François Rabelais
Gargantua und Pantagruel
François Rabelais

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Einunddreissigstes Kapitel

Wie Gargantua sechs Pilger im Salat aß

Die Sach erheischt, daß wir berichten, was mit sechs Pilgern sich begab, welche von St. Sebastian bei Nantes kamen und selbige Nacht, in Furcht vor den Feinden, zu einem Unterstand sich in das Bohnenstroh im Garten unter Kohl- und Lattichstauden verkrochen hatten. Gargantua spürt' ein wenig Durst und frug, ob man nicht Lattich haben könnt', einen Salat zu machen.

Und als er hört', daß es im ganzen Land die schönsten und größten da hätt', denn sie waren so groß wie die Nuß- oder Pflaumenbäum, ging er vor Lust selbst hin und bracht' in seiner Hand so viel davon mit, als ihm gut deucht'; und zu gleicher Zeit bracht' er auch die sechs Pilger mit, die sich vor großer Furcht und Angst weder zu reden noch husten trauten.

Wie er den Lattich nun am Brunnen vorläufig abwusch, sagten die Pilger mit leiser Stimme zueinander: »Ei, ei, was da zu tun? Wir ersaufen hier unter dem Lattich. Sollen wir reden? Reden wir aber, so tötet er uns gewiß als Kundschafter.« Während sie also noch ratschlagten, warf sie Gargantua mitsamt dem Lattich in einen Küchennapf, so groß wie das Faß zu Cisteaux, und aß sie mit Essig, Öl und Salz zu seiner Erfrischung vorm Abendbrot. Und hatte bereits fünf Pilger verschlungen. Der sechste lag noch im Napf verborgen unter einem Lattichblatt, bis auf den Pilgerstab, der drüber hervorguckte. Als den Grandgoschier sah, sprach er zu dem Gargantua: »lch glaub, da ist ein Schneckenhorn. Iß es nit.« – »Warum?« sprach Gargantua, »die sind gesund diesen ganzen Monat.« Ergriff damit den Stab und hub den Pilger daran zugleich mit auf und aß ihn lustig. Tat darauf einen schauderhaften Zug Zirbelwein, bis das Nachtessen fertig wäre.

Die so verschluckten Pilgersleut wandten sich, so gut ihnen möglich, aus den Mahlsteinen seiner Zähne und meinten, man hätt' sie ins unterste Gewölb eines Kerkers hinabgestoßen. Als aber Gargantua den großen Trunk tat, dachten sie nicht anders, denn sie müßten ihm all im Maul ersaufen; auch hätt' sie der Strom des Weins beinah in den Abgrund seines Magens geschwemmt: doch halfen sie sich mit ihren Stäben und sprangen daran, nach Art der Älpler so weit, bis sie am Rand der Zähne aufs Trockene kamen. Aber zum Unglück stieß einer von ihnen, wie er mit seinem Pilgerstab das Land sondiert', ob sie festen Boden gewonnen hätten, so heftig in die Grub eines hohlen Zahnes und traf den Nerv des Kiefers, daß dem Gargantua sehr weh geschah, und er vor wütendem Schmerz laut aufschrie. Doch dem Übel zu steuern, ließ er sich seinen Zahnstocher bringen, ging hinaus an den Walnußbaum und hub die lieben Pilgervöglein da aus dem Nest.

Den einen erhascht' er beim Bein, den andern bei den Schultern, den dritten beim Bettelsack, den vierten bei der Sparbüchs, den fünften beim Skapulier; und den armen Schelm, der ihn angebohret hatt', ergrapscht' er gar durch den Hosenlatz. So flohen die entnisteten Pilger im vollen Trott über Heck und Zaun, und das Zahnweh legte sich. Zu gleicher Zeit kam auch Eudämon, ihn zum Essen abzurufen, denn alles war fertig. – »So will ich dann«, sprach er, »auf den Schrecken mein Übel abschlagen.« Und fing damit so mächtig zu harnen an, daß das Wasser den Pilgern den Weg verschlug und sie das große Mühlwehr durchwaten mußten. Von da weiter am Busch entlang, gerieten sie auf gleicher Straß alle miteinander, bis auf einen, Fournillier, in ein Zuggarn, welches daselbst den Wölfen gestellt war. Entkamen aber wieder daraus durch die Geschicklichkeit ermeldeten Fournilliers, der die Strick und Schnüre zerriß. Hieraus erlöset, lagen sie dieselbige Nacht in einem Schuppen unweit Couldray, und wurden da über ihr Unglück getröstet durch die guten Wort eines unter ihnen, namens Renndichmüd, der, ihnen dartat, daß diese Abenteuer schon im Psalm von David verkündiget worden: »Wenn die Menschen sich wider uns setzen, so verschlingen sie uns lebendig – als man uns in dem Salat mit Salz aß –. Wenn ihr Zorn über uns ergrimmete, so ersäufete uns Wasser – als er den großen Suff tat –. Ströme gingen über unsere Seele – als wir das große Mühlwehr passierten. Es gingen Wasser allzu hoch über unsere Seele – als sein Harn uns den Weg verhieb. Gelobet sei der Herr, daß er uns nicht gibt zum Raube in ihre Zähne. Unsere Seele ist entronnen, wie ein Vogel dem Strick des Voglers – als wir ins Wolfsgarn fielen. Der Strick ist zerrissen – durch Fournillier – und wir sind los. Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn.«


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