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76

Als Elisabeth und Heinrich Bremer sich in später Nachtstunde dem Pfarrhause näherten, bemerkten sie nur noch Licht in Gondelinas Zimmer.

»Sie meint, daß ihr Vater sich bös verritten hätte, und in der Stille bereitet sie sich auf einen Abschied vor. Dann werde auch ich nicht länger hier bleiben können, Heinrich.«

»Wenn wir uns vorher noch trauen ließen?«

»Könntest du das wirklich wünschen? Nun ja, ich würde vielleicht mit Frau Kurz und Frau Kniebel ein Lesekränzchen gründen –«

Er mußte lachen. »Du hast recht, ich werde im Sommer zu deinen Eltern kommen. Aber meinst du tatsächlich, daß Eschels –? Er scheint mir neuerdings wieder zuversichtlicher.«

Elisabeth zuckte die Achseln. »Seine Tochter ist's nicht.« –

Daß die Wächter des alten Morsum ihr gewichtiges Schreiben an den Bischof abgesandt, hatte Pastor Eschels einwandfrei sicher durch seine Neffen erfahren, die diese Kundschaft wiederum ihren Schwiegermüttern verdankten. Es erfolgte zunächst nichts, und so regte sich in Eschels erst leise, dann immer stärker die Hoffnung, daß der Bischof die ganze Beschwerde als belanglose Nichtigkeit auf sich beruhen lassen würde. Ende Februar aber kam doch noch ein Brief des Bischofs, der Eschels nach Kiel rief.

»Ich wollte Sie nicht meinem Vertreter übergeben, sondern wollte selbst mit Ihnen sprechen. Ich war aber lange krank, so verzögerte sich mir die Angelegenheit. Nun bitte ich Sie, noch in dieser Woche zu kommen. Mir ist bitter leid, daß Sie zu so viel Klage Anlaß gegeben haben und zerstörten, wo Sie hätten aufbauen sollen. Die evangelischen Kirchen dürfen sich keine Experimente erlauben – heute weniger denn je.«

»Er stammt aus Schlesien, hat ein Jahrzehnt in Breslau amtiert, so kennt er unsere Leute nicht«, sagte Eschels unbekümmert zu seiner Tochter. »Weshalb ärgert dich dies alles? Ich muß es ihm nur erklären.« Er war guten Mutes.

Doch als er dann hinüberreiste und zum Bischof kam, mußte er bemerken, daß der hohe Herr nicht nur krank gewesen, sondern ganz entschieden es auch heute noch war. Er hatte einen Konsistorialassessor neben sich.

»Sie müssen entschuldigen, daß ich Sie nicht allein empfangen kann. Mein Kopf will noch nicht wieder. Der Herr Assessor wird die Schrift Ihrer Gemeinde verlesen, und Sie werden die Güte haben, bei jedem Punkt Ihr Ja oder Nein zu geben. Sollte es wirklich zum Ärgsten kommen müssen, so werden Sie später selbstverständlich noch einmal Gelegenheit zur Verteidigung erhalten –«

Eschels verbeugte sich zustimmend. In Anbetracht von des Bischofs Schwäche und leidendem Zustand erschien ihm selbst dies als das richtigste Verfahren.

»Zunächst aber«, fuhr der Bischof mit Anstrengung fort, »möchte ich noch eine Vorfrage tun: weshalb bewarben Sie sich nicht um eine andere Pfarrstelle, wie Ihnen doch durch den Propst nahegelegt wurde?«

»Weil«, entgegnete Eschels immer noch sorglos, »weil ich diese Anregung zunächst nicht ganz ernst nehme – nicht ernst nehmen will. Es steht nur ein geringer Teil meiner Gemeinde dahinter; ich kenne jeden einzelnen. Die andern lassen sich mitziehen, leider auch der Gemeindevorsteher selbst. Er ist mir persönlich zugetan, aber seine wirtschaftlichen Verhältnisse stehen augenblicklich nicht zum besten. So strebt er immer danach, Erhöhungen seiner Bezüge zu erreichen, und wer ihm verspricht, dafür zu stimmen, hat ihn in der Tasche. Ich denke aber auch: Es friert sich wohl wieder zusammen auf alter Herdstelle. Wenn der Dammbau beendet sein wird und die Arbeiter abziehen, was in wenigen Monaten ja geschehen muß, dann werden die Morsumer sich bald wieder beruhigen. Sie sind immer etwas hart im Gebiß gewesen, wo die Kirche sie zu zügeln versuchte, Herr Bischof. In vorlutherischer Zeit duldeten sie keine unverheirateten Priester, weil sie die Ehelosigkeit an sich für unmenschlich hielten. Jetzt lehnen sie das apostolische Glaubensbekenntnis einmütig ab, weil es sich mit ihrem gesunden Menschenverstand nicht vertrüge. Und nun wollen sie auch noch einen Papst im Pfarrhause haben, der vor Heiligkeit stinkt –«

»Ich bitte – wäre nicht besser, Herr Pastor, wir beschäftigten uns mehr mit den eigenen Fehlern als mit den Sünden der lieben Nächsten?«

»Oh«, machte Eschels verwundert, »ich rechne ihnen das nicht als Sünde. Im Gegenteil!«

»Im Gegenteil –« wiederholte der Bischof verletzt, »stimmen Sie in der Ablehnung des apostolischen Glaubensbekenntnisses etwa auch mit Ihren Pfarrkindern überein?«

»Ich nicht!« antwortete Eschels schnell. »Aber um den Morsumern meine Auffassung mitteilen zu können, dazu fehlt es ihnen leider gar zu sehr an geschichtlichen Kenntnissen.«

»Gelegentlich meines Besuches bei Ihnen äußerten Sie eine höhere Meinung von der Denkfähigkeit Ihrer Pfarrkinder.«

»An dieser Meinung halte ich durchaus fest. Aber zwischen ihrem natürlichen Verstande und dem Rüstzeug historischer Kenntnisse klafft ihnen leider eine weite Lücke –«

Der Bischof seufzte.

»Beginnen wir!« sagte er matt.

Inzwischen hatte der Assessor das umfangreiche Schriftstück wieder und noch einmal hin und her gewälzt.

»Vielleicht dürfte geraten sein, daß ich die einzelnen Punkte nur kurz zusammenfasse, anstatt die langen und vielfach gewundenen Sätze zu verlesen?« Und da beide Herren auch hierzu ihre Zustimmung gaben, begann er: »Da wird von neuem der Fünfzigdollarschein erwähnt.«

»Ja, ich nahm ihn der Frau ab, um ihn für sie zu bewahren. Als der Sohn ihn von mir forderte, gab ich ihn natürlich sogleich heraus.«

»Haben Sie eine Quittung darüber?«

»Das braucht's unter Morsumern nicht.«

»Also keine Quittung. Weiter werden tausend kleine Ärgerlichkeiten angeführt: daß Sie nicht aufzufinden waren, als der frühere Gemeindevorsteher ertrank und seine Angehörigen Sie zur Witwe riefen; daß Sie über die Spundwand nach dem Festland spazierten, während daheim eine Sterbende nach Ihnen verlangte. Dann fährt der Schreiber fort: ›Als mein Sohn zum Abendmahl in der Kirche blieb, hat Pastor zu ihm gesagt, er sollte näher an den Altar rücken. Er saß auf dem Platz, auf dem ich immer sitze; Auf dem mein Vater vor mir gesessen und sein Vater vor ihm. Er ist mein ältester Sohn. Er hat wohl das Recht, da zu sitzen, und braucht nicht näher an den Altar zu rücken.‹«

»Es ist nicht der Schreiber selbst, der so spricht«, antwortete Eschels lächelnd, denn er sah Holm-Peters vor sich in dieser Ausdrucksweise und hatte doch längst Abrumeits Handschrift auf den Blättern erkannt. Dann aber fuhr er ernster fort: »In allen drei Fällen bekenne ich mich schuldig, wie ich überhaupt glaube, daß mein Lehramt mich dem praktischen Pfarramt in mancher Hinsicht vielleicht entfremdet hatte –«

»Weshalb denn drängten Sie sich hier ein?« fragte der Bischof schroff. Peter Boy Eschels sah auf und sah ihn an, sah seine kranke Schwäche, sah aber auch, wie landfremd er war. Ihm schien unmöglich, die Irrgänge seiner Seele ihm klarzulegen. So antwortete er nur: »Weil ich Morsumer bin.«

»Sie sollen«, fuhr der Assessor eintönig fort, »stark dem Trunke zuneigen – verzeihen Sie, wenn ich diese drei Seiten weitschweifenden Geredes auf die kürzeste Formel bringe.«

»Seit ich das Guttemplergelöbnis unterzeichnete, ist kein Tropfen Wein über meine Lippen gekommen.«

»Trotzdem wird behauptet, daß Sie am Heiligabend betrunken auf die Kanzel gekommen wären; bekennen Sie sich auch hierin schuldig?«

»Durchaus nicht!« entgegnete Eschels entrüstet. »Ich war lediglich übermüde, das veranlaßte mir ein zweimaliges Versprechen.«

»Übermüde – es wird hier angegeben, daß Sie die ganze heilige Woche hindurch von einem Gelage ins andere taumelten. Daß Sie auch am 23. Dezember noch das Haus voll betrunkener Gäste gehabt hätten.«

»Voller Gäste – ja. Betrunken – nein. Den paar Gläsern Wein, die ich ihnen vorsetzte, waren die Herren noch immer gewachsen.«

»Welche Herren?«

»Die vom Dammbau. Ich zog sie absichtlich in mein Haus, um auch zwischen ihnen zu vermitteln, wo es nottat. Mir lag daran, den Bau zu fördern, schnell zu fördern, um die neue Zeit auf Sylt einzuführen, solange ich noch lebe und Einfluß üben kann.«

»Dies aber gerade scheint Ihren Einfluß vermindert zu haben, wenigstens klagt Ihre Gemeinde hierüber am meisten: daß Sie stets und ständig mit den Fremden Umgang pflegten, ja sich ihnen sogar aufdrängten. Es werden Äußerungen der Herren angeführt, aus denen hervorgeht, daß ihnen Ihre Anwesenheit auf den Bauplätzen nicht immer angenehm war. Die Arbeiter sollen Sie endlich ganz abgelehnt, die mittleren Beamten Sie geradezu vom Bau verwiesen haben.«

»Dies war allein Steinhof und seine Hetze! Hier aber müßte ich als Kläger auftreten, nicht als Beklagter. Er hatte kein Recht, mich ›namens der Verwaltung‹ vom Platz zu weisen.«

»Weshalb traten Sie denn nicht gegen ihn auf? Weshalb verklagten Sie ihn nicht oder brachten die Klage vors Landeskirchenamt? Weil er sich ein Bein brach – hm, oder aber weil Sie seinem Kinde ohne jeden Grund die Taufe verweigert hatten und nun fürchten mußten, Ihr Vergehen könnte gelegentlich der Klage auch noch ans Tageslicht kommen?«

»Das ist eine ganz und gar böswillige Verdrehung der Tatsachen«, begann Eschels erregt. Doch der Bischof hob die Hand.

»Ich bin am Ende meiner Kraft. Beschränken wir uns also auf die einfache Feststellung der Vorgänge, Herr Pastor. Haben Sie die Taufe vollzogen?«

»Er hatte sie mir nicht ordnungsgemäß angekündigt.«

»Das Gegenteil wird behauptet. Haben Sie die Taufe vollzogen?«

»Nein.«

»Nun, Sie werden ja noch Gelegenheit erhalten, sich eingehend zu verteidigen.«


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