François Rabelais
Gargantua und Pantagruel
François Rabelais

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Dreiunddreissigstes Kapitel

Wie wir die vierfachen Treppen hinabstiegen, und von Panurgs Todesangst

Drauf stiegen wir eine Marmortreppe unter die Erde; da war ein Absatz; schlugen uns linkerhand und stiegen noch zwei, da war ein gleicher Absatz, dann seitwärts drei, und wieder ein Absatz; und dann vier. Jetzt frug Panurg: »Ist's hier?« – »Wie viele Stiegen«, sprach unsre vortreffliche Latern, »habt Ihr gezählt?« – »Eins, zwei, drei, vier«, antwortete Pantagruel. – »Wie viel sind das zusammen?« frug sie. – »Zehn«, antwortete Pantagruel. – »Wenn wir 108 Stufen hinabgestiegen sein werden«, sprach sie, »werden wir am End dieser Schicksalszahl des Tempels Pforten finden.«

Beim Hinabsteigen dieser Treppen waren uns sehr vonnöten: erstlich unsre Beine, sonst wären wir wie Fässer in einen Keller gerollt; zweitens unsre erlauchte Latern; denn außerdem fiel nicht ein Lichtstrahl in diesen Grubenpaß, so wenig als in Sankt Patricks Loch in Irland oder in die Trophoniushöhl in Böotien. Wie wir etwa ein 78 Stiegen tief hinunter waren, schrie Panurg und sprach zu unsrer leuchtenden Latern: »Ach wunderreiche Dame! Ich fleh Euch aus zerknirschtem Herzen, laßt uns linksum! Potz Puff, ich sterb' vor Schrecken; will ja mein Lebtag gern ledig bleiben. Ihr habt meinthalben Euch viel Sorg' und Müh' gemacht: Gott wird's Euch lohnen in seinem großen Belohnium. Ich werd' auch nicht unerkenntlich sein, wenn ich dies Troglodytenloch nur einmal erst im Rücken hab'. Um Gottes willen, linksum! Ach, ich fürcht' sehr, hie ist der Eingang, wo man zur Hölle hinuntersteigt; ich mein', ich hör' den Cerberus schon bellen, horcht! Er ist es, oder die Ohren gellen mir; ich bin sein Freund durchaus nicht, denn 's ist kein ärger Zahnweh auf Erden, als wenn uns die Hunde an den Beinen haben. Wenn hier die Hölle ist, fressen uns die Lemuren und Kobolde noch lebendig auf; sie haben ja so nix hier zu beißen. Bist du da, Bruder Jahn? Ich bitt' dich, halt dich dicht zu mir, liebs Ränzel! Ach, ich sterb' vor Angst. Du hast doch deinen Säbel bei dir? Ich hab' auch nicht die kleinste Wehr zu Schutz noch Trutz. Linksum!«

»Ich komm', ich komm' ja schon«, sprach Bruder Jahn, »sei außer Sorg'. Halt ich dich nicht am Kragen fest, daß achtzehn Teufel dich mir nicht nähmen und wenn du zehnmal ohn' Waffen wärst? Mit gutem Mut und guter Faust fehlt's keinem in der Not an Waffen. Eher müßt's vom Himmel ja Waffen schnei'n, wie's weiland auf dem Feld zu Crau in der Provinz am Mariusgraben die Kieselsteine geschneit hat (sie sind heut noch da)! Wetter aber! Wo geht's hier hin? Zu den kleinen Kindern? (Hui, die werden uns schön beklackern!) oder zu allen Teufeln der Hölle? Kreuz Gottes! Ich schlag' sie braun und blau, jetzt da ich Wein auf den Sohlen spür'. Heut will ich mal preislich haun. Wo ist's? Wo sind sie? Ich fürcht' mich nur von ihren Hörnern. Doch davor wird mich Panurgs Geweih schon schützen, wenn er erst ein Weib hat. Ich seh ihn schon im prophetischen Geist, den neuen Aktäon, den Hornhahnrei und Hörnensiegfried.«

Hier unterbrach unser Glanzlaternlein mit dem Ermahnen das Gespräch, daß dies der Ort wäre, wo wir nun durch Unterdrückung aller Worte und Zungenstummheit Achtung zu beweisen hätten. Übrigens beschied sie uns, daß wir ohn' das Flaschenwort keineswegs von hier gehen dürften, weil wir mit Weinlaub vorgeschuht wären.

»Marsch also vorwärts!« rief Panurg, »und häuptlings durch dreitausend Teufel! Der Tod ist nur ein Hops: zwar hatt' ich mein Leben auf eine Schlacht verspart – marsch vorwärts! Immer zu! Courage hab' ich, soviel ihr wollt; zwar bubbert mir 's Herz im Leib, allein das macht dies kalte feuchte Kellerloch. Es ist nicht Furcht noch Fieber, nicht doch! Nur zu, nur vorwärts! Marsch, marsch, marsch! Mein Nam' ist Wilhelm sonder Furcht.«


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