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Ursula

Nun hört vom allerfröhlichsten Tag,
Von dem ich immer sprechen mag,
An welchem Gott die große Lücke,
Die durch Lucifers arge Tücke
In die Chöre der Engel gerissen ward,
Wieder schloß auf herrliche Art,
Wo allzugleich elftausend Maide
Zur ewigen Lust nach kurzem Leide
Erfüllten des Himmels Sitze,
Von denen Gottes Blitze
Dereinst den Satan stürzten zum Grunde
Mit seinem gottbefehdenden Bunde.

Maurus war damals genannt
Ein König über Britenland;
Der hatte ein gar schönes Kind
Mit Namen Ursula, fromm gesinnt,
Dem Herrn der Christen zum Dienste bereit.
Nun war zu dieser selben Zeit
Ein heidnischer König in Engelland;
Dessen Sohn, Aethereus genannt,
Hörte von Ursulas Schönheit viel;
Sie hätte auch zu Kampf und Spiel
Um sich elftausend schöne Maide
Versammelt, geschickt in jedem Streite.
Der Heidenkönig schickte da
Eine Botschaft zu Ursula,
Ob sie wollte werden des Sohnes Braut,
Und die anderen Jungfrauen traut
Die Frauen seiner Ritter wert.
Zur Antwort gab, von Gott belehrt,
Die edle Jungfrau Ursula:
»Der Brauttag ist noch nicht so nah';
Erst muß der König und sein Haus
Ablegen allen Heidengraus.
Drei Jahre geb' ich dazu Zeit;
Bis dahin will ich allbereit
Mit meinen Jungfraunscharen
Zu Meer und Lande fahren.«

Der Heidenkönig war es zufrieden;
So ward ihm christliches Heil beschieden.
Ursula aber mit ihren Maiden
Eilte, von ihrem Vater zu scheiden.
Mit ihren Töchtern half ihr da
Die Königin von Sicilia,
Die ihre Mutterschwester war.
Nach Gallien fuhr zuerst die Schar,
Dann weiter fort bis in den Rhein,
Und so nach Basel selbst hinein.
Die Schiffe verließen alle dort
Und zogen weiter zu Fuße fort
Bis hin nach Rom, wo dieses Jahr
Cyriacus Petri Nachfolger war,
Der neunzehnte, vom Volk erkoren;
Er war aus Britannien geboren.
Mit wie großer Freude erkannte
Er nun daselbst so manche Verwandte!
Vom Himmel kam ihm das Gebot,
Daß er in aller Fahr und Not
Die Jungfrauen begleiten solle.
Sein Hirtenamt, das ehrenvolle,
Gab er drum einem andern hin.
Das war nicht nach der Seinen Sinn;
Die tilgten darum seinen Namen
Als Papst. All diese Mären kamen
Nun auch zu Kaiser Maximin
Dem Thraker. Mit feindlichem Sinn
Sandt' er zum Heunenkönig hin
Und ließ ihm sagen, wenn die Frauen
Den Rückweg suchten voll Vertrauen,
Daß er sie überfallen solle;
Er lohn' ihm das mit reichem Zolle.

Indessen zog schön Ursula
Von Rom zurück; ihr blieben nah'
Der edle Papst Cyriacus,
Mauricius, Simplicius,
Die Bischöfe, und Marculus,
Dazu Constantia aus Byzanz,
Die Königstochter im Fürstenglanz.
So kamen sie nach Basel wieder
Und dann den Rhein zu Schiff hernieder
Bis gegen Köln. Nun hatte indessen
Aethereus nicht der Braut vergessen.
Sein guter Vater war gestorben;
Er hatte das Königtum erworben
Und christlich gemacht sein ganzes Land.
Da ein Jahr nach dem anderen schwand,
Gedacht' er sehnend seiner Braut.
Sieh', ihm erschien ein Engel traut
Und sagte ihm, daß er die Holde
Bei Köln am Rheine suchen sollte.
Doch ach, der Bräutigam kam zu spät.

Guan, der Heunenkönig, steht
Schon dort am Rheine auf der Lauer;
Er hat, dem Land zu Schreck und Trauer,
Schon alles grausam rings verheert.
Das Heer der Jungfrau'n kommt. Er wehrt
Die Weiterfahrt dem Zug und spricht:
»Wird Ursula die meine nicht,
So sollt ihr all des Todes sein!«
Die schöne Ursula sagt: »Nein!«
Da schießt der Wütrich mit dem Bogen
Die holde Maid, und sausend flogen
Viel tausend Pfeile auf die Schar,
Die, nimmer ahnend die Gefahr,
Wehrlos dahinsank. Einer Maid
Gelang's allein, sich kurze Zeit
In einem Schiffe zu verhehlen.
Doch ungeduldig, sich den Seelen
Der Schwestern anzuschließen, zeigte
Sie sich den nächsten Tag und neigte
Ihr Haupt dem Schwerte. Cordula,
So war ihr Name. Was geschah
Indes mit Ursulas Bräutigam?
Er kam zur blut'gen Hochzeit, nahm
Den Himmelslohn für seine Treue,
Indem er kämpfend fiel. So freue
Dich, edle Schar im Himmel dort!
Und freu' dich, Köln, du heiliger Ort,
Von so viel Märt'rer Blut begossen,
Dem Himmelsblüten stets entsprossen!

Sankt Ursula, die du regierst
Das Schiff und es mit Blute zierst,
Sankt Ursula, o Jungfrau rein,
Setz' uns auch in das Schiffelein
Und fahr' mit uns zum Himmel ein!
Das Schiff trägt gar ein himmlisch Gut:
Kränz', Krönlein, Palmzweig, Pfeil und Blut.
Das Schiff ist voll der edelsten Schar:
Elftausend Seelen sonnenklar.
O Himmel, thu' dich auf geschwind,
Gib diesem Schifflein guten Wind!

Ursula, 21. Okt. 236. Passional II. S. 565. Ueber die widerspruchsvollen Fassungen dieser Legende und über ihre Entstehung s. Klinkenberg im Kirchenlexikon.


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