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Und immer noch kreiste Elisabeths Phantasie um den Tod des »Königsvetters« Ludwig II. im Starnberger See:
Dunkle Nacht, die Wolken hängen
      Grau wie Blei am Himmelsbogen;
      Schwerer Regen fällt in Mengen
      In des Sees schwarze Wogen.
Und mit thränenschweren Zweigen
      steh'n am Strande schwarze Buchen,
      Die sich in die Fluten neigen,
      Wo sie forschen, wo sie suchen.
Nah' dem Ufer, von dem Schlosse
      Kündet's jetzt mit erz'nem Munde
      aus dem obersten Geschosse
      Schlag um Schlag, die zwölfte Stunde.
Eine Möve kommt geflogen,
      (Meine längst verstorb'ne Seele,)
      Und sie kreist in kleinen Bogen,
      Spähend nur nach einer Stelle.
Heller wird es jetzt im Grunde,
      Und die Wasser leuchten, flimmern;
      Aus dem tiefen, nassen Schlunde
      Sieht man eine Krone schimmern,
Und die Wogen ziehen leise
      Von dem Grab der Königskrone
      Immer weiter ihre Kreise,
      Wie der Nachtwind vor der Sonne.
Majestätisch aus der Tiefe
      Schwebt ein Adler jetzt zur Höhe,
      Still und starr, als ob er schliefe,
      Und das grosse Aug' nicht sähe.
 »Königsvetter!« flüstert's leise
      »Hast du mich denn ganz vergessen?
      Sind wir doch vor vielen Jahren
      Seit' bei Seite hier gesessen!
Auf der spiegelglatten Fläche
      Zogen wir im leichten Nachen;
      Und ein Schwarzer sang so drollig,
      Ach! wie herzlich klang dein Lachen!
Von der kleinen Roseninsel
      Kamen tausend süsse Düfte,
      Des Jasmines Wohlgerüche
      Würzten hold die Abendlüfte.
Und am fernsten Seesrande
      Deine Berge, deine Wonne,
      Wie sie rosenrot erglänzten
      In der gold'nen Abendsonne!
Scheinst mich nicht mehr zu verstehen,
      Bargst doch reichen Schatz der Lieder
      Einst im Herz', sag' Königsvetter,
      Wie so nass ist dein Gefieder?«
»Teure Base, nicht vergessen
      Hab' ich jene guten Zeiten,
      Wo wir Aar und Möve spielten,
      Uns vereint des Lebens freuten,
Wo ein lieblich' Reich als König
      Ich beherrschte, stolz und mächtig,
      Konnte mir Paläste bauen,
      Hohe Schlösser, reich und prächtig.
Und mein Leibschloss unter allenSchloß Berg, wo Ludwig II. gefangengenommen wurde.
 Stand, von Säulen leicht getragen,
      Wo, den Menschen fern, die Alpen
      In die freien Lüfte ragen.
Längst geborsten ist die Säule,
      Die ich ahnungsvoll beim Gehen,
      Abschiednehmend noch umschlungen,
      Ach! auf Nimmerwiedersehen!
 Auf den Bergen, in den Wäldern
      Gab ich festliche Gelage;
      In dem Mondschein mich ergehend,
      Lebt' bei Nacht ich, statt bei Tage.
Hier an dieses Sees Ufer
      Steht ein Baum, er war mir heilig;
      Was mir seine Krone rauschte,
      Andern blieb's Geheimnis freilich!
Ja, ich war ein Märchenkönig,
      Sass auf hohem Felsenthrone,
      Schlanke Lilie war mein Scepter,
      Funkelnd' Sterne meine Krone.
Aus den frommen tiefen Thälern,
      Aus den reichen weiten Gauen
      Pflegt' das Volk zu seinem König
      Ehrfurchtsvoll stets aufzuschauen.
Doch das feile Hofgesinde
      Und die Blutsverwandten spannen
      Tückisch, heimlich ihre Netze,
      Und auf meinen Sturz sie sannen.
Schergen sandten sie und Ärzte,
      Den »Verrückten« einzufangen,
      Wie den Edelhirsch der Wilddieb
      Meuchlings fällt mit Strick und Stangen.
»Schliesslich, was ist wohl Verrücktheit?Freies Zitat aus Heine, Reisebilder, Die Bäder von Lucca: »aber die wahre Verrücktheit ist so selten wie die wahre Weisheit, sie ist vielleicht gar nichts anderes als Weisheit, die sich geärgert hat, daß sie alles weiß, alle Schändlichkeiten dieser Welt, und die deshalb den weisen Entschluß gefaßt hat, verrückt zu werden. Die Orientalen sind ein gescheutes Volk, sie verehren einen Verrückten wie einen Propheten, wir aber halten jeden Propheten für verrückt« (Heine 3, 394).
 Thoren gibt's genug und Narren,
      Diese für verrückt zu halten,
      Mag der Welt oft widerfahren.
Selten ist die wahre Weisheit,
      Selt'ner noch Verrücktheit wahre,
      Ja, vielleicht ist sie nichts And'res,
      Als die Weisheit langer Jahre.
 Weisheit, die sich so geärgert
      Ob der Schändlichkeit auf Erden,
      Dass sie weise sich entschlossen,
      Lieber selbst verrückt zu werden.
Den Verrückten als Propheten
      Ehren hoch die Orientalen;
      Aber hier in diesem Lande
      Müssen beide stürzen, fallen.«Laut Eintragung in der aus Elisabeths Besitz stammenden Heine-Ausgabe beschäftigte sich die Kaiserin im Mai 1886 in Ofen eingehend mit diesem Teil der Reisebilder. (Heinrich Heine-Institut, Düsseldorf, Bd. 2 der 22bändigen Heine-Ausgabe von Hoffmann und Campe 1876 ff.)
      Reisebilder. Die Bäder von Luca. H. Heine
Freiheit wollten sie mir rauben,
      Freiheit fand ich in den Fluten;
      Besser hier dem Herz erstarren,
      Als in Kerkerhaft verbluten!
Und als Adlernebelseele
      Komm' ich nächtlich aus dem Grunde;
      Um die teuren Berge dorten
      Zieh' ich dann die stille Runde!«
Sprach's, und schüttelnd vom Gefieder
      Sprühend hellen Silberregen,
      In die schwarzen Wasser nieder
      Schwebt den Alpen er entgegen.