Kaiserin Elisabeth von Österreich
Das poetische Tagebuch
Kaiserin Elisabeth von Österreich

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Grausam ist die Natur.

Dort unten liegt die Welt
Mit ihrem Weh und Jammer
Und auch die schwüle Kammer,
Die mich viel' Stunden hält.

Schwer ist mein Sinn betäubt
Vom Hauch verwester Pflanzen,
Es tönt wie Trauerstanzen,
Was noch im Ohr mir treibt.

Ich seh' das Aug' fast blind,
Das einst vor langen Jahren,
Mit Freuden zu gewahren
Doch schien ein liebes Kind.Gemeint ist wahrscheinlich die sehr altersschwache Mutter der Kaiserin, Herzogin Ludovika in Bayern, die damals 79 Jahre alt war.

Der Geist ist jetzt umflort,
Der Mund klagt Alters Leiden;
Entfloh'n seit langen Zeiten
Ist ihm jed' fröhlich Wort.

Grausam ist die Natur
Und gross in ihren Qualen;
Beut sie den Jahren Zahlen,
Sie geisselt damit nur.

Aus sich vermag sie nichts;
Zerstören und verheeren
Kann ihr allein gewähren
Der Gott der Nacht, des Lichts.

Er, der den Berg erschuf
Mit seinen starren Felsen,
Von dem sich Wasser wälzen
Mit dröhnend lautem Ruf.

Er, der das Firmament
In kühnem Bogen spannte
Und seine Sonnen sandte,
Der Herrscher ohne End'.

Du grausame Natur,
Drum will ich dich verachten!
Und meiner Seele Trachten
Sei nach dem Höchsten nur!

Sie soll nicht forschen, späh'n,
Sie strecket ihre Waffen
Und lässt Jehovas Schaffen
Stumm über sich ergeh'n.

Der Berg ist mein Altar;
Auf Felsen, grauen, schroffen,
Dem grossen Philosophen
Bring' ich mein Opfer dar.

Sein Schatten ist mir nah',
Es liegt mein Geist im Staube,
Doch felsgleich ist mein Glaube.
An Dich, o Jehova!


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