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An Carducci!

Ein Dichter schrieb: der Krieg muß bleiben,
Er ist notwendig, menschlich, schön!
Mich aber lehrt die Wahrheit schreiben
Zu Trotz dem trügenden Getön:
Der Krieg muß fallen und verderben,
Er ist unmenschlich, scheußlich, faul,
An seiner Fäulniß muß er sterben,
Wahnsinnig wie der König Saul.

Ein Erbteil blutbefleckter Ahnen,
Voll mörderischer Räubergier,
Begleitet er der Menschheit Bahnen
Bis in der Gegenwart Revier.
Er pfeift und winselt noch um Beute,
Verpestend unsres Erdballs Flur,
Er hüllt sich schlau in feinste Häute
Und schleicht auf frischen Aases Spur.

Und doch – kein Traum ist es, kein Plunder
Bethörter Hoffnungsseligkeit,
Es ist kein Wahnwitz und kein Wunder,
Es ist ein Ziel der Wendezeit:
Die Menschheit ward des Schlachtens müde,
Der Selbstzerfleischung Schwertzahn bricht,
Und Friede klingt es, Friede, Friede!
Von Angesicht zu Angesicht.

Doch kein Gebet, kein Lied der Lieder
Beschwört das Scheusal alter Nacht,
Die Menschheit wirft die Waffen nieder
Und – siehe da! – es ist vollbracht.
Sobald der Wille Macht geworden,
Der Wille, wahrhaft zu befrei'n,
Wird ew'ger Urlaub allen Morden,
Wird Friede, Friede, Friede sein.

Ein Dichter schrieb: der Krieg muß bleiben!
Antike Träume sagen wahr;
Ich aber muß zur Wahrheit schreiben:
Hier sprach Carducci als Barbar,
Er lügt in seiner langen Ode,
Weil er nicht horcht, weil er nicht lauscht,
Wie zu der alten Menschheit Tode
Der neuen Menschheit Taufpsalm rauscht.

Karl Henckell.


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