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Ein Husar.

Auf dem Friedhofe zu Jarmenil liegt ein Husar begraben – auf dem Friedhofe zu Jarmenil bei Epinal, einem kleinen Orte an der kleinen Vologne. Nicht das morsche Holzkreuz hat mirs verkündet, das sein Grab ziert, nicht die Leute, die es vergessen haben, sondern der alte Küster, der an 1870 denkt wie »an gestern.«

An der Steinmauer unter denen, die Gott abgeschworen und sich das Leben genommen, begrub man ihn, weil man nicht wußte, weß Glaubens der Tote war. Und so vorsichtig dachte der Pfarrer damals, daß er nicht »aufs Ungewisse hin« einen wildfremden deutschen Husarenleichnam in geweihte Erde versenken lassen wollte, um am Ende später erfahren zu müssen, daß es ein Protestant oder gar ein Jude war.

Wie er hieß, weiß niemand. Woher er kam, ist ein ewiges Geheimnis. Vielleicht denkt in dieser Stunde ein altes Mütterchen an ihren Sohn, der in Frankreich sein Leben ließ und just der Husar von Jarmenil ist es. – Vielleicht führt heut' ein Faßbindergeselle in München sein Bräutchen zum Altar und denkt: »Ach, hätte mein Vater, der in Frankreich sein Leben ließ, diesen Freudentag miterlebt!« – und just der Husar von Jarmenil ist sein Vater. Er starb nicht im Kampfgetümmel, auf dem »Felde der Ehre«, wie wir zu sagen pflegen, sondern seufzend auf dem Krankenbette – Im fremden Lande starb er, unter fremden Menschen und ferne von seinen Lieben bettete er sein Haupt zur letzten, zur ewigen Ruhe. Vielleicht bestellte er, während der Tod sein Lager auf leisem Fittig umschwebte, mit kalten, lächelnden Lippen Grüße an seine Mutter, an seinen kleinen Sohn, doch die fremden Menschen verstanden ihn nicht. Aus der anderen Welt zur Erde ist ein weiter Weg und seine Grüße fanden ihn nicht.

Du armer Toter, warum mußtest du dein Weib, dein Kind, dein Haus für immer verlassen, in den männermordenden Krieg ziehn auf Nimmerwiederkehren? Warum mußtest du hier im letzten Dorfe siech und wund unter Schmerzen deine Seele verhauchen, wie du unter Schmerzen geboren wurdest? War unter den Kugeln, die hin und wider sausten, keine für dich bestimmt, daß sie dir das Herz durchbohre und du fallest, eh' du's recht gefühlt, eh' du die dreifache Qual der Todesfurcht, des Schmerzes, des Heimwehes durchkostet?

Vor zwei Jahren kam ich als junger Kaplan zum hochwürdigen Pfarrherrn nach Jarmenil, um ihm zu helfen. Denn er ist alt und schwach, zu schwach, seine Lämmlein vor der Tücke dieser Welt zu schützen und ihre widerstrebenden Gemüter ins milde Joch der Frömmigkeit zu beugen.

Da war es eben zu Allerseelen, als ich in tiefen Gedanken über den Friedhof hinschritt durch die Reihen der Lichter, der Kränze, der knieenden Gestalten und alle Gräber geschmückt fand, nur eines nicht. Und als ich fragte, wen das wuchernde Gras, wen der kleine Hügel decke, erzählte mir der Kastellan von dem Husaren, der ins Dorf kam, von seiner Truppe versprengt, als letzter Flüchtling aus einem jener wenigen Treffen, in denen unsere Reiter die Deutschen schlugen, oder als verirrter Vorposten seines Corps. Genug – er erkrankte und starb und ward so begraben ...

Damals weihte ich ihm eine Kerze, zum Zeichen, daß sich Jemand unter den Menschen seiner erbarmt und seine Ruhestätte nicht verwaist sei, wenn über den andern allen die Flammen des Gedenkens flackern. Auch einen Kranz legte ich an dem Kreuzlein nieder, daß er Teil habe an dem Ruhme seiner Genossen, den er nicht erlebte.

Wieder künden die Stoppeln, das rote Laub des wilden Weinbergs, das Jauchzen der Weinleser den Herbst. Der Himmel hat sich grau umzogen, um mitzuweinen in der allgemeinen Trauer und die Glocken läuten. Es ist Allerseelen, das Fest der Toten.

Auch heute widme ich dir Kerze und Cypressenzweig, du armer Husar, der du sterben mußtest, weil die Weltgeschichte das blutige Opfer der Wahlstatt heischte.

Was haben deine Lieben Böses gethan, daß Gott sie so strafte? Mitten in der Stille der ländlichen Erde lebten sie in Arbeit und Ehrlichkeit, als der Befehl kam, der dich zu den Waffen rief. – Auch ohne dich wär' Deutschland einig und groß und doch raffte der Krieg auch dich hin, wie tausend Andere! Hier modert dein Gebein und keiner, der dich kannte, da du noch lebtest, keiner, der dich als Sohn, als Bruder, als Vater liebte, betet über deiner Asche nach frommer Leute Art. Die in der Heimat, denen du teuer warst, heut sagen sie: In Frankreich, tief in Frankreich verscholl er und wo seine Gebeine ruhen, wissen wir nicht.

Gleichgiltig sieht mir der Küster zu, während ich an der einzigen, so vergänglichen Spur deines unglückseligen Erdenwallens, an deinem Grabhügel stehe.

»Hochwürdiger«, beginnt er, »heuer ist es zweiundzwanzig Jahre seit dem großen Kriege. Und doch sehe ich den Baier vor mir, als wär's gestern gewesen, daß ich ihn bei Sedan von dem Pferde stach. Mitten in's Gesicht ist mir sein Blut gespritzt, daß ich anfangs meinte, es sei mein eigenes. Er fiel schwer nach hintenüber aus dem Sattel und blieb auf dem Rücken liegen. Sein Pferd aber war ihm sehr treu, es lief nicht mit den andern mit, sondern beugte sich über ihn und roch an seiner frischen Wunde. Dann aber schnob es ihn an, als wollte es ihn küssen. Ein braunes Pferd war's und er ein blauer Chevau-léger. Das kam mir einen Augenblick lang so eigentümlich vor, daß ich das Dreinhauen vergaß und um ein Haar wäre ich gefallen.

Es war eine schöne Zeit!«

Wie verblendet seid doch ihr Menschen, daß ihr das Blutvergießen Heldentum und das Sterben durch Blei und Rosseshufe Seligkeit nennt!

*

»Ja, zweiundzwanzig Jahre sind es her,« fuhr der Küster fort. »Eine lange Zeit, ein halbes Menschenleben. Noch einmal werden sie hier Lichter anstecken und dann nicht mehr. Denn vierundzwanzig Jahre lassen wir den Toten Zeit, zu verwesen, dann sammeln wir ihre Gebeine aus der Grube und lassen diese offen – für den nächsten im Dorfe, der einschläft. vielleicht bin ich's ...

W. Roda-Roda.


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