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Eine Enquête.

(Aus »Vor dem Gewitter.«)

»Sagen Sie mir, Baron Albrecht,« fragte Ludmilla Goth, als der Sohn des Hauses sich in einer Salonecke neben sie gesetzt, »warum haben Sie heute bei Tisch nicht die Stimme erhoben, als Herr von Klast für die Nützlichkeit der Heeresverstärkung, die Süßigkeit des Schlachtentodes und dergleichen eintrat? Sie sind doch Mitglied des Friedensvereines! Ärgern solche Äußerungen Sie nicht?«

»Natürlich ärgern sie mich. Aber wenn man da widerspricht, so nützt das nichts, so öffnet das nur die Schleußen der gegnerischen Argumente, von welchen man dann einen ganzen Platzregen – Gemeinplatz-Regen – auf den Kopf bekommt, der den andern in seinen Ansichten nur bestärkt. Ich habe die Salonproselytenmacherei aufgegeben. Der Verein ist dazu da, diejenigen, die die Abschaffung des Krieges für wünschenswert und möglich halten, zu sammeln. Diese sind sehr zahlreich, aber vereinzelt, unorganisiert, – durch den Verein sollen und können sie zur Macht werden.«

»Macht? Privatleute? – Männer und Frauen? ...«

»Also auch Sie, Fräulein Goth – einer der gewohnten Einwände? Privatleute sagen Sie? Aus ihren Reihen gehen ja doch die meisten Volksvertreter und Staatsmänner hervor. Welche Macht, fragen Sie? Die ausschlagendste von allen: die der öffentlichen Meinung.«

»Nun ja, dazu gehört aber doch, daß die Anhänger so zahlreich wie möglich seien und so muß man wohl trachten, Proselyten zu machen.«

»Gewiß. Aber glauben Sie, daß man jemand, der ganz Entgegengesetztes oder – gar nichts denkt, durch ein paar zuredende Worte in einen Anhänger verwandeln kann? Anfangs glaubte ich dies auch und ging auf lebhaftes Werben aus; seither habe ich mich aber so sehr ärgern müssen über die mir gewordenen Antworten, daß ich diese Art der Thätigkeit aufgegeben habe. Nur wenn ich mit einem zusammentreffe, der dasselbe Ideal, dieselbe Überzeugung hegt wie ich, der aber glaubt, daß er mit diesem »Traum« allein steht, dem sage ich dann: »Nein, du bist nicht vereinzelt, du hast tausende von Gesinnungsgenossen in der ganzen zivilisierten Welt. Die Gemeinde der Kriegsfeinde hat sich geformt, die Friedensbewegung existiert: schließe dich an. Und dann thut er es freudig, denn es ist nichts wohlthuender als einen Hort zu haben für die Bethätigung der eigenen Überzeugung, als für die eigene Kraft ein Zentrum zu finden, wo die zerstreuten Kräfte sich vereinigt haben, um mit Aussicht auf Erfolg zu wirken.«

» Das ist's wohl, woran die meisten zweifeln: die Möglichkeit des Erfolges.«

»Sie haben es erraten. Dieser Zweifel selber steht dem Erfolg am hinderlichsten im Wege. Dennoch haben wir schon praktische Erfolge erreicht – aber bis zu den Massen ist die Kenntnis davon noch nicht gelangt. – Wollen Sie nun hören, wie Leute, die von der ganzen Sache keine Idee haben, sich gebärden, wenn man sie mit einer Aufforderung zum Anschluß überfällt? Es wird Sie unterhalten. Geben Sie mir den Arm – wir machen einen Rundgang in den Salons – ich werde den verschiedensten Leuten meine Werbung vorbringen und Sie sollen hören, wie jeder seine Weigerung begründet. Ich weiß es im voraus – doch werde ich mich diesmal nicht ärgern und nicht ereifern, weil es sich ja nur um eine Enquête handelt.«

»Gut. Aber zuvor noch eins. Wie kommt es, daß Sie einen Offizier – einen Krieger – freudig als Schwager begrüßen?«

»Wir bekämpfen den Krieg, nicht die Soldaten. Gerade so wie der Hygyeniker die Krankheit und nicht die Apotheker und die Krankenstuhlfabrikanten bekämpft – obwohl diese freilich beim Aufhören der Krankheit nicht so zahlreich beschäftigt werden können.«

»Mit andern Worten: was Sie verdammen, ist das System und nicht die Personen, deren Dienst das System erheischt. Etwas Ähnliches hat mir Jemand gestern auch gesagt. Also machen wir den vorgeschlagenen Rundgang, Baron Bisthurn, – ich bin wirklich gespannt.«

»Ich eigentlich auch. Ich will mir Mühe geben, die Antworten in mein Gedächtnis zu prägen – thun Sie ein gleiches, Fräulein Ludmilla, das Resultat wird eine ganz lehrreiche Tabelle über die Hemmnisse der Friedensbewegung liefern.«

Albrecht, mit Ludmilla am Arm, näherte sich den verschiedenen Gruppen oder rief aus einer solchen eine einzelne Person »auf ein Wort!« zur Seite und sagte, daß Fräulein Goth soeben zugestimmt habe, der Friedensgesellschaft beizutreten – und daß er nun Herrn oder Frau X ersuche, sich ebenfalls anzuschließen.

Die meisten der Angesprochenen nahmen ein ganz verständnisloses Gesicht an und ließen sich erst erklären, was das für eine Gesellschaft und für eine Idee sei, sie hätten noch nie etwas davon gehört. Während der Erklärung verwandelten sich dann die verständnislosen Gesichter in ironisch überlegene, mit feinem Lächeln und mitleidigem Blick.

Nachdem die Enquête beendet war, zogen sich Albrecht und Ludmilla wieder in ihre Ecke zurück und rekapitulierten die Antworten, die ihnen im Gedächtnis geblieben. Albrecht stenographierte sie sofort in sein Notizbuch. Und als er damit fertig war:

»So, jetzt lassen Sie sich den Bericht unserer Kommission vorlesen. Er ist wirklich niedlich ausgefallen.«

Gutsbesitzer von Grübner. Nun, wenn Sie durchaus den wahren Grund erfahren wollen: man läßt sich nicht gerne auslachen.

Baron Blauschwert. Ich werde von so vielen Seiten angegangen – erst gestern zeichnete ich 100.000 fl. für einen wohlthätigen Zweck – daß ich gezwungen bin meine Hilfe prinzipiell nur solchen Vereinen zuzuwenden, die einen positiven, praktischen Zweck verfolgen ... wenn es sich aber nur um ideale Ziele handelt ... die zwar sehr schön und lobenswert, aber unerreichbar sind ... kurz, ich bedauere lebhaft.

Geheimrats-Witwe von Hochbern. Aber ich bitte Sie: zwei Söhne habe ich in der Wiener Neustädter Militärakademie, die zwei jüngsten spielen mit Leidenschaft Soldaten und meine drei Töchter tanzen nur mit Offizieren, da kann ich doch nicht ...

Gräfin Spitz, Stiftsdame. Ich habe von der Sache schon gehört und kann Sie davor nur warnen! Es sind – schauerlich – Freigeister und Freimaurer dabei ... Ist also auf Umsturz und Untergrabung der h. Kirche berechnet – diese Leute nehmen allerlei Masken an – hüten Sie sich!

Fabriksbesitzer Birnenbaum. Ich würde ja recht gern – wenn ich auch nicht glaube, daß man etwas erreicht, aber jedenfalls eine edle Bestrebung ... Mir jedoch würde der Beitritt falsch ausgelegt ... wir Juden müssen ungeheuer vorsichtig sein – die Antisemiten wären gleich dabei, uns der Feigheit und der Vaterlandslosigkeit zu beschuldigen. Wenn Ihnen mit einer Spende gedient ist ... aber nur nicht meinen Namen!

Herr Rottenhausen, Rentier. Ich halte das Ganze für eine jüdische Intrigue ... Sind auch ein paar sehr verdächtige Namen im Vorstand. Natürlich: die schlauen Semiten wollten gerne das Nationalgefühl aus der Welt schaffen und daher treten sie für alle kosmopolitischen Verbrüderungsduseleien ein. Ich lasse mich aber da nicht bethören.

Ministerialrat Padermann. Abgesehen von meiner staatlichen Anstellung, die es mir unmöglich macht ... lassen Sie sich sagen: die ganze Bewegung ist nur verkappte Sozialdemokratie oder dient doch, ohne es zu wissen, sozialdemokratischen Zwecken. Das ist doch klar: was hält die »inneren Feinde« in Respekt? Die Armee. Also die Abrüstung erst durchsetzen, dann kann der Tanz losgehen ... Sind Sie wirklich so naiv, das nicht zu sehen?

Doktor Kniebein. Lassen Sie mich offen sein: ich bin Sozialdemokrat. Den Frieden wird meine Partei gründen ... Wir können uns den Bourgeois nicht anschließen ...

Reichsratsabgeordneter Bing: Ich bin ja Friedensfreund, gehöre der interparlamentarischen Union an, aber es verträgt sich nicht mit der Würde eines Politikers, einem Verein beizutreten, bei welchem ... Sie wissen doch ... eine Frau ... ein alter Blaustrumpf ... Pardon, Fräulein, ich schätze ja die Frauen sehr hoch, nur müssen sie auf ihrem Platz bleiben ...

Freiherr von Hallstein, k. u. k. dienstthuender Kämmerer: Ganz unmöglich! Ich weiß, daß in hohen und höchsten Kreisen die Sache etwas mißliebig betrachtet wird, – für mich also ausgeschlossen.

Professor Elbing: Der ganze Unterrichtsplan ist auf patriotisch-kriegerischer Grundlage aufgebaut, – die weltbürgerlichen und friedliebenden Prinzipien könnten daher im Jugendunterricht nur widerspruchsvoll und verderblich wirken. Ich muß verzichten.

Frau von Rimmelburg: Ich bin die Vorsitzende eines Damen-Zweig-Vereines des Roten Kreuzes ... Der nächste Krieg ist ja die Voraussetzung unseres ganzen Wirkens. – Möge dieser noch recht lange ausbleiben, aber dann alles bereit finden für Linderung der Verwundeten!

Hier schloß die Liste der einzelnen mit Namen etiquettierten Aussprüche; darauf folgte eine Serie von Argumenten, welche von diesen oder jenen – meistens von diesen und jenen vorgebracht worden, denn gewöhnlich wußten die Leute fünf oder sechs Gründe dafür anzugeben, warum es unnütz oder nicht wünschenswert sei, für die Abschaffung des größtmöglichen Unglücks einen Finger zu rühren:

»So lange die Menschen Menschen bleiben und keine Engel sind ...« – »Was nützt unsere Friedensliebe, wenn der Franzose nach Revanche schreit und der Kosak uns bedroht?« – »Der Übervölkerung muß gesteuert werden!« – »Die Mächtigen und Ehrgeizigen werden sich das Recht niemals nehmen lassen, Krieg zu führen.« – »Eine Naturnotwendigkeit wie Erdbeben und Vulkanausbrüche.« – »Lesen Sie die Geschichte; was immer war, wird immer sein.« – »Die Menschheit ist nicht reif für solche Ideen – vielleicht in tausend oder zehntausend Jahren ...«

Albrecht klappte das Notizbuch zu:

»So – das ist eine hübsche Musterkarte von Einwendungen.«

»Haben Sie aber auch auf alle Gegeneinwände bereit?« fragte Ludmilla gespannt, denn die vielen Ausflüchte hatten sie einigermaßen schwankend gemacht.

»Gewiß, die einleuchtendsten und unwiderleglichsten.«

»Dann genügt es wohl, sie auszusprechen?«

»Das genügt durchaus nicht. Man muß sie erst landläufig machen wie die anderen. Ein hundertmal wiederholter Widersinn ist zehnmal kräftiger als eine einmal geäußerte Wahrheit. Dadurch erklärt sich das zähe Leben alter Irrtümer.«

Berta v. Suttner.


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