Kaiserin Elisabeth von Österreich
Das poetische Tagebuch
Kaiserin Elisabeth von Österreich

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Das folgende Gedicht hat als letztes der »Nordsee Lieder« wie das erste der Winterlieder eine Sonderstellung. Beide beziehen sich auf den Kaiser (»Pechvogel«) und die Monarchie des Hauses Habsburg (»Eichbaum«).

Neujahrsnacht.

1887.

Ich sah im Traume Gauen,
So weit, so reich und schön,
Umspült vom Meer, dem blauen,
Begrenzt von Bergeshöh'n.

Und mitten in den Gauen
Ein hoher Eichbaum stand.
Ehrwürdig anzuschauen,
So alt fast wie sein Land.

Es hatten Sturm und Wetter
Ihm arg schon zugesetzt;
Fast bar war er der Blätter,
Die Rinde rauh, zerfetzt.

Nur seine Krone oben
War noch nicht weggeweht,
Aus dürrem Reis gewoben,
Vergang'ner Pracht Skelett!

Ein Vogel sass dort unten,
»Pechvogel« nennt man ihn,
Wohl, weil sich manche Wunden
Durch seine Schwingen zieh'n.

In Ostnordost da türmte
Sich schwarze Wolkenwand,Anspielung auf die Konflikte mit Rußland in den Balkanwirren der achtziger Jahre.
Von Westen aber stürmte
Ein roter Feuerbrand.Anspielung auf einen gefürchteten neuerlichen deutsch-französischen Krieg.

Wie Schwefel schien der Süden,
Wenn dort im fahlen Licht
Urplötzlich Blitze glühten,
Als naht' das Endgericht.

Ich hört den Eichbaum krachen
Bis in sein tiefstes Mark,
Als würde er zerschlagen
Zu seinem eignen Sarg.

Der Baum muss endlich fallen,
Er hat sich überlebt;
Doch für den armen Vogel
Da hat mein Herz gebebt!


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