Kaiserin Elisabeth von Österreich
Das poetische Tagebuch
Kaiserin Elisabeth von Österreich

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Was mir der Tegernsee erzählt.

Wie ich heut' im See geschwommen,
Hat der See mir vorgeklagt;
Alles, was ich da vernommen,
Treues Buch, dir sei's gesagt!

»Ja, ich bin herabgekommen,
Seit so manchen hundert Jahr';
Weiter waren meine Ufer,
Selbst noch heut' wird man's gewahr.

Trag ich auch dieselben Berge
Jetzt im Schoss wie dazumal;
Waren sie doch einst bewaldet,
Heute steh'n sie öd und kahl.

Statt der reichgezierten Villen,
Die hier mein Gestad' umsteh'n,
Waren kleine, fromme Hütten
Armer Fischer nur zu seh'n.

Besser waren auch die Fischer,
Ehrlich, arbeitsam und schlicht,
Als das Heer Aristokraten,
Das auf fauler Haut hier liegt.

In den reichen Equipagen
Zieh'n sie prunkhaft mir vorbei,
Damals nahten kluge Hirsche
Meinen Wassern ohne Scheu.

Doch was mir die grösste Kränkung,
– Und ich überwind' sie nicht –
Ist, wie dieses SchlossSchloß Tegernsee war eine ehemalige Benediktinerabtei mit Bräuhaus, im Auftrag König Max' I. Joseph vom Architekten Leo von Klenze im klassizistischen Stil umgebaut. Durch Erbschaft gelangte das Schloß 1875 in den Besitz der herzoglichen Familie. verändert,
Dessen Abbild hier sich bricht.

Einst, vor altersgrauen Zeiten,
War's ein Kloster, stolz und hehr;
Zu den altersgrauen Mönchen
Ging die Weisheit selbst zur Lehr'.

Weisheit war in ihren Köpfen,
In den Bäuchen Klosterbier,
Weitberühmt war die Gelehrtheit
Und der Trunk des Klosters Zier.

Längst verschimmelt sind die Mönche,
Dünn und sauer ward das Bier;
Jene modern in den Grüften,
Dieses wird zu Wasser schier.

In den Marmorcorridoren
Wandeln andre jetzt umher;
Drückt die Dummheit wohl auch manchen,
Doch die Weisheit keinen schwer.

Hier kommt einer schnellen Schrittes,
Dürr und hager schaut er aus,
Über turmhoher Kravatte
Lugt ein kleines Köpfchen 'raus.

Mit der Uhrkett spielt er emsig,
Seine Linke dreht den Stock;
Himmelhoch die Vatermörder,
Altmodern gebaut sein Rock.

Und dies Wesen wie ein Zwitter,
Wie ein eingedörrter Lenz,
Voll Respekt wird's titulieret
In dem Schlosse »Excellenz!«

Ihm am Fusse folgt mit süssem
Lächeln und mit falschem Blick
Ein gemästet, wohlgenährtes,
Kupferrotes Vollmondstück.

Dass auch dieser Ignoramus
S'Henkelchen zum Namen hat,
Schafften ihm die hohen Gönner
Einen Titel; er ward Rat.Bei diesem Familientreffen in Kreuth kam es zu einem schweren Zwist zwischen der Kaiserin und ihren Verwandten, weil ein Arzt der herzoglichen Familie einen im Schloß aufgetretenen Scharlachfall nicht früh genug erkannte und Elisabeth fürchtete, ihre Tochter könne sich angesteckt haben.

Doch den Dritten in dem Bunde
Mit dem Busen wie ein Weib,
Mit den üppig vollen Hüften,
Nennt ihn Hofrat nur bei Leib.

Steh'n des Nachts die Fenster offen,
Klagt mit süssem Liebesweh
Wohl seine Castratenstimme
Rührend über meinen See.

Doch er ist ein grosser Meister,
Der die Kranken nie kuriert;
Nur den alten Schlossjungfrauen
Hühneraugen operiert.

Hühneraugen sind ihm wichtig,
Scharlach übersieht er leicht;
Einen Mühlstein seiner Kehle,
Und mein See wär' noch zu seicht.«


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