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Olivenzweige.

I.

Es sind befleckt die Blätter der Geschichte
Durch alle Zeiten hin mit Blut und Leichen;
Von je erlernten, wie man sich vernichte,
Die Menschen, statt die Hände sich zu reichen.

Sie mähten gierig ihre eigenen Saaten –
Vergaßen nicht, vorher um Kraft zu beten;
Sie haben sich geschlachtet und gebraten,
Des Menschen Würde in den Staub getreten.

Wenn alte Zeit vors Auge ich gerufen
Mit ihrer Nacht und ihrem ganzen Schrecken,
Wenn mir gestampft des Mittelalters Hufen
Und dann die Liebe kam, mich aufzuwecken –

Hat oft erfaßt ein Grauen mich unsäglich,
Ein Wehe! Wehe! mir das Herz durchschnitten;
Wie schien das Leiden dieser Zeit erträglich –
Wenn ich erwägt, was jene doch gelitten!

Und immer dann von blutbesprengten Auen,
Vom Tummelplatz der tierisch-wilden Triebe
Zog es mich fort: mit Liebe anzuschauen
Die Monumente schöner Menschenliebe.

II.

Es leugnen viele, daß es anders werde –
Sie dauern mich! es ist ein arges Dunkel,
Das sie umgiebt: sie sitzen hoch zu Pferde
Und schmähen laut das »friedliche Gemunkel«.

Sie zeigen uns der Vorzeit alte Recken,
Des Mittelalters ritterlich Gebahren,
Und preisen Zeiten, da Gewalt und Schrecken
Das Atemholen jeder Stunde waren.

Kraft nennen sie ein zügelloses Walten,
Und Hohes finden sie in rohem Mute ...
O, leichter ist's, der Köpfe zehn zu spalten,
Als einen zu gewinnen für das Gute!

Sind denn die Kräfte, die in edlen Thaten
Zu Tage treten, höher nicht zu achten?
Ist denn ein Mut, der keimen machet Saaten,
Erhab'ner nicht als der da tobt in Schlachten?

Sie dauern mich, die da so thöricht reden –
Ihr Aug' ist trüb, und nicht geklärt ihr Denken:
Von Schlachten träumen sie und ew'gen Fehden,
Anstatt den Blick auf Menschenwohl zu lenken!

Sie dauern mich, weil sie nicht seh'n die Ziele,
Zu denen hin der Menschheit Pfade führen!
Erröten wird ob dem Barbarenspiele
Ein neu Geschlecht – und Bess'res sich erküren.

III.

Zum andern ist's der Kleinmut, der sich breitet,
Die Schwäche, die an allem Großen, Schönen
Noch je verzagt, so lang's nicht siegend schreitet,
Nur gährt und brauset in geheimen Tönen.

Sie sprechen ängstlich: »Edel mag eu'r Streben,
Erhaben sein – doch aber bleibt's Chimäre!«
Als ob aus Blütenstaub, aus Keimesleben
Nicht immer noch ein Baum geworden wäre!

Sie sind zu blind, in Kleinem Großes sehen;
Sie sind zu schwach, sich liebend ihm zu weihen;
Bequemer ist's, auf jener Seite stehen,
Die man als Herrscherin erkennt am Schreien.

O Hasentum! Du zählst der Jünger viele,
An allen Hecken sehen wir sie kauern;
Sie schwatzen immer von gewagtem Spiele,
Und jedes Hemmnis macht sie bang erschauern.

IV.

Wir aber wissen, daß die Zeit muß kommen,
Wo Recht und Freiheit sich mit Liebe einen!
Wir aber haben freudig es vernommen,
Das große Wort von den Olivenhainen!

Wir aber wissen, daß die Zeit erscheinet,
Wo endlich sich der Mensch zum Menschen findet ...
Wo Bruderliebe alle Völker einet,
Zu hohem Streben, edlem Thun verbindet!

Ja, wenn dereinst die letzten Schranken fallen,
Die schnöde Selbstsucht mächtig aufgerichtet
Die letzten Flüche irren Wahns verhallen,
Der alles Menschliche in sich vernichtet:

Dann wirst du da sein, großer Tag der Tage –
Um den sich innig ranken meine Triebe!
Dem ja auch ich voran das Banner trage:
Das Evangelium der Menschenliebe!

Hugo Ölbermann.


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