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Die Schneeschaufler.

Auf einem Gang über die Wiener Ringstraße ging plötzlich, wie das ziemlich oft vorkommt, neben mir ein Mann, dem man es trotz seines deklassierten Aussehens anmerkte, daß ihm nicht an der Wiege gesungen worden sei, er werde einmal betteln. »So viele haben da Arbeit gefunden,« begann vor Kälte zitternd der Arme, »nur ich nicht. Vom frühesten Morgen an laufe ich von einem Bezirk in den andern, um mich anzutragen, aber umsonst. Man will mir Schaufel und Besen nicht anvertrauen; ich sei zu schwach, heißt es. Wie gern aber nähme ich sie zur Hand, um einmal wieder einen Bissen Warmes zu bekommen!« – Unter den Leuten, die so »glücklich« waren, wirklich mit Schaufel und Besen hantieren zu dürfen, erblickte ich auffallend viele, die mich sogleich an den Mann erinnerten, Menschen mit intelligentem Gesichtsausdruck, die ohne Ausnahme still und mit gewissenhaftem Eifer die übernommene Pflicht erfüllten und dem sich Nähernden schonend und sittsam aus dem Weg traten. Allerdings soll auch mitunter aus den Reihen der Schneeschaufler ein spitzes Wort gehört worden sein, besonders sollen Spaziergänger, die mit der Zigarre im Munde den Weg verstellten, um sich das interessante Schauspiel anzusehen, von den schwer Arbeitenden gefragt worden sein, ob sie es etwa auch einmal mit der Arbeit versuchen wollen. Dieser harmlose Scherz ist leicht zu begreifen und zu entschuldigen. Schwerer begreiflich scheint mir, woher die Armen so schnell die überall zu sehenden hohen und starken Stiefel, die dicken Winterhandschuhe und die dicken Tücher sich verschafften, mit denen die Füße derer eingebunden waren, die sich doch nicht bis zu Stiefeln emporgeschwungen.

Nachts darauf hatte ich einen sehr schönen Traum. Es erschien mir ein weißer, somit guter Geist in Gestalt eines Schneemannes, der also zu mir redete: »Wenn die Milliarden, die man derzeit auf Kriegsrüstungen verschwendet, der arbeitenden Menschheit zur Verfügung gestellt werden, dann wird die herrschende und in rapiden Progressionen sich steigernde Not, die das Volk bereits zur Verzweiflung treibt, wie mit einem Zauberschlag zu Ende sein. Die Arbeitslosen werden dann, weil die Industrie auf allen Gebieten in noch ungeahnter Weise sich heben muß, Arbeit, und zwar gut bezahlte Arbeit, finden; die aber, so nicht arbeiten wollen, wird man sodann mit berechtigter Strenge zur Raison bringen und die endlich, die nicht arbeiten können, ausgiebig und ehrenvoll versorgen können. Das rote Gespenst, vor dem so viele Tausende zittern, ist damit beschworen, denn die einzig mögliche Lösung der sozialen Frage besteht aus den drei heiligen Worten:

Die Waffen nieder

So der Geist. Eben wollte ich ihn mit der Frage vexieren: »Aber, du lieber Geist! Wo nehmen wir dann die Schneeschaufler her?« Der Schneemann aber zerfloß und ich erwachte.

Vincenz Knauer.


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