Kaiserin Elisabeth von Österreich
Das poetische Tagebuch
Kaiserin Elisabeth von Österreich

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Der Hofball war alljährlich der gesellschaftliche Höhepunkt der Kaiserstadt Wien. Neben den Spitzen der Aristokratie war auch das diplomatische Corps geladen. Die Kaiserin erschien sehr selten bei diesem Fest und wenn, wie im Januar 1887, so zeigte sie ihre Langeweile deutlich.

Hofball.

20. Januar.

Ach! wie endlos lange Stunden
Hab ich, Meister, Dich entbehrt!
Und mein Hirn, wie ward's geschunden
Und mit Blödigkeit genährt!

Doch an der gewohnten Stelle
Weilst Du wieder mir am Bett;
Fröhlich ist mein Geist und helle,
Seit der Deine ihn umweht.

Lass Dir, Meister, nun berichten,
wie den Abend ich verbracht;
Ja, die dummen Hofgeschichten
Währten weit bis in die Nacht.

In dem goldbrokatnen Kleide,
Reich mit Zobelpelz verbrämt,
Eine Krone als Geschmeide
Und das Haar antik gekämmt,

Schritt ich feierlich gemessen,
Mir zur Seite der Gemahl,
Wie sich's ziemt solch extra Wesen,
In den lichtdurchstrahlten Saal.

Und der Chef der Ceremonien
Mit dem Stab stolziert voran,
Klopfet laut in allen Tonien:
Aufgepasst! das Fest geht an!

Gnädig thaten wir verneigen
Uns vor einem Menschenmeer,
Dazu klangen Strauss'sche Geigen
Oben vom Orchester her.

In des Rittersaales Mitte
Stand das Corps diplomatique;
– Bei dem Hofball ist's so Sitte,
Und man übt da sein Geschick. –

Diplomatisch, höchst verbindlich
Und in jeder Sprache Ton,
Sehr naiv oft und auch kindlich
Fliesst diese Conversation.

Priester zwar, doch gar nicht schofel,
Steht der Nonce gleich an der Tête;Monsignore Vannutelli, Vertreter des Heiligen Stuhles in Wien.
Küssend des Saint Père's Pantoffel,
Frag' ich, wie's zu Rom ihm geht.

»Ach, welch' Freud', Prinz Reuss zu blicken!Prinz Heinrich VII. Reuß war deutscher Botschafter in Wien. Die Kaiserin warf der deutschen Politik vor, den österreichisch-ungarischen Bündnispartner zu übervorteilen, gab daran aber vor allem der Schwäche der Außenpolitik unter Graf Gustav Kálnoky die Schuld (Hamann, 531-538).
Übern Löffel man barbiert
Kálnoky, den kleinen, dicken,
In Berlin ganz ungeniert.

Und die wichtigen Traktate,
die AndrassyDer frühere k.u.k. Außenminister Graf Gyula Andrássy, mit dem die Kaiserin eine lebenslängliche Freundschaft verband, hatte 1879 mit Bismarck den Zweibundvertrag zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich geschlossen, warf aber nun seinem Nachfolger Kálnoky vor, diesen Vertrag durch zu große Unterwürfigkeit gegenüber Bismarck verfälscht zu haben (Hamann, 536 ff). einst gemacht,
Hat, wenn ich nicht falsch errate,
Bismark heimlich umgebracht.«

»Denken Sie noch, Prince Labánoff,
An die Tage in Kremsier,Fürst Alexis Lobanow-Rostowski, russischer Botschafter in Wien. Die Kaiserin war von der Sinnlosigkeit des Freundschaftstreffens zwischen dem österreichischen und dem russischen Herrscherpaar 1885 in Kremsier überzeugt (s.S. 76 f.).
Wo wir an dem Kardinalshof
Lebten flott und in Plaisir?

Ja, wir krochen Ihrem Zaren
In die Nasenlöcher schier;
Und doch thut er sich gebaren
Gegen uns jetzt, wie ein Tier.

Über dieses Demenieren
Ihres Eisbars dort am Thron
Haben hier bereits laxieren
Alle unsre Helden schon."

»Meine Schwester, dear Sir Paget,Sir Augustus Paget, Botschafter Großbritanniens in Wien. »Meine Schwester«-Königin Victoria.
Was treibt sie in Great Britain?
Ihre Politik ist ragged,
Schlecht'res hat man nie geseh'n.

Für den Prinz Consorten weilandAlbert Prinz von Sachsen-Coburg-Gotha, der Prinzgemahl der Königin Victoria, war 1861 gestorben.
Trägt sie immer noch den Flor?
The maltreated ›Emerald Island‹,Irland, dessen starke anti-englische Ressentiments Elisabeth von einigen Reitaufenthalten gut kannte.
Setzt's ihr noch den Floh ins Ohr?«

»In dem Lande der Verräter,
Wo der Tiber klassisch fliesst,
Wo den ewig blauen Äther
Träumrisch die Cypresse grüsst,

An des Mittelmeers Gestaden,
Cher comte Nigra,Der italienische Botschafter Graf Constantino Nigra. Trotz des seit 1882 bestehenden Dreibundvertrages war die Kaiserin nicht von der Bündnistreue Italiens überzeugt. lauert man,
Uns zu zwicken in die Waden,
Geht der Krieg mit Russland an.«

»Meinen Schwager und Verwandte
Jagten sie aus der Belle France,Wahrscheinlich Napoleon III. und Eugénie gemeint (»Schwager« also nicht im verwandtschaftlichen Sinn). Das Haus Orléans versuchte immer wieder eine Restauration in Frankreich.
Sagt mir wohl der Herr Gesandte,
Fürchten sie schon Orleans?«

»Servus, kleines Jammerwesen
Unter hohem roten Fez,
Bis Ihr nicht komplett verwesen,
Dürft Ihr zappeln noch indes.

Allahs Macht kennt keine Massen,
Mahomet ist sein Prophet,
So allein kann man es fassen,
Dass ihr Türken noch besteht.«Türkei, der sprichwörtliche »kranke Mann am Bosporus«.

»München schwelget jetzt in Festen,
Wie ich aus der Zeitung seh',
Vor dem Prinz Regent, dem Besten,
Schweifeln Sie ja auch, Graf Bray!Otto Graf Bray-Steinburg. bayrischer Gesandter in Wien. Der »Prinzregent« Luitpold führte die Regierungsgeschäfte für den irrsinnigen König Otto nach dem Tod Ludwigs II. (s. S. 207f.).

Fackelzüge, Hofkoncerte,
Und was noch dergleichen mehr;
Und doch kürzlich in die Erde
Ward versenkt erst Bayerns Herr.«

»Guten Abend, Herr Gesandte,Sächsischer Gesandter in Wien war Oskar von Helldorf. Der jüngere Bruder König Alberts von Sachsen, Prinz Georg, war als mäßiger Reiter bekannt.
Wahre Freude ist es mir,
Dass durch Sie dem Sachsenlande
Herzlich heut' ich gratulier'!

Von dem Pferd, wie man hier sagte,
Fiel Ihr Prinz jüngst in den Schnee;
Dass er sich hinauf noch wagte,
Darob staunt dort die Armee.«

»Don Mery del Val wird's wissen,Don Raphael Merry del Val, spanischer Botschafter in Wien. Für den nach dem Tod seines Vaters König Alphons XII. 1886 posthum geborenen Alphons XIII. führte seine Mutter, die Habsburgerin Maria Christina, die Regentschaft.
Ob die Majestät geruht,
In die Windeln oft zu p...n,
Und was Spanien sonst noch thut?«

»Gute Nachricht von Brasilien,In Brasilien herrschte Kaiser Pedro II. (1825–1889). Durch seine Mutter Maria Leopoldina, eine Tochter Kaiser Franz I. (II.), war Pedro ein Vetter Kaiser Franz Josephs. Pedro II., der ein sehr gebildeter Mann war, wurde in Wien häufig abschätzig beurteilt, wie auch hier von Elisabeth.
Was treibt dort der Empereur?
Nah' verwandt sind die Familien,
Schon von alten Zeiten her.

Ist es wahr, dass er verstohlen
Wenn von Arbeit recht verhetzt,
Sich im Urwald zu erholen,
Zu Cousins auf Bäume setzt?«

»Leopold, dem Belgier König.König Leopold II. der Belgier (1835–1909) war der Vater von Kronprinzessin Stephanie. Graf L. de Jonghe d'Ardoye war belgischer Gesandter in Wien.
Wünsch', Graf Jongh, ich Wohlergeh'n,
Freu mich innigst, dass so wenig,
Unberufen, wir uns seh'n.«

Dänemark ... was soll ich sagen,König Christian IX. von Dänemark (1818–1906) war durch seine Tochter Alexandra der Schwiegervater des englischen Thronfolgers Albert Eduard (des späteren Königs Eduard VII.), durch Dagmar (Kaiserin Maria Feodorowna) Schwiegervater des russischen Zaren Alexander III. und durch Tyra Schwiegervater des Herzogs Ernst August von Cumberland.
Fällt mir grade gar nichts ein;
Nach den Schwiegersöhnen fragen,
Kann den Kong doch nicht erfreu'n.

Schweden, o, da geht's schon besser!
Sieht man ordentlich mit Neid,
Wie, dort über dem Gewässer,
Glücklich sind die braven Leut'.

Könnt' ihr Herrscher stolz gestehen,
Dass Millionen er erspart,
Freilich fehlen dort Armeen
Und Kanonen aller Art.

Seh' ich von den lieben flachen
Dünen den Ambassadeur,
Wills wie Heimweh mir erwachen,
Und ich fühle Mal au Coeur.

Meine Möven lass ich grüssen!
Ach! im Geiste freilich nur;
Denn solch' Diplomaten missen
Höh'ren Schwunges jede Spur.

»Schweizer, Ihr Gebirg ist herrlich!
Ihre Uhren gehen gut;
Doch für uns ist höchst gefährlich
Ihre Königsmörderbrut.«Anspielung auf die Anarchistengefahr in der Schweiz, der die Kaiserin ja selbst 1898 zum Opfer fallen sollte.

Schliesslich preis' ich noch voll Liebe
Aller Gauner Zufluchtsort,
Sichre Stätte aller Diebe,
Der modernen Freiheit Hort!Amerika.

Glücklich hab' ich absolvieret
Nun »le gros de la menagerie«;
Denn, was sich am End dort rühret,
ist blos Vierfüsslergenie.

Kleine, gelbe Japanesen,
Affenartig und verschmitzt,
Und zwei runde Stockchinesen
Mit den Augen krummgeschlitzt.

Langsam lass ich mich nun nieder,
Wo, von Blumenduft umweht,
Unter Palmen, unter Flieder,
ein rotsammtner Divan steht.

Doch mein Körper nur, der rastet;
Denn mein vielgeplagter Geist
wird noch ärger jetzt belastet
Und mit Wiener Tratsch gespeist.

Nah'n ja doch die höchsten Namen
Unsrer Aristokratie,
Sternkreuz- und Palastes Damen;
(Fett und meistens dumm sind sie).

»O, ich kenn' Euer Gebaren!
Weiss, wie Ihr mich schwer geschmäht
Schon seit meinen Jugendjahren
Und Euch fromm dabei verdreht.

Ja, auf andere die Steine
Werfen könnt Ihr meisterlich!«
Unter falschem Heil'genscheine
Thut man dann so gütlich sich.

Während kreischend sie parlieren
Und ihr böhmisch Deutsch erklingt,
Fühl' ich meine Blicke irren,
Wo der Tanz das Zepter schwingt.

Duftig weiss wie eine Nixe,
schwebt mein Püppchen dort umher,Die jüngste Kaisertochter, Erzherzogin Marie Valerie, mit ihrem späteren Ehemann, Erzherzog Franz Salvator.
Macht dazwischen tiefe Knickse
In dem Tanze des Lanciers.

Reicht sie aber jenem schlanken
Knaben dort die Hand zum Tanz,
Dann verrät sich ihr Gedanken
Durch des Auges tiefern Glanz.

Zagend halb und halb entschlossen,
Legt er ihr jetzt in den Schoss
Einen Strauss von frischen Rosen;
Mit dem Köpfchen nickt sie blos.

Doch aus meiner tiefsten Seele
Ringt sich flehend ein Gebet,
In des Höchsten Schutz empfehle
Ich, was in der Zukunft steht.

Doch der Chef der Ceremonien
Kündet jetzt: das Fest ist aus. –
All ihr Fürsten und Baronien,
Prinzen, Grafen, geht nachhaus!

Mit dem Stab thut er es künde,
Dass ihr euch nun fortbewegt;
Mit dem Schlag der zwölften Stunde
Sei der Unrat weggefegt.

Seufzend von dem müden Haupte
Nehm' die Krone ich herab;
Wie viel gute Stunden raubte
Heut' der Ceremonienstab!

Auf das funkelnde Geschmeide
Blick' ich lange sinnend noch;
Andern wär' es höchste Freude,
Mir ist's nur ein schweres Joch.

Das dort sind meine Juwelen,
Deine Worte, Deine Schrift,
All' die tausend süssen Stellen,
Die Du in mein Herz vertieft!

Und nun, Meister, lass' mich steigen
Hinter Dich aufs Flügelross;
Lass' es rauschend aufwärts fleuchen
In des Traumlands Nebelschoss!


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