Kaiserin Elisabeth von Österreich
Das poetische Tagebuch
Kaiserin Elisabeth von Österreich

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Zum 19. Geburtstag ihrer jüngsten Tochter Erzherzogin Marie Valerie (»Alpenröslein«) am 22. April 1887 reiste die Kaiserin von Herkulesbad nach Ischl. Ihrem »Zauberberg«, dem Jainzen in Ischl, erzählte sie im folgenden vom Cserna-Tal (»mein Zauberthal«) und der Eisenbahnreise.

Was ich den Salamandern auf dem Zauberberg erzählt.

22. April.

Im fernen Osten liegt ein Thal,
Von hohem Urgebirg umgeben,
Der Fluss durchrauscht's mit lautem Schall,
Um seine Eichen wuchern Reben.

Ein jeder kennt des Tales Namen:
Die Schwefelquellen dort zumal
Vom Nutzen sind sie stets den Lahmen.

Es grüsst von steiler Felsenwand
Die dunkelgrüne schlanke Tanne
Hinab, wo an des Wassers Rand
Sich wiegt die mächtige Platane.

Schon blickt die Sonne auf dies Thal
Mit südlich heiss gefärbter Liebe;
Der Mond versenkt dort seinen Strahl,
Als ob er träumend stehen bliebe.

Betäubend schwer ist fast die Luft,
Wo Millionen Veilchen lauschen,
Um heimlich still mit süssem Duft
Den holden Lenz noch zu berauschen.

Mein Zauberthal hab ich's genannt. –
Doch, als die Mitternacht geschlagen,
Hab' ich die Schwingen ausgespannt
Und liess mich durch die Lüfte tragen.

Und immer höher stieg mein Flug;
– Noch ruhten all' des Waldes Vögel –
So folgt ich einem Wolkenzug,
Der westwärts eilt mit vollem Segel.

Die Erde könnt' ich nicht mehr seh'n;
Sie schien mit wässerigen Lacken
Ein Punkt nur unter mir zu steh'n,
In Grau und Nebel eingeschlagen.

Als es zu dämmern nun begann,
Bemerkt ich einen Silberstreifen,
Viel flaches Land schloss sich daran,
Dies schien er manchmal zu ersäufen.

An seinem Rand da sah ich auch
Durch Hüllen dicker, schwarzer Decken
Aus eklem Dunst und schwerem Rauch
Manch' hohen Kirchturm vor sich strecken.

Dort unterm schwarzen Leichentuch
Da ahnt ich jene grossen Städte
Mit ihrem Elend und Betrug
Und unstillbaren Durst nach Lethe,

Wo grenzenloser Reichtum prasst,
Und rauschend sich die Feste jagen;
Und wo, verhungert und erblasst,
Die Not schon späht nach Rachetagen.

O fort, nur fort aus dieser Näh'!
In jene frischeren Regionen,
Wo ich die Wälder grünen seh'
Und glücklichere Menschen wohnen.

Es grüsst der Sonne goldner Strahl
Bezaubernd schon die weissen Alpen,
Und über manchem stillen Thal
Kreuzt sich ein Zug von muntern Schwalben.

Nun zieh' ich über einen See,
Klar wie ein blaues Seraphsauge,
In das ich bis zum Grunde seh'
Und meine Seele durstig tauche.

Und jetzt bin ich ans Ziel gelangt,
Ich lass mich langsam, langsam nieder;
Nach meinem Berg hat's mich verlangt,
Sein Zauber brachte mich heut' wieder.

Mein grösstes Kleinod hütet er,
Pflegt sorglich drauf herabzuschauen;
Und stürmt es draussen noch so schwer,
Ihm kann ich's ruhig anvertrauen.

Ein Alpenröslein ist es zart, –
Einst bracht der Lenz es in die Wiege;
Und da es heute neunzehn ward,
So kommt es, dass ich hieher fliege.


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