François Rabelais
Gargantua und Pantagruel
François Rabelais

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Vierundzwanzigstes Kapitel

Wie wir aufs Eiland der Schlappen kamen, und von dem Brummbrüder-Orden

Dann kamen wir auf das Eiland der Schlappen; die leben von nichts als Stockfischsuppe. Wir wurden jedoch ganz wohl verpflegt und empfangen von Benius, dem Landeskönig, dem Dritten des Namens. Der führte uns nach dem Willkommtrunk herum und zeigte uns ein ganz neues Kloster, nach seiner eignen Invention für die Brummbrüder, so hieß er seine Ordensmönche, auferbaut und hergerichtet. Nach der Regel und Stiftungsbulle gingen sie männiglich wie die Mordbrenner angezogen, außer daß, wie die Schieferdecker in Anjou sich die Knie mit Flecken bepolstern, sie geradeso die Mägen bepolstert trugen; denn Magenpolster standen in hohen Ehren bei ihnen. Die Lätze an ihren Hosen waren pantoffelförmig und jeder trug ihrer zwei, den einen vorn, den andern hinten; durch diese Doppellätzigkeit behaupteten sie allerlei entsetzliche Mysterien auf das getreulichste nachzubilden. Sie trugen runde Schuh wie Näpfe, nach der Fasson, wie sie die Leute, die in dem Sandmeer wohnen, tragen; im übrigen geschorene Bärte und Nägel in den Sohlen. Und zum Zeichen, daß sie um kein Glück sich kümmern, ließen sie sich wie Schweine am Hinterhaupt vom Scheitel an bis auf die Schulterblätter scheren und rupfen; aber vorne wuchsen ihnen die Haare frei und unverkürzt. Zu fernerem Trutz wider das wetterwendische Glück trugen sie ein schneidend scharfes Schermesser; nicht, wie das Glück, in der Hand, sondern wie einen Rosenkranz im Gurt; das schliffen sie des Tags zweimal und wetzten's alle Nacht dreimal.

Auf seinen Füßen trug jeder eine runde Kugel, weil, wie man spricht, Fortuna eine darunter führt. Die Deckel ihrer Kapuzen waren nicht hinten, sondern vorn angenäht, mithin ihr Antlitz vermummelt; und so spotteten sie ungestört des Glückes wie der Glücklichen, just wie bei uns die Jungfern, wenn sie ihr Runzeldecklein vorhalten, ihr Nasentüchlein, wie ihr's nennt; die Alten heißen's Liebeslärvlein, weil es an ihnen der Sünden schwere Menge deckt. Hingegen hatten sie allezeit die Hinterköpf ganz frei und bar, wie wir das Antlitz. So kam es, daß sie nach Gefallen bald vorwärts und bald ärschlings gingen. Wenn sie ärschlings gingen, hättet ihr's für ihren natürlichen Gang gehalten, teils wegen ihrer runden Schuhe, teils wegen des vorgehängten Latzes. Auch weil ihr hinterstes Gesicht ganz glatt geschoren und ein Maul und ein paar Augen grob draufgemalt waren. Wenn sie vorwärts gingen, hättet ihr gedacht, sie spielten Blindekuh. Man sah sein blaues Wunder an ihnen.

Ihre Lebensart war folgende: Sobald der helle Luzifer auf Erden an zu leuchten fing, stiefelten sie und spornten einander gegenseitig aus christlicher Liebe. Also gestiefelt und gespornt schliefen sie, oder schnarchten doch zum mindesten, und trugen im Schlaf die Nasen bebrillt, oder wenigstens halb beglasaugt.

Das verwunderte uns sehr; doch gaben sie genügenden Bescheid darüber und führten an, daß am Jüngsten Tag, wenn Er einst käme, die Menschen ruhn und schlummern würden; um nun klärlich darzutun, daß sie dann nicht, wie die Glücklichen, sich zu erscheinen weigern würden, so blieben sie gestiefelt und gespornt und fertig zu Roß zu steigen, wenn die große Posaune erschölle.

Glock zwölf zu Mittag (merket hier, daß ihre Glocken, sowohl an der Uhr als in der Kirche und im Refektorium, aus gesteppten feinen Flaumfedern verfertigt waren und der Klöppel ein Fuchsschwanz), Glock zwölf also erwachten sie und zogen die Stiefel aus; wer wollte, der brunzte und nieste und kotzte. Alle aber nach ausdrücklichem Statut und strenger Vorschrift mußten ausführlichst gähnen, was das Zeug hielt; Gähnaffen waren ihr Morgenbrot. Mir kam dies Spektakel schnakisch vor; denn nachdem sie ihre Stiefel und Sporen aufgehangen hatten, gingen sie in die Kreuzgänge, wuschen sich da fleißig Hände und Mund, setzten sich auf eine lange Bank und stocherten sich in den Zähnen, bis der Präfekt mit einem Pfiff in die hohle Hand das Zeichen gab. Jetzt sperrte ein jeder, was er konnte, das Maul auf, und so gähnten sie bald eine halbe Stunde, bald drüber oder drunter, je nachdem der Prior das Morgenbrot zum Fest des Tages proportioniert fand. Dann hielten sie einen schönen Umgang mit zwei Fahnen; auf der einen war das Bild der Tugend, auf der andern das des Glückes fein gemalt zu sehn. Ein Brummer ging vorauf und trug die Glücksfahne, hinter ihm ein zweiter die Tugendfahne, und der hielt dabei einen Weihwasserwedel in der Hand, mit dem er jenen Brummer, der das Glück trug, unablässig drosch. – »Die Ordnung«, sprach Panurg, »läuft wider Cicero und alle Akademiker, die die Tugend voraufgehn lassen und das Glück nach.« – Man belehrte uns aber, sie könnten nicht anders, da es ihre Absicht wäre, das Glück zu stäupen.

Auf dem Umgang brömmelten sie sehr melodisch ich weiß nicht was für Töne zwischen den Zähnen, denn ihr Rotwelsch verstand ich nicht. Doch als ich näher hinhorchte, hört' ich, daß sie nur mit den Ohren sangen. O schöne Harmonie, wie gut stimmte sie zu ihrem Glockengeläut – da werdet ihr nie einen Mißlaut hören.

Wenn der Umgang, als eine heilsame Leibesübung, geendigt war, verfügten sie sich in ihr Refektorium und knieten unter den Eßtisch hin, wobei sie sich mit Brust und Magen auf eine Laterne aufstemmten. Während sie knieten, trat ein langer Kuttenschwengel mit einer Gabel in den Saal, womit er sie begabelfrühstückte. Sie begannen ihr Essen mit Käse und schlossen mit Senf und Lattich. Zuletzt bekam noch Mann für Mann einen Teller Senf. Ihr Speisezettel war wie folgt: Am Sonntag aßen sie Schlackwurst, Würstchen, Frikadellen, Wellfleisch, Kalbsmagen (allzeit den Käs zu Anfang und Senf zum Schluß nicht mitgerechnet). Montags schöne Speckerbsen mit großem Drum und Dran. Dienstags Weihbrot, Wecken, Kuchen, Zwieback die Hülle und Fülle, mittwochs Bauerngrob, will sagen schöne Schöpsköpfe, Kalbsköpfe, Dachsköpfe, woran im Land kein Mangel war. Donnerstags Suppen sieben Arten und dazu ewigen Senf. Freitags nichts als Brombeeren, aber sie waren nicht einmal ganz reif, wie ich an ihrer Farbe sah. Samstags benagten sie die Knöchlein; sie waren aber keineswegs arm oder Hungerleider, denn jeder von ihnen hatte eine sehr fette Magenpfründe. Ihr Tischtrunk war ein Antifortunal, so hießen sie eine Art Getränk des Landes. Wenn sie essen und trinken wollten, schlugen sie ihre Kapuzen vorn auf, die ihnen dann statt Brusttüchlein dienten. Zu End der Mahlzeit beteten sie ihr Gratias sehr ordentlich und alles brummweis, übten sich dann den Rest des Tages in Erwartung des Jüngsten Tags, in Liebeswerken; sonntags zausten sie einander; montags setzte es Nasenstüber; dienstags kratzten, mittwochs rüffelten sie einander. Donnerstags zogen sie sich die Würm' aus den Nasen; freitags zwickten, samstags prügelten sie einander. Dies war ihre Diät, wenn sie im Kloster waren. Gingen sie mit Urlaub ihres Priors aus, so war ihnen bei fürchterlichen Strafen streng untersagt, Fisch anzurühren und zu essen, wenn sie zur See oder auf einem Flusse wären; noch Fleisch, wie es auch heißen möchte, auf dem festen Land; daß alle Welt hieraus ersähe, wie sie sich, im Besitz der Sachen, doch der Tat und der Begier enthielten und davon so ungerührt wie ein Steinklotz blieben. Und alles, was sie taten, das begleiteten sie in einem fort mit dazu paßlich auserlesnen Liedlein durch die Ohren. Wenn sich die Sonne ins Meer verbarg, stiefelten und spornten sie einander wie oben und legten sich bebrillnast schlafen. Um Mitternacht erschien der Kuttenschwengel, da warf sich alles flugs ins Zeug, wetzte und schliff Messer, kroch unter die Eßtische, wenn der Umgang gehalten wurde, und das Schmausen ging von frischem an.

Bruder Jahn kam über diese Brummnarren und ihre Ordensdisziplin aus aller Fassung, denn er schrie laut auf und sprach: »Da seh mir eins den groben Tischbock! So helf mir Gott, den stech' und schab' ich ab. Jetzt seh ich wahrlich, daß wir im Land der Antipoden sind. In Deutschland reißt man die Klöster ein und zieht den Mönchen die Kutten aus; hier aber drehn sie den Spieß um und baun sie im Gegenteil erst recht auf.«


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