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Die Zerstörung von Jerusalem

Durch des Bischofs Jacob Tod
Wurde Gottes Strafgebot
Ueber Jerusalem voll,
Da die Schuld der Juden zum höchsten schwoll.
Nach Christi Marter noch vierzig Jahr
Verzögerte Gott die Strafe fürwahr,
Und ließ ihnen in diesen Tagen
Durch seine Apostel sagen,
Wie sie mit Buße sollten kommen
Zu ewiglichem Frommen
Und zur Abwendung des Gerichts.
Seht, das half doch alles nichts.
Sie schlugen nieder die Propheten
Und wehrten ihren guten Räten.

Ob Jerusalem der Stadt
Gleich einem Schwert ein Stern auftrat.
Ein Jahr lang währte dieses Zeichen;
Doch sie ließen sich nicht erweichen.
Man sah des Abends ein wildes Heer
In den Wolken hin und her
Streiten, daß die Waffen dröhnten
Und die Schlachtrufe tönten.
Man hörte in den Tempelhallen
Unsichtbare Geister wallen
Und rufen: »Laßt uns ohne Säumen
Die fluchgeweihte Stätte räumen!«
Jesus, des Ananias Sohn,
Wurde durch all der Zeichen Drohn
Vom Geist ergriffen und schrie Wehe!
Ueber Jerusalem, Wehe! Wehe!
Man brachte ihn vor das Gericht,
Man zwang ihn zu schweigen, doch er schwieg nicht,
Bis er zerschlagen durch manchen Hieb
Wehklagend tot blieb.

Da unser lieber Herre Gott
Durch seiner Treue Gebot
Mit manchen großen Zeichen
Die harten Herzen nicht konnte erweichen
Zur Besserung ihrer Schuld,
So wollte er auch mit Ungeduld
Ein Teil den Leuten lohnen
Und ihrer fürbaß nicht mehr schonen,
Wie er hätte zuvor gethan.
Zwei mächtige Männer trieb er an,
Auszuführen sein strafendes Drohn:
Vespasianus und seinen Sohn
Titus. Dies hub sich vierzig Jahr,
Nachdem Christus gestorben war.

Ein Bote, Albanus genannt,
Wurde damals nach Rom gesandt
Aus Judäa. Doch auf der See
Erhub sich ein Sturm und warf ihn jäh
Nach Galatien an das Land,
Dem Vespasianus vorstand
Als Kaiser Neros Statthalter
Und römischer Verwalter.

Vespasianus war krank:
Ein Schmerz quälte ihn schon lang,
Als ob er von Wespen würde gestochen.
Die Hoffnung auf Heilung war ihm zerbrochen.
Da fragte er den Boten zuhand,
Ob ihm ein Arzt nicht sei bekannt,
Des Kunst ihm Hilfe könnte verleihn.
Da sprach Albanus; »Leider, nein!
Der Mann, der Blinden gab das Gesicht,
Der Tote selbst rief an das Licht,
Der die Dämonen konnte verjagen,
Den haben die Juden grausam erschlagen.
Es war Jesus von Nazareth,
Der solche große Wunder thät.
Doch willst du gläubig ihn bekennen,
So magst du seine Macht erkennen.«

Vespasianus sagte: »Ja,
Ich glaub ihm fest, als wär mir nah
Der gute Mann. Mir ist es klar,
Daß er mir helfen kann fürwahr.«
Kaum hatte er dies Wort gesagt,
War seine Krankheit schon verjagt,
Und froh rief Vespasianus aus:
»Fürwahr, ich und mein ganzes Haus
Erkenne den als Heiland an,
Der solches Wunder hat gethan.
Er ist des höchsten Gottes Sohn.
Was kann ich thun ihm zum Lohn,
Als daß ich ihn an den Juden räche
Und ihre Gewalt zerbreche!«

Er zog sogleich zum Kaiser hin,
Daß er ihm erlaube, nach seinem Sinn
Mit den Juden zu verfahren.
Sie hatten schon seit manchen Jahren
Ihren Zins versessen
Und des Gehorsams vergessen,
Und so erregt des Kaisers Haß;
Darum erlaubte er ihm das,
Die Juden zu bekämpfen
Und ihren Uebermut zu dämpfen.
Vespasian fuhr heim in Eile
Und sammelte mit guter Weile
Nach seinem Willen ein großes Heer,
Fuhr dann mit Titus übers Meer
Und belagerte alsbald
Die Stadt Jerusalem mit Gewalt.

Bevor Vespasian seine Kraft
Und die römische Ritterschaft
Vor Jerusalem brachte,
Der milde Gott bedachte
Doch in der Stadt die Seinen
Und ließ ihnen Warner erscheinen,
Die sie so gut belehrten,
Daß sie bei Zeiten kehrten
Hin über den Jordan.
Dort war ein Städtlein wohlgethan,
Friedsam und löbelich,
Pella genannt. Drin hielten sie sich
Ohne Schaden. Doch die Bethörten,
Die auf keine Warnung hörten,
Kamen mit den Unreinen
In der Stadt zu großen Peinen.

Josephus Flavius, der Mann,
Der uns die Mären kund gethan,
Erkannte bei Zeiten den Sinn
Der Dinge; darum zog er hin
Zu Vespasian und ergab sich bald
In seine mächtige Gewalt.
Er kündete ihm in Prophetenweise,
Daß er aus dieser Kriegesreise
Als Kaiser werde wiederkehren.
Kaum daß diese Reden vollendet wären,
So kam auch Botschaft über Meer,
Daß der Kaiser gestorben wär',
Und daß vom Senate
Nach allgemeinem Rate
Vespasianus der Held
Sei zum Kaiser gewählt.

Der übergab nun seinem Sohn
Das Heer. Er selber, um den Thron
Sich zu befestigen, zog dahin
Nach Rom mit hochgemutem Sinn.

Zwei Jahre dauerte nach dem
Noch der Kampf um Jerusalem.
Der Hunger ward darin so graß,
Daß mancher seine Schuhriemen aß,
Daß eine Mutter briet ihr Kind,
Und daß bewaffnetes Gesind
Umherzog, die den letzten Bissen
Noch manchem aus dem Munde rissen.

Groß war der Jammer und das Leid,
Daß Titus voll Barmherzigkeit
Seine Hände ob dem Ungemach
Zum Himmel reckte und sprach:
»Herre Gott, nun weißt du wohl,
Daß ich bin so der Trübsal voll!
Doch bin ichs nicht, der ich das thu.
Sieh du selber hie dazu!
Sie müssen diese üblen Gaben
Bei dir verdient und verschuldet haben!«

Also lag Titus allfürwahr
Vor Jerusalem zwei Jahr.
Er stiftete Raub und Brand
Den Leuten und dem Land,
Bis er gewann die böse Stadt.
Da ward der Juden Ehre matt.
Man fällte alle Mauern.
Den Tempel, voll von heiligen Schauern,
Brach man nieder bis auf den Grund,
Wie geweissagt hatte Gottes Mund.

Titus zürnte sehr, der hehre,
Daß die Juden so große Unehre
An Christo je begingen,
Daß sie ihn um dreißig Pfenninge fingen.
Er rächte nunmehr diese That,
Da er die Juden aus der Stadt
Je dreißig um einen Pfenning gab.
So nahm der Juden Ehre ab,
Die einst Gott aus aller Welt
Sich zu Freunden hatte gesellt.
Sie kamen unter das härteste Joch.
Sie warten und sie warten noch,
Wann zu ihrer Befreiung,
Nach alter Prophezeiung,
Der Messias käme
Und ihre Schande nähme.
Weiß Gott, ihr Warten länget sich
Und wird sich längen, meine ich,
Weil der Messias Jesus Christ
Schon längst der Welt erschienen ist.

Titus fuhr darauf aus dem Land
Nach Rom, wo er den Vater fand.
Er kündete ihm den vollendeten Streit,
Wonach nicht über lange Zeit
Vespasianus der Kaiser starb.
Titus, sein Sohn, aber erwarb
Die Krone nach weisem Rate
Vom römischen Senate.
Er herrschte milde allgemein,
Und sein Leben war keusch und rein.

Den Tempel wieder aufzubauen
Gelang nicht mehr. Mit Furcht und Grauen
Sah man aufdringen feurige Flammen,
Die stürzten, was man baute, zusammen
Und wurden der frevlen Werkleute Tod.
Mög' uns einst Gott aus aller Not
Erlösen von der Erden,
Daß wir hinauf genommen werden,
Und uns allen zu frommen
In das himmlische Jerusalem kommen!

Die Zerstörung von Jerusalem, 70 n. Chr. Passional S. 266 f.


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