François Rabelais
Gargantua und Pantagruel
François Rabelais

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Dreissigstes Kapitel

Wie Pantagruel dem Termin des Richters Gänszaum beiwohnte, der die Prozesse nach dem Los der Würfel entschied

Tags darauf zur bestimmten Stunde kam Pantagruel in Schwatzenbach an. Vorsitzender, Schöffen und Ratsherrn ersuchten ihn, mit hineinzugehn und die Entscheidung der Beweggründe anzuhören, die Gänszaum für sein Urteil anführen werde, das dem Zentumviralhof nicht allerwegen billig schien. Pantagruel ging gern mit ihnen. Da fand er den Gänszaum in den Schranken sitzen, wo er statt aller andern Gründe und Ausflüchte weiter nichts zur Antwort gab, als daß er alt geworden wär und nicht mehr so helle Augen hätt' wie vormals. Deshalb erkenne er die Augen der Würfel nicht mehr so deutlich wie früher, und so könne es ihm wohl passiert sein, daß er, nach Art des alten Isaak, der den Jakob in seiner Blindheit für Esau nahm, auch bei Entscheidung des fraglichen Prozesses etwa eine Vier für eine Fünf genommen hätte, zumal er sich seiner kleineren Würfel damals bedienet habe; daß aber von Rechts wegen Naturgebrechen nicht für Verbrechen zu achten seien (ff. de re milit. l. qui cum uno ff. de reg. jur. l), und wer ihm daraus einen Vorwurf mache, nicht den Menschen, sondern die Natur verklage (l. maximum vitium. C. de lib. praeter).

»Was für Würfel«, frug Breitmaul, Großpräsident des Gerichtshofs, »meint Ihr, mein Freund?« – »Die Würfel des Rechts«, antwortete Gänszaum (26. quaest. 2 cap. sort l. nec. emptio.). Dieselben Würfel, deren ihr andern Herren in diesem Oberlandesgericht euch für gewöhnlich selbst bedient (not. gl. in c. fin. de. sortil. et. l. sed cum ambo ff. de jud.). Denn es steht geschrieben, daß zur Erledigung der Prozesse und strittigen Fälle das Los gar nützlich, gut, nötig und anständig sei (Alex. C. communia de leg. l. si duo).« – »Und wie«, frug Breitmaul, »macht Ihr dies, Freund?« – »Ich mach's halt«, sprach Gänszaum, »wie ihr andern Herrn, und nach dem Gerichtsbrauch, welcher von uns in unsern Rechten allezeit zu beobachten ist (ut not. extra, de consuet. c. ex litteris. et ibi Innoc.). Hab' ich zuvor erst wohl studiert, durchwälzt, gelesen, wiedergelesen, repetieret und revidieret die Petitiones, Zitationes, Komparitiones, Informationes, Präliminaria, Produktiones, Allegationes, Intentiones, Kontradiktiones, Inquisitoria, Suppliken, Dupliken, Tripliken, Exzeptiones, Gesetz', Antizipatoria, Gravamina, Deklinatoria, Kompulsoria, Salvationes, Repetitiones, Konfrontationes, Kreuzverhör', Klagschriften, Bericht', Reskripta, Prinzipes, Evokationes, Appellationes, Rejektiones, Konklusiones, Inhibitiones, Provisoria, Läuterungsurteil, Geständnis, Rügen und mehr dergleichen Zuckerbrot und Annehmlichkeit auf beiden Seiten, wie die Pflicht des guten Richters es erheischt (ejus quod not Spec. de ordination.), so leg' ich in meiner Schreibstube sämtliche Akta des Beklagten auf ein End des Tisches und werf zuerst für ihn, wie ihr andern Herrn (not. l. favorabiliores). Wann dies geschehen, leg' ich, just wie ihr andern Herrn, des Klägers Akta aufs andre End (opposita juxta se posita magis elucescunt), und werfe für ihn zu gleicher Zeit auf die gleiche Weise.«

»Aber woran«, frug Breitmaul, »Freund, erkennt Ihr die Dunkelheit der von den Parteien bestrittenen Rechte?« – »Wie ihr andern Herrn«, antwortete Gänszaum, »daraus, daß auf beiden Seiten viel Akta liegen. Dann nehm' ich, wie ihr andern Herrn, meine kleineren Würfel zur Hand (Lex sempere in stipulationibus ff. de regulis juris). Ich hab' auch noch andere große Würfel, mit denen werf' ich, wie ihr andern Herrn, wenn die Sach schon spruchreifer ist, das heißt, wenn nicht so viel Akta da sind.« –

Da frug Breitmaul: »Und wie faßt Ihr das Urteil ab?« – »Wie ihr andern Herrn«, antwortete Gänszaum, »ich geb's für den ab, für den ich den höchsten Wurf getan habe. Also erfordert's unser Recht (ff. qui pot. in pig. l. creditor. c. de consul. l. 1).«


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