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Chrysanthus und Daria

Ein wunderlieblicher Bericht
Wie Taubenruf erhebt sich schlicht
Aus Zeiten wild und schauderbar
Von einem reinen Ehepaar.

Chrysanthus hieß ein junger Held,
Der hatte Gottes Weg erwählt
In seiner Jugend, sich zur Freude.
Sein Vater war ein reicher Heide,
Polymius genannt. Ihm war
Des Sohnes Sinn zuwider gar;
Es mußte ihn verdrießen.
Drum ließ er ihn einschließen;
Dann ließ er fünf Jungfrauen,
Schön und hold zu schauen,
Zu ihm hingeh'n, ihn zu verleiten,
Die Keuschheit, die er allerzeiten
Hatte Gott gelobt, zu brechen.
Jedoch die sonst so frechen
Jungfrauen wurden still gar jäh
In des keuschen Jünglings Näh'.

Da brachte sein Vater ihm zur Braut
Die schönste Jungfrau hold und traut:
Daria war sie genannt.
So innig sprach zu ihr Chrysanth,
Daß er sie völlig übersprach
Und ihren weltlichen Willen brach.
Sie wollte auch an Christus glauben
Und sich nicht lassen rauben
Der Keuschheit Zier. Und diese List
Erfanden sie, um Jesu Christ
Ungestört zu dienen:
Sie lebten also, daß sie schienen
Eheleute vor der Welt.

Dann zogen sie über Land und Feld
Und predigten mit süßem Wort
Das Christentum an manchem Ort.

Das war zur Zeit, da Numerian
Das Kaisertum zu Rom gewann.
Der hörte, wie durch ihre Lehren
Man minderte der Götter Ehren.
Darum ließ er die beiden greifen
Und Chrysanth in den Kerker schleifen,
Wo ihm der Herr zur Tröstung ward.

Daria ward auf schnöde Art
In ein böses Haus gebracht;
Doch ihrer auch hat Gott gedacht.
Des Fürsten Löwe riß sich frei
Und lief zur Thür des Hauses herbei
Und legte sich davor zur Hut.
Als ein Jüngling im Uebermut
Dennoch wagte, des Hüters zu lachen,
Nahm ihn der Löwe in seinen Rachen
Und trug ihn vor der Jungfrau Füße;
Und dann nur, als die Süße
Den Löwen bat, ließ er ihn frei.
Der lief von dannen und rief herbei
Das Volk und schrie: »Laßt von dem Morden!
Die Jungfrau ist eine Göttin geworden!«
Gar viele wurden gläubig dort
Durch die That und des Jünglings Wort.

Der Fürst ließ nun, um seinen Leuen
Zu verscheuchen und ihm zu dreuen,
Vor der Thür ein Feuer entfachen.
Doch wollte der Leu sich nicht weiter machen,
Als bis Daria es ihm gebot.

Sie selber bot sich gern dem Tod.
Sie und Chrysanthus ließ man nun
Lebend in eine Grube thun
Und dort begraben. Ihre Seelen,
Froh, den Himmelsweg zu wählen,
Schwangen sich mitsammen dann,
Gott zu schauen, himmelan.

Chrysanthus, 25. Okt. 284. Passional II. S. 562. Kaiser Numerian, 284.


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