François Rabelais
Gargantua und Pantagruel
François Rabelais

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Neuntes Kapitel

Wie ein großer Gelehrter aus England mit Pantagruel disputieren wollt und vom Panurg überwunden ward

In eben diesen Tagen kam auch ein grundgelehrter Mann mit Namen Thaumastos auf das Gerücht und den Ruf von Pantagruels unvergleichlicher Weisheit aus England an, in der einzigen Absicht, ihn zu sehen und kennenzulernen und zu erproben, ob seine Weisheit fürwahr so groß wär', als man sie rühmt'. Gleich nach seiner Ankunft in Paris kam er ins Quartier Pantagruels, der in dem Hof Sankt Denys wohnte und mit Panurgen just zu der Zeit, im Garten spazierend, philosophische Zwiesprach hielt. Zwar bei dem ersten Eintritt schrak er vor Furcht zusammen, als er ihn so groß und stark sah, grüßte ihn aber alsbald fein höflich nach der Sitte und sprach zu ihm: »Der Ruf von deiner unschätzbaren Weisheit ist bis zu uns erschollen, darum hab' ich Vaterland, Haus, Hof und Freundschaft verlassen und hieher mich aufgemacht, nur um dich zu sehen und mich mit dir über etliche Punkte zu beraten, über die ich Zweifel hege und die mein Gemüt nicht beschwichtigen kann. Wenn du mir aber die möchtest lösen, ergeb' ich mich dir von Stund an zum Knecht, nebst meinem Samen für und für; denn andre Gaben hab' ich nicht, die ich für wichtig achten möcht', es dir zu lohnen.

Nur aber merke dir die Art, wie ich zu disputieren meine: durch Zeichen nämlich allein, ohn alle Worte, weil es sich um so subtile Materien handelt, daß keine menschliche Sprache imstand ist, sie auszudrücken wie ich möchte.«

Auf diese Rede antwortete ihm Pantagruel geziemend und sprach: »Lieber Herr, von den Gaben, die ich von Gott empfangen hab', möcht' ich, soviel an mir ist, niemandem mitzuteilen mich weigern. Die Art der Unterredung, die du erkoren hast, lob' ich höchlich, nämlich durch Zeichen ohne Worte; denn damit werden du und ich einander verstehen, unbelästigt von diesem albernen Händegeklatsch, das die Sophisten immer erheben, gerade wenn man bei einem gelehrten Gespräch im besten Argumentieren ist. Ich werde also morgen nicht verfehlen, zu rechter Zeit und an dem Ort, den du mir angeben wirst, mich einzufinden.«

Voll Dankbarkeit entfernte sich Thaumastos, und Pantagruel warf sich ins Zeug und wälzte ohn Umsehn die ganze Nacht ein Buch um das andere, bis endlich Panurg ihm zusprach: »Gnädiger Herr, entschlagt Euch nur all dieser Gedanken und legt Euch schlafen; denn ich seh, Ihr habt Euch den Geist schon so erhitzt, daß Euch dies strenge Studieren bald ein Fieber zuziehn muß. Trinkt lieber noch zuvor so fünfundzwanzig bis dreißig gute Schluck, dann legt Euch aufs Ohr und schlaft getrost, denn morgen werd' ich dem Herren Engländer schon respondieren und demonstrieren; und wenn ich ihm nicht das Maul stopf und ihn ins Bockshorn jag', so heißt mich einen schlechten Kerl.«

Pantagruel war es zufrieden, und Panurg zechte und knöchelte mit den Pagen die ganze Nacht durch, verspielte seine letzten Hosennestel, und endlich zu der bestimmten Zeit führt' er seinen Herrn und Meister Pantagruel an den bewußten Ort.

Jetzt nahm Panurg das Wort und sprach zum Engländer: »Lieber Herr, bist du kommen, strittigerweis' über die Sätz, die du gestellt hast, zu disputieren, oder aber um Lernens und der Wahrheit willen?« – Darauf antwortet' ihm Thaumastos: »Herr, ich verfolge weiter keinen Zweck, als Wissenschaft und redliches Verlangen, weil ich bis heute weder ein Buch noch Menschen gefunden habe, die meine Zweifel mir zu Dank hätten erledigen können.«

»Also«, versetzte Panurg, »wenn ich nun, der ich doch nur ein kleiner Schüler meines gnädigen Herrn und Meisters Pantagruel bin, dir überall und in allen Stücken genugtun kann, wär' es nicht ziemlich, diesen meinen Meister damit zu behelligen.« .– »Wahrlich«, sprach Thaumast, »dies ist sehr wohl gesprochen. Laßt uns zur Sache kommen.«


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