Kaiserin Elisabeth von Österreich
Das poetische Tagebuch
Kaiserin Elisabeth von Österreich

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Allerseelen.

Es ist die Allerseelennacht;
Der Friedhof liegt verlassen;
Wer würde auch um Mitternacht
Mit Toten sich befassen?

Doch wie der Mond durch Wolken bricht,
Bescheinen seine Strahlen
Ein bleiches Frauenangesicht,
Um das die Flore wallen.

Sie wandelt still und ernst daher
Im langen, schwarzen Kleide;
Mit Kränzen sind die Arm' ihr schwer
Behangen alle beide.

Tief sinnend tritt sie an ein Grab,
Auf dessen grüne Pforte
Legt sie den ersten Kranz herab
Und spricht dabei die Worte:

»Entschlafen bist du Guter längst,
Doch aus Erinnerungen,
An die selbst du vielleicht noch denkst,
Ist dieser Kranz geschlungen.

Die schönsten Disteln habe ich
Betaut mit einer Thräne;
Am besten kennzeichnen sie dich,
Sind deines Geists Emblême.«Wahrscheinlich Elisabeths Mädchenschwarm, Graf Richard S., der im Haus ihrer Eltern im Dienst war und sehr früh starb.

Zum zweiten Hügel sieht man jetzt
Sie trauervoll sich beugen;
Sie hat den Kranz darauf gesetzt
Aus immergrünen Zweigen.

»Ja, immergrün ist dieser Kranz,
Den ich dir heute weihe;
Denn ehrlich, unverwelklich ganz
Wie er, war deine Treue.«Wahrscheinlich Kaiser Franz Joseph.

Sie schaudert vor dem dritten Grab
Und wendet sich mit Grauen
Unschlüssig mehrmals wieder ab,
Als könnte sie's nicht schauen.

»Und dennoch«, spricht sie, »soll's gescheh'n;
Was sein ist, soll er haben;
Bis in die Erde sollen weh'n
Ihm dieses Kranzes Gaben.

Die Wolfsmilch habe ich gesucht
Und in den Kranz gewunden,
Die Belladonna, schwer verrucht,
Hab' ich hinein gebunden.

Des Schierlings weisses Blütengift
Ist auch dazu verwendet;
Wenn sich des Kranzes Hauch vertieft
Zu ihm, sagt, wer ihn sendet.«Wahrscheinlich Elisabeths Maskenballflirt von 1874, Friedrich Pacher von Theinburg, über den sie sich später sehr geärgert hatte.

Doch an dem vierten Grabe hell
Und laut muss sie auflachen,
Bis in den Mausoleen gell
Die Echo rings erwachen.

»Ich seh' dich noch, mein treuer Freund,
Und deine tollen Sprünge;
Ich habe auf den Kranz geweint
Vor lachen, den ich bringe.Der schottische Reiterfreund, Captain Bay Middleton.

Du grasest drüben sicherlich
Auf üppigen Gefilden,
Drum wand ich Hafer nur für dich
Und Klee, den duftend wilden.«

Der letzte Kranz, das letzte Grab,
Die Wallfahrt wird beendet;
Es ist der schönste, den ich hab',
Und der sei dir gespendet.

Du warst das letzte helle Licht
An meinem Horizonte;
Drum bracht' ich dem Vergissmeinnicht,
Den meine Treu' nie schonte.Nicht zu identifizieren.

»O sage mir, wer ist sie wohl gewesen,
Die zwischen Gräbern schritt, die bleiche Frau?
In ihrem Antlitz konnte ich's nicht lesen;
Doch viele kannten sie wohl einst genau.

Die liegen nun vermodert und verwesen,
Und Gräber sind es nur, die rings ich schau'.«
»Ich will dir flüsternd nennen ihren Namen:
Die tote Liebe ist's. Gott tröst' sie! Amen!«


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