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An den Friedenskongreß in Bern!

I.

Boten in des Friedens Namen,
Wälsche, Deutsche, nord'schen Herrn,
Weiß umglänzt vom Firnenrahmen,
Seid gegrüßt im grauen Bern!

Seid gegrüßt in vielen Zungen,
Eure Satzung sei gesegnet,
Rot von Blütenhuldigungen
Sei die Mahlstatt überregnet!

Eurer Worte schneeige Blüte,
Eh' den Baum die Blutaxt fällt,
Werde bald zur Frucht voll Güte,
Ach, zur reifen That geschwellt!

Edle Herr'n, von Stamm zu Stamme
Fester schlingt den holden Reigen,
Laßt des Friedens reine Flamme
Von Europas Kriegsherd steigen!

II.

Ihr habt gehört das alte Lied
vom Bauernhelden Winkelried,
Der für der Scholle Schutz und Wehr
Den Leib gebohrt in Spieß und Speer
Und wider unterthän'ge Schmach
Der Freiheit eine Gasse brach.

Das Lied ist alt, das Lied ist gut,
Das singt von Eidgenossen, Mut,
Von kühner Opferthat und Tod
Für freie Weide, Milch und Brot,
Wie Einer fiel als Mann und Held
Fürs Schweizerheim auf blut'gem Feld.

Ein neues Lied anheb' ich heut,
Das läutet nicht wie Sturmgeläut,
Das gellt nicht dräuend durch die Nacht
Zur grauenvollen Männerschlacht,
Das schweigt von Morgenstern und Schild,
Das klingt wie Schalmei morgenmild.

Vom Frieden sing' ich, der jetzt kommt,
Vom Frieden, der der Menschheit frommt,
Den Völkerfrieden nah und fern
Sing' ich hinaus vom alten Bern,
Die junge Losung in die Zeit:
Die Waffen nieder! Macht bereit!

Was steht ihr zag und zaudert schwer
Und späht bekümmert rings umher,
Wie Waffen starren Land an Land,
Wie schleichend glimmt des Krieges Brand?
Und schüttelt zweifelnd euer Haupt:
Ein Schwärmer, wer an Frieden glaubt!

Schaut her! Hier roll' ich mein Panier:
Schwärmer und Träumer, das seid ihr!
Von Alters her ein starrer Wahn
Hemmt eures Geistes Fluß und Bahn,
Und was Jahrtausende gewährt,
Hat zum Gesetz sich auch gejährt.

»Des Menschen Krieg währt immerdar.«
Ihr Träumer, nein, es ist nicht wahr!
Des Menschen Krieg währt seine Zeit,
Bis sich vom Krieg der Mensch befreit –
Und sein Geschick frei, wie er denkt,
Mit Selbstbewußtsein selber lenkt.

Tief schau ich in der Dinge Strom;
Von unten steigt des Friedens Dom,
Jahrhundert auf Jahrhundert hebt
Sich Stein auf Stein, das Bauwerk bebt,
Doch fällt es nicht und wächst mit Macht
Empor zu blaukrystallner Pracht.

Jetzt zu der Riesenkuppel krönt
Sich's kühn empor, gewaltig tönt
Der Massen Baulied fugenhehr:
»Vollendet!« rauscht das Jubelmeer;
Den Meistern auf des Münsters Kranz
Zittert im Aug' ein feuchter Glanz.

Ward euer Hirn durch Wissen rein?
So kommt, ihr sollt Genossen sein!
Noch ist, den Wahrheit künden muß,
Nicht Wirklichkeit des Dombaus Schluß.
Legt Hand an, Freunde weit und breit,
Die Waffen nieder! Macht bereit!

Ihr wollt den Frieden? Gut. So baut!
Bekämpft den Krieg, von Krieg umgraut!
Seid ihr von Heldenart? Wohlan!
Die weiße Fahne schwingt! Ein Mann,
Der für die Flinte sich entschied,
Wird kein moderner Winkelried.

Bohrt in des Wahnes Speerwald kühn
Das Wahrwort, daß die Funken sprühn!
Die Losung reicht von Mund zu Mund:
Ein Schiedsgericht dem Völkerbund!
Zur That erweckt das Ideal:
Europas Friedenstribunal!

O Frieden, Frieden! Daß dies Wort
Nicht in dem Mund der Zeit verdorrt!
Die Waffen nieder! Daß zur That
Emporblüht unsrer Reden Saat!
Dem Kriege Krieg! Daß uns beschieden
Erfüllung sei und Frieden, Frieden.

Karl Henckell.


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