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Ein Testament

»Doktor ... sagen Sie mir die Wahrheit ... Wenn ich etwa bald sterben sollte, ich will es wissen. Noch so viel, so viel hätte ich zu thun, aber ich fühle die Kräfte schwinden ...«

»Regen Sie sich nicht auf. Sie können wieder gesund werden, namentlich wenn Sie sich Ruhe gönnen und diesem Ringen und Kämpfen für eine unerreichbare Sache entsagen – wenn Sie sich das närrische Zeug mit all den Friedensvereinen und Kongressen und der gleichen aus dem Kopfe schlagen – es reibt Sie auf ... Und Sie erleben es doch nicht, wenn Sie hundert Jahre alt werden, daß – –«

»Wer spricht vom Erleben? Als ob in Menschheitsfragen die Dauer des individuellen Daseins ins Gewicht fiele! Wir sprechen im Gegenteil vom Sterben. Ich will wissen, ob ... ich ... o, mein Gott!«

»Sie haben Fieber. Ihre Augen und Ihre Wangen glühen. Versuchen Sie zu schlafen.«

»Nein, zum Schlafen habe ich Zeit, Zeit und Ewigkeit. – Jetzt habe ich Dringenderes zu thun ... Es handelt sich um Dinge –«

»Nun, wenn Sie Ihre letztwilligen Verfügungen treffen wollen, dann allerdings – –«

»Mein Testament? ... Ja ... Es liegt schon eines beim Notar ... Aber ich will noch ein anderes schreiben ... Alles, was ich auf dem Herzen habe ... auf ein einziges Blatt ... die heißesten Wünsche zusammendrängen ... jetzt gleich.«

»Soll man vielleicht Ihren Notar –? ... Aber es eilt ja nicht so sehr.«

»Nein, nicht den Notar. Es soll kein trockenes Dokument werden, in Kanzleien zu verlesen – es soll ... Doktor, lassen Sie mich allein, ich will zu schlafen versuchen.«

»Da haben Sie Recht. Sie brauchen Ruhe. Und nur keine aufregenden Gedanken, nichts von Krieg und Frieden ... Sie wissen schon, was ich meine ... Trinken Sie ein Glas Orangenblütenwasser! Morgen komme ich recht früh.« –

Als aber der Kranke allein geblieben, da legte er sich nicht zum Schlafen hin, sondern fiebernd, wie er war, ging er an seinen Schreibtisch und schrieb mit heißer, zitternder Hand in vielen Absätzen den folgenden Brief, der an der Spitze die Adresse eines bekannten Recitators trug:

... Die Gelegenheit wird sich dir einmal bieten, an den Vorlesetisch zu treten, eine Papierrolle in der Hand ... Im Saale Stille und Spannung. Dem Klange deiner Stimme werden sie lauschen, die Menschen da unten, dem Spiele deiner Mienen werden sie folgen und sich ganz der Stimmung gefangen geben, die deinen Vortrag beseelt. Mit dir werden sie lächeln, falls du Schalkhaftes sprichst, mit dir in Schmerz erbeben, wenn deine Rede traurig ist, mit dir erglühen, wenn das Feuer der Begeisterung aus deinen Worten sprüht ...

Leihe mir diese Macht nur auf Minuten! ... Und wenn dir nächstens eine Versammlung lauscht, verzichte auf den lohnenden Vortrag eines schwungvollen, wirkungsmächtigen Dichterwerkes und lies dieses kunstlose Blatt! – Es ist ein Testament ... Geschrieben in einer Fiebernacht, geschrieben in ängstlicher Hast, denn draußen pocht schon der Tod ... Ich will ihm nicht öffnen, dieses muß fertig geschrieben werden, ehe er die Thüre aufreißt. – Aber werde ich da noch alles sagen können, was mir auf der Seele brennt? – Ich hätte noch so endlos viel zu thun, so viel meinen Mitmenschen zu verkünden, Pläne von Thaten und Büchern ... Und jetzt möchte ich das alles auf ein Blatt bringen – in diesen meinen »letzten Willen«. Darum soll es nicht nur gedruckt und gelesen, es soll auch gesprochen und gehört werden, gesprochen von Einem, dessen Herz mitbewegt sein möge von dem Sehnsuchtsweh, das in dieses Schriftstück gelegt ist – gehört von Lauschern, die, gefühls- und gesinnungsverwandt (Verwandte pflegt man ja zu Erben einzusetzen) gewillt sind, das Vermächtnis anzunehmen.

Was da vermacht wird, ist dies:
Ein Kampf, so hart wie jeder Kampf,
Ein Erschauern, so tief, als man nur erschauern kann,
Eine Hoffnung, so herrlich wie keine!

... Wer weiß, vielleicht befindet sich im Saale auch ein Mächtiger, der, wenn er die weiße Fahne erfaßte, im Stande wäre, sie mit einem Ruck auf hoher Zinne aufzupflanzen. Denn auch die Großen dieser Erde, wenngleich ihre Größe aus alter Zeit herüberragt und aus den Idealen des alten Geistes hervorgewachsen ist, fühlen sich vom Geiste der neuen Zeit gar mächtig ergriffen; auch sie blicken nach lichteren Zielen aus – der Wunsch, von der Welt den drohenden Jammer abzuwenden, der erfüllt – sie lügen nicht, wenn sie's beteuern – auch ihre Herzen ... Doch um mit dem alten Geiste brechen zu können, brauchen sie die Mithilfe der Allgemeinheit, die Willenskundgebung der Massen, die Sanktion der Welt. Aber die Welt ist träge ... schleicht nur in Geleisen weiter. Dennoch: ein Neues, ein Leuchtendes ist im Werden begriffen; Kräfte offenbaren sich, welche alles umwandeln wollen – und Kräfte von so ungeahnter Wucht, daß sie unsere Erde allem, was wir als irdisch zu betrachten gewohnt sind, allmälig entrücken, sie zu einem Himmel machen könnten oder – zur Hölle. Alles wird verhundertfacht, vertausendfacht: die Schnelligkeit, das Licht, die Schöpfungs- und die Vernichtungskraft. Der Wert von tausend Stunden Hände- oder Geistesarbeit kann in Leistung einer Sekunde gepreßt werden und tausende Todesqualen – in eine Bombe.

Zu schwindelnder Höhe wachsen alle Mittel unter uns heran – klein und niedrig sind nur noch die Zwecke. Das bischen Haß und Neid zu befriedigen, das uns Menschen anhaftet, dazu genügten die alten Keulen. Der Haß ist nicht gewachsen. Im Gegenteile. Aber die Keulen sind so geworden, daß Ein ausgeholter Hieb nicht nur den Geschlagenen, sondern auch den Schlagenden und alles um ihn her vernichten muß ... Den Zukunftskrieg – seht ihr ihn kommen, den rasenden Millionenselbstmord? Seht ihr diese ganzen Völker aufeinander losgehen, seht ihr die todspeienden Maschinen auffahren, die in einigen Stunden ganze Heere niederstrecken? Aus der Luft, unter den Wassern – überall die sausenden, sprengenden, teuflischen Geschosse ... Und lauter noch als dieser eiserne Zerstörungsdonner, rasender als all das Dynamit- und Ecrasitgekrache das Wutgebrüll und das Wehgeheul der Gehetzten und Gefolterten und Verzweifelten! – – Und keine Aussicht auf Lohn und Sieg und Ruhe! Denn ein Zu-Ende-führen, ein Entscheiden des Zukunftskrieges gibt es nicht. Erschöpfung, Vernichtung auf beiden Seiten ... Solche Massen mit solchen Werkzeugen: das gibt kein Duell, bei dem der eine zu Boden sinkt und der andere stehen bleibt unter beifälligem Nicken – » L'honneur est satisfait« der Herren Zeugen ... nein, einen Kampf gibt es am Abgrundsrand, wo Beide, einander an der Gurgel umkrallend, in die Tiefe kollern, die korrekten Sekundanten hinterdrein. Denn wenn die Vorhut gefallen, dort und da, und Hunderttausende nachrücken und – wieder dort und da, zusammenbrechen, dann hört alle Kriegskunst auf: neue Würger betreten den Plan: Hunger und Seuchen – und morden alle, dort und da.

Ihr faßt es nicht – ich fass' es nicht ... Höchstens eine Sekunde lang – der Geist, das Herz ist zu schwach, um die Vorstellung des titanenhaften Jammers zu ertragen. Ein Zucken, ein Schauern – das Bild verschwindet ... O, wenn ihr aber nicht feige flüchten wollt in kaltes Unverständnis, in apathisches, fatalistisches: »Was geht's mich an?« – »Was kann ich thun?«, wenn ihr euch aufraffen wollt, dem Entsetzlichen ins Antlitz zu schauen, und zu der Energie euch aufschwingen, es abzuwehren, dann verschließt euer Herz nicht gegen das Weh', das der Mitwelt droht ... Doch nicht an die ganze Mitwelt, nicht an die Riesenkatastrophen und Kataklysmen wollen wir dabei denken, dazu ist der Horizont unseres Mitgefühls zu eng. Nur einen Einzelfall, nur ein armes Wesen stellen wir uns vor, das unter Trümmern daliegt, von den Splittern eines Sprenggeschosses halb zerrissen, noch atmend – stundenlang, leise wimmernd, die Augen mit Thränen gefüllt, so furchtbar unglücklich und gequält – und dieses Wesen unser Teuerstes auf dieser Welt: ein heißgeliebter Mann, ein süßes, einziges Kind. – –

Und haben wir so im Geiste das eigene Unglück ins Auge gefaßt, so blitzt uns das Verständnis des millionenfach vergrößerten Unglücks auf, das mit seinen schwarzen Fittigen über unserem Geschlechte schwebt ...

Ja, wenn es sein müßte, dann könnten wir den Mut der Ergebung haben, ja, wenn der mögliche Gewinn noch dem Wagnisse das Gleichgewicht hielte, dann könnten wir den Opfermut entfalten, aber nein: es muß nicht sein! Und nein: das Spiel ist die Kerze nicht wert!

Nicht nur das Herz, auch der Verstand bäumt sich auf. Sein Stolz währt die Bethörung ab, mit der die Thorheit ihn einlullen will. All der alte, auf Herdenblödsinn berechnete Phrasenwust, das eingeflüsterte Kommando-Denken widerstrebt ihm: Wahrheit will er haben! Und Offenheit! Das Reich der Hinterlist ist vorbei!!

Die große, die übermenschliche Macht, die unsere Zeit dem Menschen gegeben und in stets steigendem Maße gibt, diese Kraft- und Lichtfülle, die muß auch den Menschen selber über sein altes Maß erheben. Es müssen ihm auch größere und lichtere Seelen werden, Seelen, welche sich zu der Kraft emporarbeiten, die neuen Ziele zu erkennen, zu erreichen und zu behaupten. Nicht die Qual ist heilig, sondern die Freude, nicht der Tod, sondern heilig ist das Leben ... Und weg – um unserer Menschenwürde willen! – weg mit der Mordwaffe des Hasses und der Gewalt, denn heilig ist das Recht, und über alles heilig ist ...« Hier scheint dem Fiebernden, dem Sterbenden – man fand ihn tot vor seinem Schreibtische liegen – die Feder entsunken zu sein, denn so bricht das Schriftstück ab. Und nun wird es ewig unvollständig bleiben. Nur der letzte Satz ergänzt sich von selbst:

Über alles heilig ist die Liebe!

Berta v. Suttner.


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