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Longinus

Longinus, der Ritter edel und frei,
War bei Christi Leiden dabei
Und half mit, des Gerichts zu pflegen.
Er nahm von Pilatus wegen
Einen Speer, mit dem er Jesus durchstach.
Aus derselben Wunde brach
Beides, Wasser und auch Blut.

Derselbe Ritter von edlem Mut
War an den Augen vordem krank.
Als nun das Blut aus der Wunde drang
Und niederlief an dem Speer,
Berührte er von ungefähr
Die Augen mit der blutigen Hand;
Da wich von ihnen des Siechtums Band.
Doch auch das Licht der Seele ward
Dem Ritter damit geoffenbart.
Christi Blut, das heilige, kam
Darauf durch ihn, wie ich vernahm,
Nach Mantua in die Stadt.

Nun ging damals auf den Rat
Des Nero die Verfolgung an
Und man begann,
Longinus einzukerkern.
Von milderen Strafen ging zu stärkern
Der Richter über. Nach manchem Leiden
Ließ er ihm die Zunge ausschneiden.
Doch da die Sprache ihm gebrach,
Nahm Held Longinus gleich darnach
Eine Axt und schlug die Göttersäulen
In Stücke. Da floh'n ohne Weilen
Die Teufel aus den Götzen und
Den Leuten in den Leib. So wund
Und sterbend sprach Longinus noch
Zu seinem Richter: »Sterb' ich, doch
Will ich zu Gott im Himmel beten,
Daß er dir helfe in allen Nöten.
Wie mir einst, sind dir die Augen krank.
Gott heile sie dir! Jedoch zum Dank
Bekehre dich nach meinem Tode!«

So starb durchs Schwert der Gottesbote.
Der Richter Octavius ward gesund
Und wandte sehend sich zum Grund
Des Lichtes. Und zu seinem Frommen
Ward seine Reue angenommen.

Longinus, 15. März 64 (?). Passional II. 215.


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