegte seine Mitmenschen nie anzusehen. – Dann widmeten sie sich mit rein menschlichem Interesse dem Studium einiger Gummischuhe, die in der Garderobe standen. 22

»Sind auch – Damen hier, Petersen –?«

»Frau Major Sterne-Dönhoff mit Töchtern.«

Nichts haßte der General mehr als Ansammlungen von Menschen, mochten sie groß oder klein sein; nichts fürchtete er mehr als Überraschungen – es war ja möglich, daß man ihm, ohne jede Vorbereitung, ixbeliebige Menschen präsentierte, wie es ihm schon passiert war. So neulich bei einem Militärattaché, wo unerwartet der Redakteur einer sehr linksstehenden liberalen Tageszeitung auftauchte, ganz zu schweigen von jenem Herrenabend bei Exzellenz v. Krämer, wo ein sehr orientalisch aussehender Chirurg anwesend war, eine Berühmtheit, getauft – aber trotzdem. Er wünschte zu wissen, wer anwesend sein würde – bei Dora allerdings, wo er zweimal in der Woche zu Abend speiste – machte er eine Ausnahme. Er kannte Doras Kreis, nahezu wenigstens, und nur zuweilen traf er hier irgendeinen Maler oder Schriftsteller, auf deren Bekanntschaft er allerdings wenig Wert legte, um offen zu sein. Das war indessen nicht zu ändern: Dora selbst war eine Art Künstlernatur.

Der General strich den grauen Scheitel mit der Bürste zurecht, glättete den dünnen grauen Schnurrbart, prüfte die Hände . . .

Der General war das Bild der Akkuratesse selbst. Alles leuchtete und glänzte an ihm, die Stiefel, die roten Streifen der Hosen, die Ordensauszeichnungen, die langen polierten Fingernägel – nur die Haut des Gesichts war, wie gesagt, stumpf, von der Zimmerluft beschlagen. So, genau so hatte er ausgesehen, als er sich in Polen mit den Russen schlug – in Frankreich, wo er in einem Chateau wohnte, war es ja schließlich kein Kunststück. Er hatte sofort ein Bad einbauen lassen, das war das erste gewesen, die Wanne wurde mit dem Auto aus Frankfurt geholt.

Ohne jede Übertreibung, der General war noch heute eine stattliche Erscheinung. 23

Auch einige Offiziersmützen, drei im ganzen, hingen da. Er erkannte die Seidenmütze seines Sohnes Otto, die eine ganz besondere Form hatte. Offenbar machte er seinen Abschiedsbesuch; er mußte morgen wieder ins Feld. Falten erschienen auf der breiten Stirn des Generals, verschwanden aber sofort wieder. Er liebte es nicht, Otto oder Ruth, seine Tochter, in Gesellschaft zu treffen. Er kam sich beobachtet vor, sie störten, mit einem Wort.

»Die Herrschaften sind im Zelt, Herr General.«

»Schön« – aber der General hielt den Schritt an und zog die Brauen in die Höhe – »eine Bürste, Petersen.« Der General hatte tatsächlich ein Härchen auf seinem Ärmel entdeckt.

»Es ist von Butzi, Herr General – das ganze Haus ist voll von seinen Haaren –«

»Wie soll es denn von Butzi sein? Dann müßte es ja seit Dienstag – nein, das ist unmöglich, Petersen.«

»Vielleicht war es im Mantel? Überall sind diese Haare –!«

Petersen öffnete die Türe zu einem Vorzimmer. Hier brannte eine einsame, hohe Wachskerze, zu Füßen eines verlassenen steingrauen Heiligen mit zinnoberrotem Rock, der in Verzückung ein Buch schwang. Hierauf schlug Petersen den Teppich zurück.

Der Rücken des Generals, etwas zusammengesunken während der Unterhaltung mit Petersen – ob das Haar von Butzi stammte oder nicht – straffte sich.

»– sollten sich aber wirklich schonen. Zum Beispiel, das Rauchen –«

»– es ist ja gar nicht die Grippe.«

»– täglich sterben Hunderte –«

Dora lachte: »Sie wollen mir Mut machen, Otto!«

Und Petersen schlug den zweiten, gelbseidenen Vorhang zurück. 24

Augenblicklich stürzte der belgische Griffon kläffend heraus. (Er war mit Exzellenz verfeindet!)

Die Offiziere schnellten von ihren Sesseln empor.

 

Dora trug die kleinen mattgelben Perlen in den Ohren, nicht die Boutons, die von früher stammten! Der General sah es auf den ersten Blick.

Mit aufgehellter Miene, soweit sie sich aufhellen konnte, trat er ein. Selbst seine Augen verloren ihre Strenge, aber sie blieben trotzdem – kalt.

Dora glühte im Schein der großen Purpurlampe, ihre Arme und Hände leuchteten wie Korallen und in ihrem durchsichtigen feinen Ohr schimmerten in der Tat kleine gelbe Perlen. Aus dem Halbdämmer des Zeltes hoben sich die drei schwarzgekleideten Damen Sterne-Dönhoff, schmal, steif, todernst. (Major Sterne-Dönhoff war vor einem halben Jahr gefallen.) Aus einem Spiegel funkelten bleiche Gesichter, fahl im Scheine der blauen Ampel. Diese Gesichter verwirrten den General, so daß er seine Gratulation etwas steifer und förmlicher vorbrachte, als er es wünschte.

Erst jetzt bemerkte er, daß Hauptmann Wunderlich, einer der drei anwesenden Offiziere, ein Freund des Dönhoffschen Hauses, noch immer stand. Er hielt sich an den Lehnen des Sessels aufrecht, denn er war lahm geschossen und ging an Krücken.

Erst jetzt bemerkte er die zarte, ätherische Dame mit dem langen Gesicht, die Kinn und Näschen in den Muff drückte, neben Dora saß sie auf dem Diwan – ah, welche Überraschung, welch freudige und ungeahnte Überraschung!

»Es ist in der Tat kein Scherz, gnädige Frau, mit dieser Grippe –«

»Ich hörte es von einem Krankenhausarzt – einhundertvierzig Tote gestern – und wie gesagt, gar keine Grippe, sondern die Lungenpest –« 25

»Man sagt es ja nur, man schwätzt –«

»Derselbe Arzt versicherte es mir. Die Lungen sind völlig mit weißen Bläschen bedeckt und vereitert.«

»Es sind einfache Streptokokken«

»Ja, nun, Sie sagen einfache –«

»Und Pest? Auch Pest ist nur ein Wort.«

Vorlaut, immer ist dieser Junge vorlaut, dachte der General.

Otto, der Sohn des Generals, sprach mit lauter, heller Stimme, die stets etwas keck klang, selbst wenn er die harmlosesten Dinge sagte. Er sah seinem Vater auffallend ähnlich. Groß, das gebräunte Gesicht breit und brutal, die Augen hell und verwegen, aber voller Unruhe. An der Stirne, dicht neben den blonden, glänzenden Schläfenhaaren, hatte er eine Narbe, die von einem Kopfschuß herrührte, den er im Mai 1915 bei Ypern erhielt. Damals lag er ein halbes Jahr im Lazarett – aber so gering war die Eile der internationalen Generalität, daß er sein Regiment im Herbst noch an genau derselben Stelle vorfand, wo man ihn im Frühjahr weggetragen hatte. Er saß mit einer gewissen Ungeniertheit (die dem General mißfiel) im Sessel, frei und selbstgefällig, die Brust voller Auszeichnungen – im Gegensatz zum jungen Heinz Sterne-Dönhoff, der, ganz wie seine Schwestern in Schwarz, bescheiden und steif dasaß. Dieser Heinz war noch ein Knabe, schlank und zart, noch nicht neunzehn Jahre. Er trug Feldgrau und – seit heute – das Abzeichen des Flugzeugführers. Er war indessen noch nicht im Felde gewesen und lebte in der beständigen Angst, der Krieg könnte zu Ende gehen, bevor die Reihe an ihn käme. Er hatte den roten Mund eines Knaben, noch umschwebt vom Lächeln der Kindheit. Unausgesetzt waren seine blauen, strahlenden Knabenaugen voller Ehrfurcht auf den General gerichtet, auf seine Ordensschnalle, den gestickten Kragen und das weiße große Emaillekreuz, das er am Kragen trug. Was 26 für ein Orden mochte es wohl sein? Seit dem Eintritt des Generals öffnete er den Mund nicht mehr, die Nähe eines so hohen Vorgesetzten bedrückte ihn. Er saß, bereit, jeden Augenblick aufzuspringen, wenn sich die Gelegenheit bieten sollte, dem General einen Dienst zu erweisen.

Mit großen grauen, etwas düsteren Katzenaugen saß neben Dora Hauptmann Wunderlich. Blaß und mager, sah er aus wie ein achtzehnjähriger Gymnasiast, der über Nacht ergraut war. Er lächelte nie, und wenn er – selten, ganz selten – einmal lächelte, so war es das Gespenst von einem Lächeln, das niemand ertrug. Seine gleichmäßige Miene forderte indessen auf, sich nicht im geringsten durch ihn stören zu lassen. Der Blick seiner Augen glitt in die Ferne. Auch während er sprach, schien er zu Leuten irgendwo in der Ferne zu reden und nicht zu den Anwesenden. An seiner linken, mit einem goldenen Armband geschmückten Hand fehlten einige Finger.

Hinter seinem Sessel lehnten die Krücken, womit er sich, nur mit einem Fuß den Boden berührend, wie eine Glocke dahinschwang. Hauptmann Wunderlich war schon in den ersten Wochen des Krieges durch einen schweren Brustschuß außer Gefecht gesetzt worden. Ein Jahr später wurden ihm in Rußland beide Beine zerschmettert. Hierauf ging er zur Fliegerwaffe über. Er war heute einer der bekanntesten Menschenjäger in der Luft. Er wurde in die Maschine gehoben.

Frau v. Sterne-Dönhoff mit ihren Töchtern, aus dem Halbdämmer sich abhebend – mit flachen Hüten, enganliegenden Kostümen, langen Gesichtern, steif, still, langweilig. Nur selten warfen sie ein Wort in die Unterhaltung. Sie trugen schwarze, sehr enge Glacéhandschuhe.

Und jene andere Dame, die Ätherische, die Kinn und Nase in den Muff drückte und neben Dora auf dem breiten Diwan saß, die spitzen Knie hochgezogen? Jene Dame, über deren Besuch der General so erfreut und überrascht war? 27

Es war eine Gräfin Heller, soeben aus der Schweiz zurückgekommen. Gräfin Heller war Spiritistin, Theosophin – alles Dinge, die den General nicht im geringsten interessierten. Sie war darüber hinaus die Schwester jenes – eben jenes »Schurken«, wie ihn der General in Gedanken nannte. Jener einflußreichen Persönlichkeit, deren Name in der Gesellschaft nur flüsternd ausgesprochen wurde. Seine Majestät hat ihm höchst eigenhändig – wissen Sie . . .

Der General hatte nicht ahnen können, sie hier zu treffen. Solche Zufälle gibt es! Aber vielleicht hatte Dora ihre Hand dabei im Spiel? Dora, die mit ihrem künstlerischen Naturell auf rätselhafte Weise die Gedanken ihrer Mitmenschen erriet und alles so wunderbar zu arrangieren verstand? Wie?

»Ich hatte in der Tat nicht vermutet, Gräfin, Sie heute zu sehen!« wandte sich der General mit allen Zeichen der freudigen Überraschung, die bei jeder Anrede neu auflebte, an sie. »Sie waren lange weg. Wie gefällt es Ihnen wieder in Deutschland?«

Gräfin Heller lächelte und schob Butzi ein Stückchen Torte zwischen die scharfen, schneeweißen Zähnchen. »Ich finde es ent–setz–lich!«

»Ah, ah!«

»Ein Friedhof!«

Der General lächelte nachsichtig. Bei einer Dame des hohen Adels, des höchsten Adels, der Schwester einer solch hochgestellten Persönlichkeit, mußte man wohl einige Wunderlichkeiten in Kauf nehmen – noch dazu bei einer Dame, die mit dem Geist Friedrichs des Großen in okkulter Verbindung stand.

In diesem Augenblick überbrachte Petersen ein Telegramm. Dora errötete, als sie es öffnete. Es enthielt nur wenige Worte, wie man sehen konnte.

Der General ahnte: es kommt aus dem Felde!

Die Unterhaltung geriet ins Stocken. 28

 


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