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Phantasien vom Schlachtfelde.

Seit drei Stunden liege ich hier im nassen Graben. Vier Tage nicht aus den Kleidern, kaum zehn Stunden geschlafen. – Die Beine fühle ich nicht mehr, der Rücken wund von der Tornisterlast – – Eben gab mir mein Feldwebel einen Tritt ins Genick. »Gerade liegen!« – Ja gerade liegen, wer das noch könnte. Oh! – Wenn nur die Kugel auch für mich schon käme! – – Marie! – – Armer Schlößmann! Da liegt er neben mir. Vor einer Viertelstunde erzählte er mir noch von seinem Weibe. – Er hoffte, der Krieg wäre bald aus, zu Weihnachten wäre er sicher zu Hause, bei seinem kranken Weibe, bei seinem Söhnchen, dem drei Monate alten ... Er kannte es noch nicht. Sein Auge blitzte vor Freude. Das Bild wollte er mir zeigen. Er nahm es aus der Brusttasche, er hob sich empor, um es mir zu reichen, er hob sich zu hoch, – zu unvorsichtig hoch – bums, da kracht es ... er schrie nicht einmal mehr! ... Sein Vaterstolz war sein Tod! – Wie er daliegt! – das Bild in der Hand. Kein Weihnachten mehr, kein Weib, keinen Sohn, kein Glück! – Ewig aus! – Doch es ist besser tot, als lebend hier – – – – –

Warum nicht für mich diese Kugel? Seit drei Stunden zehn Mann in meiner Umgebung für ewig geschieden. Wie sie daliegen! – An ihrer Stelle stehen neue Reserven! – Neue Nummern für die alten. Nullen in diesem unseligen Getriebe. Wann kommt meine Kugel? – Marie! Marie!

Armer Schlößmann! auch dein Platz ist ausgefüllt! Wie dein Ersatzmann dich zur Seite stößt – Herzloser! –

Doch man wird roh und abgestumpft bei diesem Massenmord – Schlößmann!! – Und warum? – Warum dies alles? Warum keine Weihnacht mehr für dich? Kein Weib, kein Kind, warum kein Glück mehr? – Wenn ich's nur wüßte! Ich würde es leichter tragen! – Du wußtest es auch nicht; du verstandest es nicht, weshalb man dich aus deinem Glück gerissen – du folgtest einem Muß – du glaubtest wie ich, es muß so sein! Es war dein Tod! – – Und wußte er es, der diese Kugel sandte, da drüben? ... Gewiß auch nicht! – Er wäre sicher auch lieber daheim; auch er war gezwungen, dich zu morden, mich, uns alle – – Und warum, wofür? – – – – –

Du weinst, Kamerad? – Schäme dich! Dein Vorgänger war tapferer als du! Mit Freuden empfing er den Tod fürs Vaterland!

»Schweig! Erbärmlicher!« ruft er mir zur Antwort – »Was verstehst du Dummkopf, warum du hier hockst im nassen Graben!«

»Junger Fant, sei still! Ich weiß mehr als du! Aber der Gedanke ans Vaterland muß dich trösten, muß dich halten! – Denk an deine Mission hier, ganz Europa blickt auf dich herab. – –«

»Ich danke dir für den Trost; aus diesem Graben kommt keiner lebend heraus. – – Was gibt mir Europa denn dafür und was ...«

– Da liegt er – Aber noch nicht tot – Schrecklich! – Sein starrer Blick ergänzt den abgebrochenen Satz ... er windet sich im Todeskampfe, die Zähne knirschen, ... endlich, endlich ist's vorbei! Mir ist leichter, daß er ganz tot ist – – – – – – – – –

Und noch immer keine Kugel für mich, ich lebe schon am längsten hier in diesem Graben – Seit vier Stunden weiß ich, daß ich da in meinem Grabe stehe – Ich weiß es und kann nicht heraus – Ich muß mich dem Tode weihen! ... Ich will nicht! ich will nicht! – – Ich muß, ich springe auf! Ich stürme fort! – – In den Tod! In den Tod! In den Mord! oh! oh! und warum? Warum? Marie! –

Das heißt Menschheit? Das heißt Notwendigkeit? Wenn dies der Menschheit wirklich notwendig, dann wehe ihr, wehe, dreimal wehe! – Kampf ist nötig, Kampf ist schön, Kampf ist menschlich, Kampf ist ein Naturgesetz, das Starke, das Gesunde siege – – Aber der Krieg ist kein Kampf, ein erbärmlicher Mord ist der Krieg. Ich träume wieder! Die Kugel kommt nicht – aber das Fieber packt mich – Oh, Marie! – Marie! – Weggerissen von dir – wie das Tier zur Schlachtbank – hier bin ich, totbereit – ich muß ja – ich habe keinen Willen mehr – alles, was die Welt dem Menschen bietet, sehe ich schwinden – Liebe, Glück, Lust und Freude – Traum – Sehnsucht – ich bin ein lebendig Toter, die ganze Welt stirbt für mich ab. – Wenn ich nicht mehr bin, dann ist ja diese große, große Welt auch nicht mehr, für mich nicht mehr, ich fühle sie ja dann nicht mehr. – Schlößmann! Armer Kamerad, was frommt dir denn jetzt die Entdeckung Amerikas, die Elektrizität, die ganze schöne Welt? Schrecklich, sie stirbt, sie versinkt – – – ein riesenhafter Tod, wenn die ganze Welt stirbt! – Und sie stirbt mit jedem, jedesmal mit jedem starb die Welt in diesem Graben hier – oh wie entsetzlich ist der Gedanke – kaum zu fassen! – Meine Welt – meine Kindheit – mein Hoffen – die Sonne – alles – nie mehr – Scheußlicher Muß – Gewaltsamer Mord meiner schönen, großen Welt – – Marie!!!!! – Weh! – Oh! – – Warum? – oh! weh – Wa–rum. Wa– –!

Leo Karassowitsch.


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