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Judas Iskariot

Nun höret eine wilde Märe,
Wer Judas der Verräter wäre!
Es lebte zu Jerusalem
Aus dem Stamm Issachar vordem
Ein reicher Mann, der Ruben hieß.
Ein höllentstammter Dämon blies
Seinem Weib Cyborea ein
Einen Traum voll Schreck und Pein:
Ihr werde noch ein Sohn geboren,
Durch dessen Schuld ginge verloren
All ihr Geschlecht und Volk und Land.
Mit unsäglicher Angst empfand
Die Mutter eines Kindes Leben.
Sollte sie den Tod ihm geben?
Sollte sie zu ihrer Schande
Aufziehen solchen Fluch dem Lande?
Die Eltern wählten in der Frist
Notgedrungen jene List,
Die an dem Kind Moses geschah.
Man bereitete ein Fäßlein da,
Drein man das Kind verschloß
Und auf das Meer hintrug. Es floß
Dahin über die weite See.
Dem Kindelein that es kein Weh.
Die Woge ließ es zur Woge wandern,
Eine gab es der andern;
Die letzte warf das kleine Boot
An die Insel Kariot.

Die Königin des Landes stand
Auf ihrem Schlosse an dem Strand
Und sah hertreiben gar gelinde
Das Fässelein mitsamt dem Kinde.
Nun ward es stets von ihr beklagt,
Daß ihr ein Sprößling war versagt.
»Ach,« rief die edle Königin,
Als sie das Kind im Fäßlein drin
Erschaute, »würde mir zu teil
Doch solch ein Kind zu meinem Heil!«
Jedoch ihr kluger Sinn erdachte
Eine List, die sie vollbrachte.
Sie ließ das Kind heimlich aufziehn;
Und als die rechte Zeit gediehn,
Da gab sie vor, ihr wäre geboren
Der Sohn, zum Erben des Reiches erkoren.
Er ward Judas genannt. Doch sieh,
Nicht lange Zeit vergeht allhie,
So wird dem königlichen Geschlecht
Ein Sohn geboren edel und echt.
Man sah nun, wie bei jeder Frucht,
Den Unterschied von edler Zucht
Und schlechter. Für sein bös Betragen
Ward unser Judas oft geschlagen
Von der, die nicht die Mutter war.
Es wurde allhier offenbar,
Daß der seine Mühe hat verloren,
Der einen Raben, niedrig geboren,
Erziehen will zum Falkenflug
Gegen der Naturen Zug,
Oder wer durch ein Löwenfell
Den Esel kühn machen will und schnell.
Der echte Sohn ward kühn und stark,
Doch Judas ungetreu und arg.

Bald kam ans Licht die rechte Märe,
Daß Judas nur ein Findling wäre.
Als er dies hörte, war's ihm leid.
Aus seines falschen Herzens Neid
Beging er ein gar übles Ding:
Des Königs Sohn, der mit ihm ging,
Den edlen, schlug er heimlich tot.
Doch floh er feig in dieser Not
Heimlich aus dem Land. Ihn trug
Ein Schiff hinweg, das bald genug
Den Anker warf am jüdischen Land.
So kam denn Judas allzuhand
In seine Heimat, ohne zu wissen,
Woher er wäre, von Leid zerrissen.

Er trat in des Pilatus Dienst;
Das deuchte ihn ein Hochgewinnst.
Auch dieser nahm ihn gerne an,
Dieweil ein jegelicher Mann,
Er sei nun böse oder gut,
Sich gern zu seinesgleichen thut.

Pilatus machte dem jungen Mann
Sein ganz Hauswesen unterthan,
Daß er all seinen Knechten
Geböte dort nach Rechten.

Des Judas Eltern lebten beide
Damals mit großem Herzeleide
Noch in Jerusalem. Es hatte
Ruben, Cyboreas Gatte,
Ein Haus und einen Garten da;
Der war gelegen also nah
An des Pilatus Schlosseszinnen,
Daß man von hier sah, was darinnen
Von schönem Obst und Blumen stand.

Einst sah Pilatus unverwandt
Hinüber und erblickte dort
So schöne Aepfel an dem Ort,
Daß ihn darnach gelüstete.
Der arge Judas rüstete
Sich gleich, über die Mauer zu dringen
Und seinem Herrn Aepfel zu bringen.
Nun sehet, wie der Tugend bar
Doch dieser, so wie jener war!
Wäre ein Bote hinüber gegangen
Mit freundlichem Verlangen,
Ihnen wäre sicher geworden genug.
Doch gegen alles Recht und Fug
Judas in den Garten kam.
Er schüttelte die Bäume und nahm
In rechter Diebesweise
Die Aepfel still und leise.

Da kam Ruben aus seiner Thür
In den Baumgarten herfür
Und sah alldort den Bösewicht.
Daß es sein Sohn war, wußte er nicht.
So war auch dem Judas unbekannt,
Daß ihm nun drohte des Vaters Hand.
Es kam zu Worten scharf genug,
Die keiner dem anderen vertrug.
Von Schelten ging es bis zu Schlägen;
Da war bald Ruben unterlegen.
Er fiel zu Boden. Mit einem Streiche
Erschlug ihn Judas. Die Leiche
Ließ er dort liegen. Darauf trug
Er zu Pilatus der Aepfel genug
Und sagte ihm die Märe,
Wie es ergangen wäre.
Da sprach Pilatus: »Das ist gut.
Hab' darum nur nicht bangen Mut,
Dieweil es ja doch niemand sah!«
Der Abend kam, und es geschah,
Daß Ruben tot gefunden ward.
Das klagte seine Gattin hart.
Doch weil sich keine Wunde bot,
So meinte sie, der jähe Tod
Hab' ihn getroffen. Aber hört,
Was nun, vom bösen Geist bethört,
Pilatus weiter that: er zwang
Die Witwe ohne ihren Dank,
Daß sie mit allem Gut und Golde
Des Judas Gattin werden sollte.

Cyborea, die Fraue gut,
Hatte leidigen Mut
Um ihr vieles böses Glücke,
Das ihr auflud des Schicksals Tücke.
Sie seufzte oft darob gar schwer.
Da fragte sie einst, was ihr wär',
Judas, ihr Mann, und sprach:
»Sag' an, durch welches Ungemach
Bist du so sehr betrübt allzeit?«
Sie sprach: »Mich drückt dreifältig Leid:
Ich hatte ein Kind; doch in die Flut
Mußt ich es werfen aus argem Mut.
Das zweite Ungemach ist mir
Geschehn an meinem Wanne schier,
Der so schnell ward in den Tod gegeben.
Den größten Jammer in meinem Leben
Hat mir aber Pilatus gethan,
Da er mir gab einen Mann
Gegen meinen Willen gar.
Ich wollte in Ruhe immerdar
Lieber als eine Witwe leben.«

Als Judas hörte, was sich begeben
Mit dem ausgesetzten Kind,
Da ward ihm gar geschwind
All seine Freude ganz verschlagen.
Er bat sie weiter, ihm zu sagen,
Wo denn dies Kindlein wäre hin.
Und da begriff er ganz den Sinn,
Wie er dasselbe Kind gewesen,
Das in dem Wasser sei genesen,
Und wie er seinen Vater schlug,
Und wie er gegen Recht und Fug
Nun seine Mutter hätte gefreit.
Das schuf den beiden das größte Leid,
Und ohne Ende war ihr Klagen.

Nun war dies in denselben Tagen
Und in der hochgelobten Frist,
Da unser Herre Jesus Christ
Predigte in Judäa.
Da sprach Frau Cyborea:
»Geh,« sprach sie, »zum guten Mann,
Nimm seinen Rat darüber an,
Denn er ist wohl gerecht!«
Da ging der arme Knecht
Zu Christus, dem guten Herrn,
Und blieb bei ihm gar gern.
Und unser Heiland war so gut,
Wie er noch immer ist gemut:
Wer seine Sünde bessern will,
Dem giebt er auch ein Gnadenziel
Und will ihrer nicht mehr gedenken.
So nahm er, ohne ihn zu kränken,
Den reuigen Judas gerne an.
In der Zwölfboten Heeresbann
Ward er erwählt und eingereiht.
Er predigte auch weit und breit
In dem Lande Gottes dort
Und besserte manchen hier und dort.
Der Herr ihn zu seinem Schaffner nahm,
Daß er den Beutel bekam,
Die Speise zu kaufen und zu holen.

Doch was man wische an den Kohlen,
Sie werden schwarz verbleiben.
So ließ auch Judas nicht sein Treiben.
Ihm war zu lieb das schnöde Gut;
Drum tadelte er ungemut,
Daß Magdalena die Salbe goß
Auf Jesu Haupt. Drob ward so groß
Sein Zorn, daß er den Herrn verriet.
Erfaßt von Reue, überschritt
Er doch auch hier den rechten Pfad.
Statt daß er um Vergebung bat,
Erhing er sich; da barst entzwei
Sein Leib. Die Seele wollte frei
Nicht werden durch den Mund,
Den noch vor kurzer Stund'
Jesus hatte geküßt, sein Meister.
Sie ward Geselle der üblen Geister,
Da sie nicht, wie sie sollte,
Mit Gott vereint sein wollte.

Judas Iskariot. Passional S. 312 f. Kariot, jetzt Kariatein, eine Stadt südlich von Hebron. Die Legende meint aber wohl die Insel Kreta.


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