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Beim Begraben der Toten.

Am ersten Februar hatten wir die Eider überschritten, die dänischen Vorposten wichen überall zurück. Es war vorauszusehen, daß der erste ernstliche Kampf vor dem Danewerk stattfinden werde.

Es schneite. Hinter dem weißen, winterlichen Vorhang erschienen die marschierenden Soldaten, die Reiter und Geschütze wie Figuren eines großen Schattenspiels. Zu beiden Seiten der Straße standen Gruppen niederer Tannen und Kiefern mit ihren Schneeperücken, gleich steifen Herren aus der Rokokozeit da.

Schaaren von Krähen folgten lautlos unserem Zug.

Am 3. Februar näherten wir uns den dänischen Befestigungen.

Bald fielen die ersten Schüsse.

Während die mit uns verbündeten vorsichtigen Preußen bei Missunde ohne Erfolg mit dem Feinde Kanonenkugeln wechselten, gingen wir bei Jagel, nach österreichischer Art, blind auf die Dänen los.

Das Dorf Ober-Selk wurde mit Sturm genommen. Fortgerissen von dem ersten teuer genug erkauften Erfolg drangen unsere Soldaten, ohne Befehl, weiter gegen den nördlich des Orts gelegenen befestigten Königshügel vor.

Auch dieser wurde unter großen Opfern, im Kampf mit der blanken Waffe, den tapfer standhaltenden Dänen abgerungen.

Die eiserne Brigade – das Lemberger Regiment »Martini« und das ungarische Regiment »König von Preußen« – hatte ihre Feuer- und Bluttaufe erhalten.

Ja, wahrhaft stählerne Muskeln und Nerven hatten diese braven Burschen, Polen, Kleinrussen und Magyaren, welche singend in das Feuer marschiert waren, den Kampf Mann gegen Mann mutig bestanden hatten und jetzt, statt zu rasten, auf dem Schlachtfelde bei den Klängen der Regimentsmusik Csárdás tanzten, während die preußischen Offiziere, die zu uns herübergeritten waren, sie anstaunten.

Es war ein schauerlich schönes Bild. Über uns zog am nächtlichen Himmel das Meer der Sterne herauf, und die Wachtfeuer, die ringsum aufflammten, beleuchteten grell die bleichen Gesichter der Toten.

Dann wurde es allmälig stille, und als alles im tiefen Schlaf lag, nur hie und da in der Ferne ein langgezogenes »Halt! Wer da?« ertönte, begann mit einem Male ein Zigeuner, der seine Geige auf dem Tornister mitgeschleppt hatte, ein wehmütiges, ungarisches Volkslied zu spielen, das wie Geisterklage um das blutgedüngte Feld schwebte.

*

Am folgenden Tage begruben wir die Toten.

Es war eine harte Arbeit, in der festgefrorenen Erde die großen und tiefen Gräber auszuhacken, in denen Freund und Feind friedlich beisammen ruhen sollten. Unser tapferer, gemütlicher Feldpater, immer voran, auch dort, wo die Kugeln pfiffen, stets heiter, hilfsbereit, stand nahe dem einen Grabe und blickte in die schwarze Tiefe.

»Eine abscheuliche Geschichte,« sagte leise einer der Kameraden, »in das häßliche dunkle Loch zu fahren. Die Heiden hatten Recht, ihre Toten zu verbrennen.«

Trotzdem Hunderte auf dem weiten Felde damit beschäftigt waren, die Gräber zu graben, die Gefallenen herbeizutragen und zu beerdigen, herrschte eine eigentümliche Stille, unheimlich und beklemmend, und man sah nur ernste Gesichter. Wenn gesprochen wurde, geschah es halblaut. Fast jeder fand unter den Toten einen guten Kameraden, einen Genossen seiner Freuden, wenn nicht einen Freund.

Aus der Ferne klang dumpfer Trommelton zeitweise herüber, und die Raben flatterten über den Leichenhügeln und schrieen.

Am Eingange des Dorfes Ober-Selk, lag vor einem Hause, das von seinen Bewohnern verlassen war, die erste Tote, die ich sah. Es war eine alte Frau, die eine verirrte Kugel hier niedergestreckt hatte. Sie saß an dem Hofthor, den hageren Körper gegen das Holzwerk gelehnt, den Kopf nach vorn geneigt. An ihrer dunklen Jacke klebte schwarzes, gestocktes Blut. Die weißen Haare hingen ihr wie Flachs in das wachsgelbe Gesicht, die Augen schienen mich anzublinzeln unter den halbgeschlossenen Lidern hervor. Neben ihr hockten zwei kleine Kinder, blond wie Maiskolben, ängstlich an die Alte geschmiegt.

Zehn Schritte von ihr fanden wir einen Soldaten unseres Regiments, einen Kleinrussen aus Cziski. Auch ihn hatte ein Schuß niedergestreckt. Er hatte noch Zeit, seinen Mantel und seine Uniform aufzureißen und das Messingkreuz hervorzuziehen und das kleine Säckchen, das er auf der Brust trug. In dem Säckchen befand sich heimatliche Erde, die ihm wohl seine Mutter beim Abschied unter der Schwelle des Elternhauses ausgegraben hatte. Beides hatte er noch an die Lippen geführt, ehe er starb, und die Hände waren auch jetzt im Tode noch wie betend gefaltet. Auf seinem jungen, hübschen Gesicht lag ein tiefer Friede, eine Art Heiterkeit, fast wie ein Lächeln.

Zwei Schritte von ihm lag ein Feldwebel unseres Bataillons, ein Veteran, der schon unter Radetzki in Italien und mit Schlick in Ungarn gefochten hatte. Bei Solferino war er verwundet worden. Diesmal war es zu Ende mit dem Braven, der in der Garnison eine Frau und vier Kinder zurückgelassen hatte. Gut, daß es Knaben sind. Der Kaiser wird für sie sorgen. Sie werden in ein Militärerziehungshaus kommen, als Unteroffiziere austreten und eines Tages auf dem Feld der Ehre enden wie ihr Vater, auf dessen Brust die große silberne Tapferkeitsmedaille und das Dienstkreuz blinken.

Ein dritter liegt im Krampf zusammengezogen mit einem erstickten Schrei auf den bläulichen Lippen in einer dunkeln Blutlache da. Eine dänische Kanonenkugel hat ihm beide Beine weggerissen. Der arme Teufel hat die Fäuste drohend geballt. Gegen wen? –

Nun liegen sie dichter neben- und übereinander, Österreicher und Dänen.

Ein dänischer Infanterist mit dem Gesicht nach vorne in den Schnee, die Flinte starr umklammert. Ein zweiter zur Seite hingeworfen, den Arm mit dem Ladstock erhoben.

Alle, welche durch Schüsse gefallen sind, liegen ruhig, friedlich da, mancher, als ob er im Traume lächeln würde; dagegen sind jene, welche durch die kalte Waffe den Tod fanden, verzerrt und entstellt. Hier ein großer, kräftiger Mann mit hellblondem, fast weißem Kopf, in der rechten Hand das Gewehr mit aufgepflanztem Bajonnet, die linke im blutigen, zerrissenen Hemd verkrallt, die Zähne ineinandergebissen, die hellen Augen halb offen; dort ein Soldat von »Martini«, dem die Eingeweide heraushängen. Neben ihm ein rothaariger feindlicher Soldat, halb sitzend, der wie ein wütender Hund sich in die hölzerne Stange des nahen Zauns verbissen hat, die er verzweifelt umklammert.

Jetzt beugt sich ein alter holsteinischer Bauer über ihn, auf seinen Stock gestützt, sieht ihn lange an und schüttelt den Kopf. Neben ihm steht ein junges hübsches Mädchen, bleich, mit geschwollenen, rotgeweinten Augen. Die beiden suchen den Sohn, den Verlobten, der in den dänischen Reihen, ein Deutscher gegen Deutsche, fechten mußte und von den Befreiern seines Heimatlandes getötet worden war.

Ein dänischer Offizier, von zwei Kugeln niedergestreckt, den Degen in der Faust, liegt auf dem Rücken, die Augen geschlossen, die linke Hand mit dem weißen Taschentuch gegen die Brust gepreßt. Es ist offenbar der Sohn einer vornehmen Familie. Mehr noch als die Krone im Tuch, deuten die schlanke, adelige Gestalt, das feingeschnittene Gesicht darauf hin. Man durchsucht ihn, um seine Person festzustellen. In einer von Frauenhand gestickten Brieftasche finden sich Briefe mit einer kleinen, zierlichen Schrift geschrieben und die Photographie einer jungen, blonden Dame, um deren Lippen ein Lächeln spielt.

Sie ist außerordentlich schön, diese Frau, welche offenbar weiß, daß sie Glück und Unglück, namenlose Qualen und die süßeste Wonne nach Laune zu geben vermag ...

Ob sie dem Gefallenen so lange die Treue bewahren wird wie der kleine struppige Köter, der ein paar Schritte weiter neben einem gefallenen dänischen Soldaten liegt und gegen jeden, der sich nähert, knurrend die Zähne fletscht?

Bei einem blutjungen Lieutenant vom Regiment »König von Preußen« findet sich ein Brief seiner Mutter, einer Majorswitwe, die in Graz lebt. Sie ermahnt ihn, auf seine Gesundheit zu achten. »Du weißt, Ferdinand,« schreibt sie, »daß Du schon als Kind empfindlich warst und immerfort an Erkältungen gelitten hast. Vergiß ja nicht, zwei paar Strümpfe anzuziehen und wickle Dich unter der Uniform in den kleinen Shawl ein, den ich selbst für Dich gehäkelt habe.«

Arme Mutter, dein Shawl hat ihn doch nicht gegen das kalte Bajonett des grimmen Inseldänen geschützt, der jetzt ruhig neben ihm liegt, eine Revolverkugel vorne in der Stirne.

Seitwärts in den kahlen beschneiten Büschen finden wir einen feindlichen Offizier, dem der zweite Finger an der rechten Hand fehlt. Offenbar hatten ihm Leichenräuber einen wertvollen Ring abgenommen und, um rascher ihr Verbrechen ausführen zu können, den Finger abgehackt, In seiner Brieftasche steckt ein kleines Tagebuch, die letzten Zeilen sind mit Bleistift am Abend des 2. Februar hingeworfen: »Du bist leichtfertig, und doch liebe ich Dich, und je weniger ich an Dich glaube, um so mehr bete ich Dich an. Der weiße, weiche Schnee erinnert mich an Deine blauseidene Jacke mit weißem Fuchs. Ich friere hier auf Vorposten und Du, verwöhnte Sybaritin, Du fröstelst wohl noch auf Deinem Bärenfell und in Deinem üppigen Pelzwerk, bei der roten Glut des Kamins?« ...

Während des Handgemenges war hier jedes mit einer niederen Steinmauer eingefaßte Feld zu einer kleinen Festung geworden, welche zahlreiche Opfer forderte. Hinter einem dieser Kniggs schlief ein jüdischer Soldat von »Martini« den Todesschlaf. Sein Vater hatte ihm noch wenige Tage vorher im Namen der ganzen Verwandtschaft geschrieben. »Genug, daß man dir die Peies (Stirnlöckchen) abgeschnitten hat,« ermahnte der fromme Mann seinen Sohn, »hüte Dich um so mehr, zu genießen, was nicht koscher ist, faste, hungere lieber, als daß Du sündigst. Sei nicht unmenschlich gegen die Feinde, sind sie doch Menschen wie wir selbst. Du sollst nicht rauben, noch stehlen, noch einem Frauenzimmer Gewalt anthun. Du sollst auch nicht töten! Schieße lieber in die Luft, als daß Du Blut vergießen solltest.«

Armer Isak Marores, die Dänen haben nicht in die Luft geschossen, und dein alter Vater und deine Mutter werden jetzt das Kadisch für dich beten und auf der bloßen Erde sitzen und um dich trauern und weinen.

Bei seinem Nachbar, einem fröhlichen Wiener Kind, der es auf der Stufenleiter zum Feldmarschall bis zum wirklichen k. k. Korporal gebracht hat, findet sich ein liebevolles Schreiben seines Schusters. Derselbe wünscht ihm viel Glück im Feldzug, gute Quartiere und frisches Bier und erwähnt schließlich, daß der wohlgeborene Herr Korporal in der Eile des Abmarsches vergessen habe, ihm die 6 fl. ö W. für das letzte Paar Extrastiefel zu bezahlen.

Ob der gute Mann sie jemals bekommen hat? ...

Mitten auf der Straße liegt der Esel unseres Marketenders. Auch du hast ausgelitten! Niemand wird dich mehr bei den langen Ohren zupfen, niemand dir Zucker auf der flachen Hand reichen, niemand seine Reitlust an dir versuchen, ein Wagnis, das jedesmal unter lautem Jubel mit deinem Siege endete, guter Nero!

»Schade um das Vieh«, sprach Feldwebel Bernoletti, »was hätte das für feine Veroneser Salami gegeben! Aber immerhin – auch er ist für das Vaterland gefallen!«

Zum erstenmal höre ich an diesem Morgen lachen, doch bald vergeht die Lustigkeit wieder. Abseits in einer Vertiefung, in die man ihn geschleppt hat, liegt ein österreichischer Soldat fast vollständig entkleidet und ein Schwarm Raben fliegt krächzend von der Leiche auf, die bis zur Unkenntlichkeit entstellt ist, nur die an Bronce mahnende Farbe und das schwarze Haar sprechen dafür, daß es einer der unseren ist, wahrscheinlich ein Ungar von »König von Preußeninfanterie«.

Dann stoßen wir auf Leichenhaufen. Hier wurde mit Kartätschen gefeuert. Schrecklich verstümmelt liegen die Gefallenen neben- und übereinander, und das Blut, das den Schnee gefärbt hat, breitet sich ringsum aus wie ein roter Teppich.

Hinab! Hinab mit ihnen in die gähnenden Gräber! Morgen wird der Schnee sie mit seinem weißen flimmernden Leichentuch zudecken und übers Jahr wird der Pflug hier seine Furchen ziehen, werden blaue Kornblumen und roter Mohn erblühen, und die Schnitterin, die singend heimkehrt, wird ihr blondes Haar damit schmücken.

Wer gedenkt dann noch der Toten?

Vergessen wird all das Entsetzen sein, das Elend, das sich auf dem frostigen Felde jetzt um uns her ausbreitet. Die Menschheit hat ein so kurzes Gedächtnis für ihre Leiden, für den Jammer, mit dem die Helden, die Sieger, ihren Weg bezeichnen. Jubelnd, beim Glase Wein und beim Gesang werden alle jene, die nicht dabei waren, und die auch niemanden zu beweinen haben, die Ruhmesthaten feiern und damit prahlen, während hier auf allen diesen stummgewordenen Lippen eine Anklage schwebt, die uns schauern macht.

Nirgends ein Trost – nirgends ein Bild, das uns Hoffnung für die Zukunft geben würde! – Doch! – Ferne dem eigentlichen Kampfplatz finden wir noch zwei Tote – einen Dänen, den breiten Rücken an einen Erdhaufen gelehnt, und einen Österreicher, den Kopf mit dem dunklen Haar an seiner Brust gebettet. –

Sie halten sich umschlungen wie Freunde. Vor diesen beiden haben wir jetzt schweigend das Haupt entblößt.

Leopold v. Sacher-Masoch.


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