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Vitalis, Gervasius und Protasius

Vitalis, zu Mailand geboren,
Von edelstem Stamme auserkoren,
Ermutigte in jener Zeit,
Als Nero stand mit Christus im Streit,
Die Christen, auszuharren im Glauben.
So stand er dem Ursicinus zur Seit'.
Das wollte der Wüterich nicht erlauben.
Er ließ den edlen Ratsherrn ergreifen
Und nach Ravenna zur Marter schleifen.
Dort ward er lebendig begraben, jedoch
Lebend entkam er dem Todesjoch.
Mit Keulen ward er dann erschlagen.
Die Siegesfahne durfte er tragen,
Als seine Seele gen Himmel flog.

Valeria, seine Gattin, zog
Mit ihren Zwillingssöhnen den beiden
Nach Mailand, um auch dort zu leiden
Und für Christus zu sterben.

Noch blieben die beiden jungen Erben:
Gervasius und Protasius
Faßten als Brüder den Entschluß,
Nach Christenbrauch zu leben
Und ihr Gut den Armen zu geben.
Das ward dem Kaiser kund gemacht.
Die beiden wurden nach Mailand gebracht
In den Kerker, um dort zu verderben.

Nun kam damals, um zu erwerben
Der Götter Huld, ein Feldherr hin
Nach Mailand; der hatte im Sinn,
Das Orakel zu fragen, ob der Krieg,
In den er ziehe, ihm zum Sieg
Gedeihen werde. Doch sofort
Gaben die Priester ihm das Wort:
»Nicht eher wollen dir Antwort leisten
Die Götter, bevor ihr nicht die dreisten
Christen zwingt sich zu bekehren
Und mit Opfern sie zu verehren.«

Der Feldherr, Astasius genannt,
Ließ jene beiden allzuhand
Vor die Götter bringen. Jedoch
Da half kein Drohen. Und als noch
Gervasius sprach zu der Götter Spotte,
Da ward er von der Knechte Rotte
Mit Bleigeißeln tot geschlagen.

Das machte nicht verzagen
Seinen Bruder Protasius.
Der sprach so zu Astasius,
Als er ihn grausam martern ließ
Und ihm, wenn er opferte, Lohn verhieß:
»Wahrlich, du erbarmest mir
Weitaus mehr noch, als ich dir,
Und auch mehr, als ich mir erbarme
Selber in meinem großen Harme,
Weil du so blind nur Arges weißt,
Während heute noch mein Geist
Wird bei meinem Bruder weilen,
Wo Gott will alle Leiden heilen.«

Da ließ der blinde Heidenmann
Auch ihn enthaupten und zog hindann.

Philippus, ein treuer Gottesknecht,
Begrub die Leichen nach Christenrecht.
Er schrieb auch einen guten Brief,
Darin er ihr Leben überlief,
Und legte ihn in ihren Sarg,
Den er tief unter die Erde verbarg.

Darauf über dreihundert Jahr'
Erschien dem Sankt Ambrosius gar,
Als er seine Andacht machte,
Da er nicht schlief noch wachte,
Sankt Paulus mit noch zweien
Schönen Jünglingen, die schon zu dreien
Malen sich dem Heiligen wiesen,
Und sprach also: »Sieh' in diesen
Zwei Märtyrer! Ihre Namen
Findest du bei ihren Leichnamen;
Die sind zwölf Schuh' tief begraben
Unter deinen Füßen.« – Also haben
Die Christen wieder zu jenen Stunden
Den Sarg und auch den Brief gefunden.

Vitalis, 28. April. Gervasius und Protasius 19. Juni. Passional, II. S. 307.


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