François Rabelais
Gargantua und Pantagruel
François Rabelais

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Siebenunddreissigtes Kapitel

Wie Pantagruel aufs Papimanen-Eiland kam

Nach dem Abschied von dem traurigen Papfeiger-Eiland fuhren wir einen Tag lang bei hellem Wetter und guter Dinge, als unsern Augen das hochgelobte Papimanen-Eiland erschien. Kaum hatten wir im Hafen Anker geworfen, die Kabel noch nicht angelegt, da kamen vier Leute in einer Schaluppe auf uns zugerudert, alle vier verschieden gekleidet: der eine als Mönch, kapuzt, beschmutzt, gestiefelt; der zweite als Falkonier, mit Köder und Beizhandschuh; der dritte als Anwalt, in der Hand einen großen Sack voll Instruktionen, Zitationen, Schikanismen und Vorladungen; der vierte als Winzer von Orleans, in schönen leinenen Gamaschen, mit einem Korb und einem Winzermesser am Gurt. Sobald sie bei unsern Schiffern angekommen waren, fingen sie mit lauter Stimme einmütig an zu rufen: »Habt ihr ihn gesehen, ihr Fremden? Habt ihr ihn gesehn?« – »Wen?« frug Pantagruel. – »Ihn, ihn«, versetzten sie. – »Wer ist der Ihn«, frug Bruder Jahn, »Potz Sackerdam! Ich dresch' ihn windelweich!« (Denn er war der Meinung, sie suchten einen Mörder, Dieb oder Kirchenräuber.)

»Wie!« sprachen sie, »so kennt ihr fremden Passagiere nicht den Einigen?« – »Ihr Herren«, antwortete Epistemon, »diese Sprache verstehn wir nicht; wenn's euch beliebt, sagt, wen ihr meint, so wolln wir euch ehrlich die Wahrheit sagen.« – »Er, der da ist, ist's«, sprachen sie, »habt ihr ihn je gesehen?« – »Der da ist«, antwortete Pantagruel, »ist Gott, nach unsrer Theologie; und unter diesem Namen hat er sich Moses offenbart. Fürwahr, den haben wir nicht gesehn, denn ihn erblickte kein sterbliches Auge.« – »Wir reden nicht von dem großen Gott im Himmel«, sprachen sie, »wir reden vom Gott auf Erden! Saht ihr den? saht ihr ihn jemals?« – »Meiner Treu!« sprach Karpalim, »sie meinen den Papst.«

»Ja, ja«, antwortete Panurg, »o ja, ihr Herrn! Ich hab' ihrer drei gesehn, doch hat mich's eben nicht fett gemacht.« – »Wie!« riefen sie, »was ist das? Sagen nicht unsre heiligen Dekretalien, daß ihrer nie mehr denn einer lebe?« – »Ich mein'«, antwortete Panurg, »versteht mich, drei hintereinander; sonst hab' ich nie mehr als einen auf einmal gesehn.«

»O ihr drei-, viermal seligen Leute!« schrie'n sie, »so seid uns hoch und höchst und abertausend höchst willkommen!« – Damit warfen sie sich zur Erde und wollten uns die Füße küssen, aber wir wollten's nicht zugestehn, aus der Überlegung, daß sie ja dem Papst, wenn er etwa einmal in eigner Person zu ihnen käme, nicht größre Ehre erzeigen könnten. – »Doch, o doch!« versetzten sie, »das könnten wir, das könnten wir; und ist schon unter uns ausgemacht. Wir werden ihm den blanken Hintern ohne Blatt küssen und noch was anders dazu.«

Indessen frug Pantagruel einen Bootsknecht von ihrer Schaluppe, wer die Leute wären; der antwortete ihm, es wären die vier Stände des Eilands, und meinte dabei, man würde uns hier sehr wohl aufnehmen und gut traktieren, weil wir den Papst gesehen hätten. Als Panurg dies hörte, sagte er heimlich: »Mit Gott! Da sehn wir's; wer nur warten kann, dem glückt noch alles. Mit dem Papstsehn haben wir zeitlebens keine Seid gesponnen, und hol's der Teufel! Jetzt kommt's erst, merk' ich.« Drauf gingen wir an Land; da kam uns alles Volk der ganzen Insel, Männer, Weiber, Kind und Kegel, wie in Prozession entgegen. Denen riefen unsre vier Stände mit lauter Stimme zu: »Sie haben ihn gesehen! Sie haben ihn gesehen! Sie haben ihn gesehen!« – Sogleich kniete alles Volk auf diesen Ausruf vor uns nieder, hob die Hände gefaltet gen Himmel und schrie: »O glückliche, selige Leute! O selige Leute!« und dies Schrein währte wohl über eine Viertelstunde. Danach kam auch der Schulpräzeptor mit allen seinen Pädagogen, Schulfuchslein und Scholaren gelaufen und wichste sie magistraliter, wie man bei uns die kleinen Kinder zu wichsen pflegt, wenn ein armer Sünder gehangen wird, damit sie's nie vergessen. Dies verdroß Pantagruel, und er sprach zu ihnen: »Ihr Herrn, hört auf, die Kinder zu schlagen! Sonst kehr' ich um.« – Das Volk erschrak ob seiner Stentorstimme, und ein kleines buckliges Männlein mit langen Fingern hörte ich den Schulmeister fragen: »Lieber Himmel! Werden die Leute, die den Papst sehn, so groß wie der da, der uns dräut? Ach, ich kann es kaum erwarten, bis ich ihn auch seh, daß ich nur wachs und so groß wie er wäre!« – Ihr Jubel ward so laut, bis Schlottig (so hießen sie ihren Bischof) herbeikam auf einem ungezäumten, grün behangnen Maultier in Begleitung seiner Klerisei und seiner Schranzen mit Kreuzen, Fahnen, Siegspanieren, Baldachinen, Weihbrunnkesseln, Kerzen; der wollte uns ebenfalls mit aller Gewalt die Füße abschmatzen, weil einer ihrer Schriftausleger, Großstiefelwichser und Glossator ihrer heiligen Dekretalien ihnen ausdrücklich in Schriften hinterlassen hatte, daß, wie den Juden der so lang und sehnlich erharrte Messias endlich doch noch erschienen sei, desgleichen auch noch der Papst einmal ihr Eiland betreten werde. Inzwischen nun, bis dieser Tag des Heils erschien, sollten sie jeden, der ihn zu Rom oder anderwärts gesehen habe, aufs beste verpflegen und ihm Ehrfurcht bezeigen. Wir verbaten es uns aber dennoch höflich.


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