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Degradiert!

Aus den Aufzeichnungen eines Unteroffiziers im bosnischen Feldzuge.

– – – – – Wenn ich an all den Jammer, die Plage und die Aufregungen der letzten Tage zurückdenke, wird mir ganz weh ums Herz und doch auch so wohl, denn ich lebe ja und bin mit heilen Gliedern davongekommen, während so viele meiner Kameraden von den mörderischen Kugeln niedergeschmettert worden sind. Die fremde Erde sei Euch leicht, ihr Tapfern! Keine liebende Hand hat Euch die brechenden Augen zugedrückt, ohne priesterlichen Segen sind Eure Seelen dem Jenseits zugeflogen und Ihr hattet doch ein ganzes Leben vor Euch! Wie schrecklich ist es, jung zu sterben! Aber um wie viel schrecklicher, auf offenem Schlachtfeld von Kanonengebrüll und Flintengeknatter umbraust, dem Tode ins Auge zu sehen! Rechts und links fallen die Kameraden, lauter junges, frisches Blut und man kann ihnen nicht einmal ein liebes Wort zum Abschied sagen! Das Auge wird feucht, das Herz schwer und die Hand zittert, aber »Feuer!« lautet das Kommando und da gibt's kein Zagen, weder hüben noch drüben. Und wie berauschend wirkt der Pulverdampf! Mutter, danke Deinem Gott, daß du ein Weib bist und niemals in die Lage kommen kannst, von so widerstreitenden Gefühlen gepeinigt zu werden, wie in diesem Augenblick Dein armer Sohn! Ich habe Dir, geliebtes Mütterchen, beim Abschied versprochen, Aufzeichnungen zu führen, soweit es Zeit und Umstände erlauben und ich will Wort halten. Wer weiß, wie bald mich eine Kugel niederstreckt; da sollt Ihr daheim wenigstens wissen, was ich vorher gedacht und gelitten.

Ja, gelitten. Meine Seele ist wund und krank! Ein einfacher, friedliebender Mensch wie ich, der gewohnt war, seinen Acker zu bestellen, seine Untergebenen menschlich zu behandeln und das biblische Gebot zu befolgen: »Du sollst dem Ochsen, der für Dich drischt, nicht das Maul verbinden,« empfindet unaussprechliche Qualen, wenn er Dinge erlebt, wie ich sie in diesen letzten vier Wochen, seit unserem Abmarsch aus Budapest, erleben mußte. All die Strapazen des Marsches, Hunger, Durst, Hitze und Kälte waren ein reines Kinderspiel gegen die seelischen Qualen, die ich seit meinem Abmarsch aus Serajevo erlitt, der an 19. September um 4 Uhr Morgens erfolgte, – den Tag kannst Du in unserem Kalender rot anstreichen, denn nun sollte ich alle Greuel und Schrecken des Krieges kennen lernen. Bis dahin war ich noch in keinem Treffen gewesen, meine Hände waren noch rein vom Blut; jetzt sind sie es nicht mehr. Der Himmel weiß, wie viele Frauen ich zu Witwen, wie viele Kinder ich zu Waisen gemacht und wie vielen Müttern ich das Herz gebrochen habe! Doch glaube ja nicht, daß einem solche Gedanken auf dem Schlachtfelde kommen, – nein, dort denkt man an gar nichts, alle Gefühle verkriechen sich ins versteckteste Seelenwinkelchen und nur der wilde Selbsterhaltungstrieb beherrscht den Soldaten. Wenn ich nicht schieße, werde ich erschossen! Also piff, paff, auf den Feind gezielt und blind auf ihn losgefeuert. Dir darf ich's ja verraten, daß ich wirklich blind meine Flinte abfeuerte, denn einen Mitmenschen von meiner Kugel fallen zu sehen, das brachte ich nicht über mich!

Beim herrlichsten Wetter marschierten wir von Serajevo ab, wo wir uns drei Tage gekräftigt und erholt hatten. Mit klingendem Spiel und von den Flüchen der Bewohner begleitet, zogen wir aus der bosnischen Hauptstadt und marschierten den ganzen Tag, bei einer Hitze, wie sie auf unseren Pußten nur in den Hundstagen brütet. »Etappen«, bestehend aus Fleisch, Gemüse und Wein, wurden uns verabfolgt, aber was nützte uns der Mantel, da er nicht gerollt war? Was nützten uns die verlockendsten Lebensmittel, da aus Wassermangel nicht abgekocht werden konnte! Je weiter wir durch den unwirtlichen Urwald drangen, desto gedrückter wurde die Stimmung der halbverschmachteten Mannschaft. Jeder von uns hätte für einen Schluck guten Trinkwassers seine ganze Barschaft hergegeben, aber es gab weit und breit keine Quelle und der warme saure Wein in unseren Feldflaschen vermochte den Durst nicht zu löschen.

Wir atmeten erleichtert auf, als endlich die Sonne hinter den Bergen versank. Es wurde Rast gemacht. Totmüde lagerten wir uns um ein Biwakfeuer und verzehrten die in der Asche gebratenen Kartoffeln mit Heißhunger. Den Durst konnten sie uns freilich noch weniger stillen als der sauere Wein. Nach einer Stunde setzten wir den beschwerlichen Marsch fort. Der Mond beleuchtete den elenden, steinigen Waldweg. An die Stelle der ungeheuren Hitze trat jetzt eine ebenso ungewohnte Kälte. Dieser rasche Temperaturwechsel scheint eine Spezialität Bosniens zu sein. Brrr! Noch heute klappern mir die Zähne, wenn ich an jenen nächtlichen Marsch denke – er war unheimlich, schauerlich unheimlich. Das Gekrächz und Geflatter der aufgescheuchten Nachtvögel, die gespensterhaft zum Himmel ragenden, nachtschwarzen Tannen, das geheimnisvolle Waldweben, das gleichmäßige, widerhallende Trapp-Trapp unserer Füße und dabei die Angst, den Feind plötzlich aus dem Dunkel hervorbrechen zu sehen – Du kannst es glauben, den meisten von uns sank das Herz in die Schuhe und gar manches Stoßgebet fand seinen Weg zum Himmel. Die Kälte wurde immer durchdringender, sodaß schließlich der Befehl erteilt werden mußte, die Mäntel anzuziehen.

In der Morgendämmerung traten wir endlich aus dem schauerlichen Wald auf die Hochebene von Glasinac und – sahen uns einer starken Macht bosnischer Insurgenten gegenüber. Wettergebräunte, wildaussehende, zum äußersten entschlossene Männer begrüßten uns mit Feuersalven. Bis halb vier Uhr nachmittag dauerte das Gemetzel. »Ein Schlachten war's, nicht eine Schlacht zu nennen.« Ich will Dich nicht mit einer detaillierten Beschreibung quälen – wohl Dir und jedem, der solches sanktionierte Ins-Jenseitsbefördern nicht mit eigenen Augen zu sehen braucht! Hüben und drüben setzte es starke Verluste ab und beide Truppen hielten sich tapfer. Unsere Brigade – Infanterie sowohl als auch Artillerie – hat in dem Gefecht ihre ganze Munition verschossen. Ausgehungert, zu Tode erschöpft – denn wir mußten den ganzen Tag trotz der wieder eingetretenen sengenden Hitze in den Mänteln, die abzulegen am Morgen keine Zeit mehr war, auf den Feind losstürmen – marschierten wir ins Lager zurück. Um unsere Leiden voll zu machen, brach auch noch ein heftiges Gewitter los, so daß wir völlig durchnäßt in Rogatitza anlangten. Man ließ uns aber nicht lange Zeit zur Erholung. Ein Detachement von cirka vierzig Mann mußte sofort nach Makro aufbrechen um Munition zu »fassen«. Der Artilleriezugsführer Novak wurde zum Detachementkommandanten bestimmt. Wie ich schon ein Pechvogel bin, fiel auch auf mich die Wahl meines Hauptmanns und ich mußte an der Spitze von elf Mann meiner Kompagnie mich auf den mühsamen Weg machen, um neues Mitmenschenvernichtungsmaterial zu holen. Wie beneideten wir die Zurückbleibenden, die ihren Adam ein wenig restaurieren konnten! Seit 48 Stunden hatten wir nichts Rechtes zu essen bekommen, keinen Schluck guten Wassers getrunken, zwei Nächte nicht geschlafen, waren von sechs Uhr morgens bis vier Uhr Nachmittags im tollsten Gefecht und nun sollten wir wieder weiter marschieren, ohne Murren, ohne Klagen ... Subordination ist bekanntlich das erste Gebot des Soldaten ...

War das eine Gegend! Unsere stille Hoffnung, irgendwo auf dem Wege unsern immer ärger revoltierenden Magen befriedigen zu können, erwies sich als nichtig. Weit und breit kein Dorf, keine Ansiedlung, nichts als Urwald und wieder Urwald und dabei goß es immerfort in Strömen. Wir mußten auch noch eine dritte Nacht durchmarschieren. Wie oft ich während dieser nicht enden wollenden Stunden an Dich geliebte Mutter gedacht, vermag ich dir nicht zu sagen, aber auch allerlei minder angenehme Gedanken kreisten in meinem Gehirn, die, wenn sie laut geworden wären, mich sicherlich vors Kriegsgericht gebracht hätten. Ich fragte mich nämlich: Wozu in aller Welt diese Menschenschinderei? Könnten wir alle, die wir hier in fremdem Lande unsere Haut den feindlichen Kugeln aussetzen, jetzt nicht friedlich daheim unsern bürgerlichen Beruf erfüllen und wäre dem Vaterland damit nicht besser gedient? ... Was haben uns diese Bosniaken gethan, daß wir ihr Land heimsuchen, wie eine Plage Gottes? Du, der ich gewöhnt bin alles zu sagen, was mein Herz bewegt, wirst mich nicht verraten. Um wie viel lieber wollte ich Dir mündlich all das erzählen, was ich jetzt für alle Fälle niederschreibe! Nur einen einzigen Blick noch in Deine treue Augen! Sage allen unseren Arbeitern auf der Pußta draußen, daß ich sie grüßen lasse und daß ich, der Besitzer des schuldenfreien Gütchens Nagyház, sie alle, alle mit einander beneide und mit jedem sofort tauschen möchte! Doch nein, sage es ihnen nicht, ich gönne ihnen ihr Glück und ihre Freiheit! ... Wer weiß, wie bald ich freier sein werde als sie alle. Weine nicht, Mutter, ich lebe ja gerne, ach so gerne! Aber Pulverdampf und Kanonendonner erregen die Nerven so merkwürdig. – – – – – – – – – – – –

*

Gegen neun Uhr morgens kamen wir völlig durchnäßt, mit zum Teil zerfetzten Kleidern in Mokro an. Kaum daß man uns Zeit ließ, unsere Gewänder zu trocknen. Das »Ausfassen« der Munition nahm mehrere Stunden in Anspruch. Als wir dann um Nahrungsmittel baten, wurde uns bedeutet, daß Mokro keine »Verpflegsetappe« sei und daß wir auch den Befehl hätten, unverzüglich den Rückmarsch anzutreten, damit unsere Brigade den Weitermarsch fortsetzen könne. Unser Detachementskommandant, ein Slovake, machte einige schüchterne Einwendungen, aber vergebens. Es blieb ihm schließlich nichts übrig, als »Kehrt euch!« zu kommandieren. Mich wundert es, daß die Mannschaft nicht sogleich streikte. Aber der Mensch ist eben ein Herdenvieh – der Leithammel trat den Rückzug an und wir anderen folgten. Nach einstündigem Marsch konnten die meisten der ziemlich kräftigen Soldaten vor Erschöpfung nicht weiter und der gute Novak mußte ihnen eine kleine Rast gönnen. Der Länge nach warfen wir uns zu Boden. Jetzt forderte der Magen doppelt energisch sein Recht. Hunger thut wirklich weh und noch mehr als das: er verwandelt den Menschen in eine raubgierige Bestie. Ich erschrak förmlich vor den fieberheißen, wilden Blicken meiner Kameraden. Mehrere besonders hungrige wollten den »eisernen Vorrat« angreifen, aber die Kühleren und Besonnenern erinnerten daran, daß es bei strengster Strafe verboten sei, ohne höheren Befehl die für den äußersten Notfall im Tornister befindlichen Nahrungsmittel anzutasten; ja, einzelne wollten sogar wissen, daß auf einem solchen Vergehen die Todesstrafe stehe. Die Leute murrten, verweigerten den Weitermarsch, wenn sie nichts zu essen bekämen und der arme Detachementkommandant wußte sich weder zu raten noch zu helfen. Er bat, er drohte, – vergebens. Die Situation begann eine äußerst kritische zu werden und mir selbst wurde angst und bange. Plötzlich spannte ein Pußtensohn die Ohren, sprang erregt auf und ein breites Lächeln zog über seinen Mund.

» Isten ucse, dos is ein Kalb!« rief er und ehe die Worte noch verklungen, tauchte um die Biegung ein Bosniak auf, der wirklich ein Kalb an der Leine führte. Wie elektrisiert sprang die ganze Mannschaft auf die Beine und stürzte sich auf das Tier, dessen Todesstunde geschlagen hatte. Novak beschloß nach kurzer Beratung mit mir, es dem Besitzer abzukaufen.

»Heda, guter Freund, wie viel verlangst du für das Kalb?« wandte er sich im besten Slovakisch an den Bosniaken.

Dieser schien ihn verstanden zu haben und entgegnete grinsend:

»Fünfhundert Piaster!«

Das war für unsere Taschen denn doch etwas zu viel und ich mischte mich ins Gespräch, wobei mir das bischen Kroatisch, das ich seinerzeit von unseren Sägearbeitern aufgeschnappt, zugute kam.

»Mensch, bist du ein Christ? Kein Türke hätte solchen Preis verlangt!«

Er bekreuzigte sich, um mir zu beweisen, daß er ein Christ sei; dann entgegnete er:

»Wenn Ihr mir fünfhundert Piaster geben wollt, gehört das Kalb Euch; wenn nicht, gebt es mir wieder und laßt mich meines Weges ziehen. Bogami (bei Gott), ich habe keine Zeit zu verlieren!«

Die Soldaten hatten sich, während wir mit dem Manne verhandelten, des Kalbes bemächtigt und es sofort abgeschlachtet. Er hatte also gut reden: »Gebt es mir wieder!« Als wir ihm unsere Börsen zeigten, die nicht annähernd soviel enthielten, blinzelte er schlau und meinte:

»Ihr braucht mir ja nicht gerade Geld zu geben; ich bin auch mit einer Anweisung auf das Armeekommando zufrieden; habe mir dort schon manchen Piaster geholt.«

Solche Anweisungen haben aber nur Giltigkeit, wenn sie von einem Offizier, der bei Requirierungen als Detachementkommandant figuriert, ausgestellt werden. Unteroffiziere dürfen überhaupt keine ausstellen. Was thun? Geld hatten wir nicht genügend, um den Anforderungen des Mannes zu entsprechen, brandschatzen und plündern durften wir nicht, die Anweisung ausstellen ebenfalls nicht und das Kalb war bereits geschlachtet. Eine fatale Lage! Der arme Novak dauerte mich, die halbverhungerten Soldaten noch mehr und ich selbst am meisten. Ich riet Novak, eine Anweisung zu schreiben, deren Zahlung man dem Bosniaken beim Armeekommando ja doch verweigern würde. Im Kriege sei jede List erlaubt. Wenn der schlaue Kerl die Frechheit hat, für ein Kalb, das ehrlich fünf bis sechs Gulden wert ist, fünfzig zu verlangen, so brauchten auch wir uns kein Gewissen daraus zu machen, ihn über den Löffel zu barbieren. Der pflichtgetreue Zugsführer, der bislang während seiner ganzen Dienstzeit das Reglement nicht ein einzigesmal übertreten hatte und stolz darauf war, keine einzige Strafe bekommen zu haben, weigerte sich aufs Entschiedenste, den Wisch zu schreiben. Um der Geschichte ein Ende zu machen, fragte ich:

»Darf ich die Anweisung ausstellen?«

»Wenn du es verantworten willst, – ja.«

Ich schrieb auf ein Notizbuchblatt mit verstellter Handschrift die Anweisung und der Bosniak ging seines Weges. Wir aber thaten uns gütlich. Seit langer Zeit war uns nicht so wohl zu Mute gewesen. Ein lustiges Biwakfeuer brannte, die Soldaten sangen ungarische und slovakische Lieder und ließen sich das an der Bajonettspitze gebratene Fleisch vortrefflich munden. Für den Moment waren alle Strapazen, alle Gefahren vergessen. Unsere Freude war von kurzer Dauer, denn plötzlich sprengte ein Oberstlieutenant auf uns zu und fragte, was dieses Lager bedeute und woher wir das Fleisch genommen haben. Unser Detachementkommandant wechselte die Farbe, zitterte wie Espenlaub und brachte kein Wort hervor. Ich stellte mich in Positur und antwortete statt seiner:

»Ich melde gehorsamst, Herr Oberstlieutenant, daß die Leute drei Tage nichts zu essen bekamen, daß wir drei Tage durchmarschiert sind und das Gefecht auf der Hochebene von Glasinac mitgemacht haben. Jetzt sind wir mit der in Mokro erhaltenen Munition auf dem Rückweg begriffen. Die Leute sind vor Hunger und Müdigkeit zusammengebrochen und weigerten sich weiter zu marschieren, da haben wir von einem Bosniaken ein Kalb – – –« hier stockte ich.

»Gekauft?« ergänzte der Offizier streng. »Sind Sie der Detachementkommandant?«

»Ich melde gehorsamst, nein!«

»Dann schweigen Sie! Der Detachementkommandant soll reden. Haben Sie das Kalb gekauft?« wandte er sich an Novak.

Der arme Teufel zitterte noch immer an allen Gliedern und berichtete stotternd den Sachverhalt.

»Heda, Bosniak!« rief jetzt der Oberstlieutenant und hinter der Biegung aus der Richtung von Mokro trat der Kerl grinsend hervor, den von mir ausgestellten Fetzen Papier in der Hand.

»Wer hat diesen Wisch ausgestellt?« donnerte der Offizier. »Ist das Ihre Pfote, Zugsführer?«

»Nein; Korporal Kenedy hat's geschrieben.«

»Kenedy! Diese Krähenfüße konnte doch kein Mensch für Kenedy lesen! Es ist klar, Ihr wolltet den Bosniaken betrügen und das ist Euch bei strengster Strafe verboten – –«

»Wir konnten uns nicht anders helfen«, nahm ich wieder das Wort. »Die Mannschaft hatte das Kalb geschlachtet, ehe wir uns mit dem Bosniaken wegen des Preises einigen konnten. Dieser bestand durchaus auf 500 Piastern und woher soll ein Unteroffizier 500 Piaster nehmen?«

Der Oberstlieutenant warf mir einen niederschmetternden Blick zu, wandte sein Roß, winkte dem Bosniaken und ritt, ohne uns eines Grußes zu würdigen, nach Mokro zurück.

Unsere gute Laune war verflogen. Mir brachen sofort auf. Während des ganzen Marsches sprach Novak kein Wort und blickte düster vor sich hin. Ich suchte ihn zu beruhigen, er aber schüttelte den Kopf und sagte:

»Kenedy, fast drei Jahre bin ich schon beim Militär und habe noch keine Strafe bekommen. Die Schande, vors Kriegsgericht gestellt zu werden! Ich wollte, eine Kugel träfe mich, ehe das geschieht!«

»Sei unbesorgt, der Haudegen von einem Oberstlieutenant wird ein menschliches Einsehen haben und uns gar nicht anzeigen.« – –

*

(Zwei Monate später.) Geliebtes Mütterchen, meine Hoffnung hat sich nicht verwirklicht, Zugsführer Novak und Dein Sohn sind wirklich gestern vors Kriegsgericht gestellt worden. Ich habe uns beide – denn Novak verlor jede Fassung – so gut als möglich verteidigt und ich glaube, daß wir freigesprochen oder wenigstens sehr milde bestraft werden. Der arme Novak ist nicht wieder zu erkennen. Wer hätte bei dem slovakischen Rastelbinder ein so subtiles Ehrgefühl vermutet? Ich wollte, ich könnte, da ich doch die Hauptschuld an der Geschichte trage, die Strafe für uns beide abbüßen, denn der Mann macht mir Angst. Denke Dir, er hat mir noch keinen Vorwurf gemacht und als ich jüngst die Sprache auf den verhängnisvollen Vorfall brachte und die ganze Schuld auf mich nehmen wollte, entgegnete er mit einem Lächeln, das mir ins Herz schnitt:

»Kenedy, ich hätte als verantwortlicher Detachementkommandant nicht erlauben dürfen, daß Sie den Schein ausstellen: aber wir alle waren so hungrig, drei Tage fasten ist bitter! Wenn nur die Strafe günstig ausfällt!«

Der Mann hat sich während der ganzen Kriegscampagne merkwürdig tapfer erwiesen. Keine Gefahr oder Strapaze war ihm zu groß, und was er that, that er nicht etwa aus Liebe zu der Sache, sondern einzig und allein in der Hoffnung auf ein Avancement. Sein ganzes Denken konzentrierte sich darauf. Er sah sich schon mit Auszeichnungen bedeckt aus dem Feldzuge in sein Heimatsdörfchen zurückkehren. Wenn ich nur wüßte, wie ich ihn vor einer Enttäuschung bewahren könnte! Zum Glück ziehen sich solche Entscheidungen beim Kriegsgericht oft ewig lange hin. Vielleicht gerät die Sache ganz in Vergessenheit. – – – – – – – – – – – – – – –

*

(Vier Monate später)

Etwas Entsetzliches ist geschehen! Wie hätte ich ahnen sollen, daß mein elender Wisch solch verhängnisvolle Folgen nach sich ziehen würde! Vergib mir, braver Novak! Ich kann es nicht fassen ... Du hättest es nicht thun sollen, schon meinethalben nicht! Du hast mein Leben für immer vergiftet! Aber du konntest wahrscheinlich nicht anders! Nie werde ich dein geisterhaftes Gesicht vergessen, als du gestern das endgiltige, vom Kriegsgericht gefällte Urteil vernahmst: vier Wochen Gefängnis und Entziehung der Charge. Mich trifft ja dasselbe Schicksal, aber ich mache mir nichts daraus, mein Gewissen spricht mich frei! Wir haben vierzig hungernde und zu Tode erschöpfte Leute gespeist, eine offene Revolte verhindert, die vielleicht verhängnisvoll geworden wäre und Menschenleben gekostet hätte. Du aber, ehrgeiziger Novak, du dachtest nur an die Schande, degradiert zu werden und machtest deinem Leben freiwillig ein Ende! Ja, geliebte Mutter, soeben haben wir ihn zu Grabe getragen, den guten Kameraden. Nachdem er gestern sein Urteil gehört, eilte er auf sein Zimmer, legte die Paradeuniform an und schoß sich mit seiner Flinte in den Mund. Ich hörte den Schuß und eilte zu ihm. Er drückte mir mit brechenden Augen die Hand und wies auf einen Zettel, der auf dem Tische lag und in seiner plumpen, ungelenken Handschrift die Worte enthielt:

»Ich kann die Schande nicht überleben! Kenedy, Du bist reich, laß für meine arme Seele eine Messe lesen ... Werde glücklich!

Novak.«

Ich ließ die Messe lesen, bestellte ein schönes Kreuz für ihn und habe den Küster beauftragt, sein Grab mit Blumen zu schmücken. Sobald ich meine Strafe abgebüßt, wird der degradierte Soldat beurlaubt und kehrt zu Dir zurück. In Deinem Herzen wird er nicht degradiert sein, nicht wahr, Mutter?

Berta Katscher.


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