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Martha

Martha, die treue Schwester
Magdalenens, hielt noch fester
Im Land Marsilia an Christi Lehre,
Als sie ihm schon zu Diensten wäre
Bei seinem Leben, da er sprach:
»Du gehst zu viel dem Irdischen nach!
Maria hat das bessere Teil
Erwählt, der frohen Botschaft Heil.«

Wohlsprechend war ihr treuer Mund;
Sie machte dort die Lehre kund
Und that auch viele Wunderzeichen,
Das Volk zum Glauben zu erweichen.

Nun wohnte dort in jenem Land
Ein Meerwunder an dem Strand,
Halb Wurm, halb Fisch, das große Not
Den Menschen und den Schiffen bot.
Das klagte man Frau Marthen.
Die wollte nicht mehr warten,
Als sie hörte, daß der Drache
Sich eben über einen mache
Und in dem Walde säße
Auf ihm und ihn da fräße.
Da hub sich Martha bald
Gegen denselben Wald;
Mit geweihtem Wasser begoß
Sie das Ungeheuer groß,
Und schlug ihm nur mit der Hand
Ein Kreuz entgegen unverwandt.
Das machte den Drachen also zahm,
Daß sie ihren Gürtel nahm
Und um seinen Hals ihm warf.
Mit Speeren und mit Schwertern scharf
Kamen nun die Leute herzu
Und töteten den Wurm im Nu.

Durch dieses Wunder ward im Land
Jesu Lehre weit bekannt.
Zu Marthas Predigt strömten alle.
Da kam dereinst zu üblem Falle
Ein junger Waller und fiel in den Fluß,
Ertrank und ward vom Wellenguß
Fortgetragen. Am andern Tage
Brachte man ihn mit großer Klage
Vor Martha; die flehte zu Gottes Sohn
Um ein Wunder, wie er es schon
An ihrem Bruder Lazarus that.
Und sieh! ihr ward, warum sie bat.

Nachdem der Schwester Himmelfahrt
Ihr auch kund gegeben ward,
Fühlte sie ihr Ende nahn.
Die Treuen kamen da heran
Und wachten bei ihr die Sterbenacht.
Jedoch der Teufel Schar, bedacht,
Die Heilige zu schrecken, brauste
Im Sturmwind durch das Haus und sauste
Und löschte alle Lichter aus.
Doch sieh! da kam ins Sterbehaus
Magdalena herbeigeschwebt,
So wie sie eh'dem hatte gelebt,
Verjagte die Teufel und entzündete
Wieder die Lichter und verkündete
Tröstliche Botschaft ihrer Schwester.
Da kam auch schon der beste Tröster,
Jesus selber, die Freundin zu schauen.
Martha ließ sich mit Gottvertrauen
Aus dem Hause tragen, da
Hinaus, wo sie den Himmel sah.
Auf Asche ließ sie sich dann legen,
Dann ließ sie sich mit heiligem Segen
Vorlesen die Passion genau,
Die Lukas schrieb. So starb die Frau.

Ein Sonnabend war der Tag,
Wo die Frau dem Tod erlag.
An dem Sonntage darnach
Erschien Jesus und sprach
Zu Fontinus, der Bischof war
An anderem Orte, immerdar
Ein Freund der Toten. Jesus nahm
Ihn durch die Luft mit sich; so kam
Er zu Frau Marthas Leiche hin
Und las mit andächtigem Sinn
Das Totenamt dort bei dem Weib.
Indes lag schlafend sein eigener Leib
In seiner Kirche, wo er eben
Sich zum Altare wollte begeben.
Da weckte ihn einer. Alsobald
Mußte des Bischofs Geist mit Gewalt
Zu seinem Leibe wiederkommen,
So schnell, daß, wie wir haben vernommen,
Er dort bei Martha Handschuh und Ring
Vergaß. Dies große Wunderding
Ward bald bekannt, weil man hinsandte
Und dort so Ring wie Handschuh erkannte.

Man sagt, daß Jesus selber gar
Bei der Grablegung seiner Wirtin war,
Um ihr die Ehre für das zu geben,
Was sie ihm Gutes that im Leben.
Ein Büchlein trug er in der Hand,
Darinnen alles geschrieben stand,
Was sie Gutes für ihn gethan.
Das ward ihr reich gelohnt fortan
Im Himmel bei ihrem einstigen Gast.
Dort kam Marthas Fleiß zur Rast.

Martha, 29. Juli. Passional II. S. 332.


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