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Gesang der Mohnblumen.

I.

Zwischen dem Weizen
In Sommerglut
Blühen die Blumen
So rot wie Blut.

Zwischen den Halmen
Hoch und schlank
Flüstert des Windes
Heimlicher Sang.

Die Lerchen flattern
Mit lustigem Schall,
Die Mäher nahen,
Der Weg ist schmal.

Die Blumen flüstern
In hoher Saat,
Die Mäher lauschen
Still auf dem Pfad:

»Blühend und leuchtend wie Karfunkel,
Unglücksboten, hell wie Blut,
Stehn wir roten Blumen schwankend
In der sengenden Sommerglut.

»Unser Wunderlied anstimmend
Wiegen wir uns her und hin.
Doch die Binder und die Mäher
Fassen nicht des Liedes Sinn!

»Von Gehn und Kommen, von Kommen und Gehn,
Von Leben und Sterben und flücht'gem Bestehn,
Von Blutstropfen, zahlreich wie Tropfen der See,
Singen wir trüb, und der Wind stöhnt: Weh!

»Von sterbenden Streitern, zerfleischt und wund,
Von zuckenden Leibern, gesät auf den Grund,
Von Thränen der Mütter am Unglückstag
Melden wir trüb, und der Wind seufzt: Ach!

»Jungfrauen schweben,
Traumverlor'ne,
Schweifend hin durch den Sonnenglanz;
Jünglinge weben
Für die Erkor'ne
Duftende Blumen zum Hochzeitskranz.

»Wir aber, wir sehn, wie durch wallende Saat
In höllischem Grimme sich furchtbar naht
Ein grauses Gerippe auf schwarzem Schrein;
Ach! Was heute noch blüht und gedeiht,
Morgen fällt's heim der Vergänglichkeit:
Gott schütze uns schwankende Blumen am Rain!

»Unser Lied tragen Winde
Zur Ferne hin,
Doch Binder und Mäher
Verstehen nicht den Sinn.

»Wir kommen und singen
Jedwedes Jahr,
Und was wir verkünden,
Ist ewig wahr.«

Und der graue Nebel sinkt,
Auf dem Gras liegt Perlenthau,
Und der Blumen Lied verklingt
Leis' im weiten Himmelsblau,
Und mit goldenen rauschenden Garben
Heim zum trauten Herde ziehn
Schnitter und Mädchen Hand in Hand
Durch's Stoppelland,

Lichtverklärt von des Abends Farben,
Die im Westen still verglühn;
Auf Thal und Feld sinkt stille Ruh'
Und der Tau, er küßt die Blumen zu:
O das Lied der roten Blumen!

II.

Ist es der Wind, der saust durch die Ähren?
Murmelt der Sturm so wehvoll und schrill?
Ist es der Donner, der rollt in der Ferne,
Oder dumpfes Kanonengebrüll?
Seht: von Hufen und stampfenden Tritten
Liegen die Halme am Boden schwer;
Scharen nach Scharen kommen geritten,
Drohend mit Lanze und Mordgewehr;
Zahllose Krieger mit grimmigen Sinnen
Ziehen heran, eine brandende See,
Blut soll fließen, Blut soll rinnen,
Mütter und Bräute jammern: Weh!
O das Lied der roten Blumen!

Seht: Dort sind sie, seht: Dort suchen
Sie den Feind mit wilder Wut,
Hadern, knirschen, stampfen, fluchen,
Und ihr Sinn lechzt heiß nach Blut:
Hört ihr nicht die Lüfte dröhnen?
Feuerschlünde krachen laut,
Menschen sinken hin mit Stöhnen;
Und auf Leichen, schreckumgraut,
Im Gewirr, vom Blute rot,
Thront der Feldmarschall: Der Tod!
O das Lied der roten Blumen!

III.

Sprecht: Seid ihr es, rote Blumen,
Blumen aus der Sommerzeit,
Die ich ferne sehe blinken
Auf der Felder weißem Kleid?
Sind's die Binder, sind's die Mäher,
Sind's die Pferde mit der Fracht,
Die in eurer Nähe rasten,
Während hoch die Wintersonne
Schläfrig, träumend, bleich und trübe
Über ihren Häuptern lacht?

»O nein, die Blumen sind lange dahin,
O nein, die Mäher, die rasten dort nicht,
Sie zogen zum Kampf für Tyrannenmacht,
Sie stritten in wilder, in schauriger Schlacht,
Dort sind sie gefallen!« –
O grauses Lied
Der roten, der roten Blumen!

»O nein, was rot dort leuchtet im Schnee,
Die Blumen, die roten, die sind das nicht,
Leiber sind es, verendet im Weh,
's ist Blut, 's ist Blut!« –
O trauriges Lied
Der roten, der roten Blumen!

Pol de Mont.
(Deutsch von Albert Möser.)


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