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Vom heiligen Rock

Vom heiligen Roch, dem hehren,
Künd' ich euch große Mären.
Maria selbst mit eigener Hand
Wirkte ihres Kindes Gewand,
Das wunderbare, das nie zerriß,
Nicht alt ward und sich nie verschliß,
Es wuchs mit dem Kind immerdar
Jahr für Jahr.
Bei seiner Versuchung, bei seinem Leiden
Trug es der Herr. Nach seinem Scheiden
Kam es in der Krieger Hand.
Die würfelten drum. Von diesen erstand
Es Pilatus, wie wir vernommen.
Darnach hat es Herodes bekommen,
Von dem hat es ein Jude erlangt,
Der hat mit Hohn darin geprangt.
Doch da Herodes Agrippa hörte,
Daß solches Freund und Feind empörte,
Und daß das Blut gar wunderbar
Wie frisch am Rock zu sehen war,
Da verbot er dem Juden das.
Dieser verbarg aus Neid und Haß
Den Rock in einen Sarg von Stein
Und fuhr damit ins Meer hinein
Wohl zwei und siebenzig Meilen weit,
Warf hin den Sarg und rief voll Neid:
»Da lieg' in tiefen Meeresgründen!
Dich soll kein Mensch auf Erden finden!«
Doch eine Sirene kam geschwommen,
Die hat den Rock aus dem Sarg genommen;
Sie schwamm damit drei Tage lang
An einen wilden Klippenhang.
Da vergrub sie in den Sand
Neun Klafter tief das Heilsgewand.
Nach vielen Jahren kam heran
Ein armer wallender Spielmann.
Der wollte wallen zum heiligen Grabe,
Doch hatte er weder Gut noch Habe.
Er war geheißen Tragemund,
Siebzig Königreiche waren ihm kund.
Er wollte erst gen Cyperland,
Da kam er eben an diesen Strand
Und fand den Rock, denn des Meeres Macht
Hatte ihn wieder zu Tage gebracht.
Ihm kam der gute Rock zu gut.
Doch als er sah das frische Blut,
Erkannte er mit weisem Sinn,
Der heilige Rock sei nicht für ihn.
So warf er ihn wieder in das Meer.
Da kam ein großer Fisch daher,
Der den grauen Rock verschlang
Und ihn bei sich acht Jahre lang
Behielt, bis Herr Orendel kam,
Der König fromm und lobesam.

Er war des Königs Eigel Sohn
Von Trier und wollte seinem Thron
Die edle Breide gewinnen,
Die schönste der Königinnen,
Die zu Jerusalem saß.
Sein Schiff ging unter; er selber genas,
Doch mußte er das nackte Leben
Als Fischer fristen. Da ward ihm gegeben,
Daß er in des Fischers Eise Dienst
Den Walfisch fing und als Gewinnst
Den heiligen Rock erhielt. Mit dem
Zog er dann nach Jerusalem,
Besiegte dort der Heiden viel
Und erreichte auch sein Ziel.
Mit dem heiligen Rock und der Königin Breide
Kehrte er nach manchem Leide
Zurück nach Trier. Doch ich berichte
Ein andermal die ganze Geschichte.
Nur das sei noch mit Stolz gesagt,
Daß Trier's Ruhm zum Himmel ragt,
Weil es bis heute hegt und pflegt
Den heiligen Rock; mehr Segen trägt
Das Kleid, getränkt mit Jesu Blut,
Als aller Welt gesamtes Gut.

Vom heiligen Rock. Das mittelhochdeutsche Gedicht von König Orendel. Es ist ausführlicher und im Zusammenhang der ganzen germanischen Sage wiedergegeben in meinem Deutschen Götter- und Heldenbuch II. Wilzen- und Welsungensage S. 202. Nach anderer Ueberlieferung hat die heilige Helena diese Reliquie nach Trier gebracht.


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