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König Abgarus

Abgarus, König zu Edessa
Im Land Mesopotamia,
Sandte an Jesus Christus hin
Diesen Brief mit frommem Sinn:

»Abgar, Sohn des Eucharia,
Entbeut dem guten Arzt allda
Bei Jerusalem, Jesus genannt,
Lieben Gruß mit eigener Hand.

Wisse, daß ich gar viel vernahm
Von Zeichen, groß und wundersam,
Die du an Kranken und Siechen thatest.
Man sagt, daß du die Armen beratest
Ohne einige Arzenei,
Nur durch dein Wort kräftig und frei.
Draus muß ich schließen, daß du seist
Ein Gott, oder von Gottes Geist
Ein Sohn, vom Himmel herab gekommen,
Dies zu thun zu der Menschen Frommen.
Drum bitt' ich dich gar inniglich:
Bemüh' dich zu mir! Heile mich!
An einem Siechtum muß ich leiden,
Davon kein Arzt mich konnte scheiden.
Ich hörte, daß dir feindgesinnt
Und gram die bösen Juden sind,
Und dir nach deinem Leben trachten.
Drum komm zu mir! Nicht zu verachten
Ist meine Stadt, klein aber fest,
Die dir kein Leid zufügen läßt.
So sollst du hier mit mir zugleich
König sein über mein Reich.«

Darauf gab der Herr Jesus Christ
Diese Antwort in kurzer Frist:
»Selig bist du, Abgarus, traun,
Der du glaubst, ohne zu schau'n,
Indeß ungläubig die Sehenden blieben,
Wie die Propheten haben geschrieben.
Doch daß ich deiner Bitte gewähre,
Steht nicht bei mir. Zu Gottes Ehre
Muß ich allhier mein Werk vollbringen,
Mich dann zum Himmel emporzuschwingen.
Werd' ich von der Erde erhöhet sein,
Dann send' ich dir den Jünger mein,
Der dich gesund und Heiles voll
An Leib und Seele machen soll.«

Als Abgar diesen Brief empfing,
Da wollte er vor allem Ding
Des guten Heilands Bildnis haben.
Er ließ drum einen Maler traben
Ins Judenland, daß er getreu
Abmale Jesu Konterfei.
Der Maler aber vermochte nicht
In Jesu leuchtendes Angesicht
Lange zu schauen ungeblendet;
So hätt' er nie sein Werk vollendet,
Wenn Jesus nicht, gar mitleidsam,
Endlich des Malers Leinwand nahm
Und sein Antlitz darein drückte;
Und sogleich sah der entzückte
Maler herrlich und gar schön
Das Bild darauf vollendet stehn:
Länglich war das Angesicht,
Die Augen scharfschauend und licht
Mit schön gebogenen Brauen
Fein geziert zu schauen;
Die Haltung war nach vorn geneigt,
Wie eines, der einen Berg besteigt.

Der Maler reiste unverwandt
Mit diesem Bild in Abgars Land
Und ward von ihm gut aufgenommen.
Was weiter mit dem frommen
Könige geschehen,
Das sollt ihr später sehen,
Wenn ich euch berichte
Des Judas Thaddäus Geschichte.

König Abgar. Passional S. 302 f.


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