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9

Der Herbst wurde naß und stürmisch. Dabei schwere Gewitter bis spät in den November hinein; standen sie auch nicht direkt über der Insel, so brachten sie doch häßliches Wetter, viel Regen und Wind. Der Pastor von Westerland erkrankte. Er bat Eschels, ihm den Konfirmandenunterricht abzunehmen. Eschels sprach es ihm zu, obgleich er wußte, daß seine Morsumer ihn als ihr persönliches Eigentum ansahen, das sie nicht gewillt waren, in andere Pfarren auszuleihen. In jeder Woche einmal wanderte er nun gegen strömenden Regen, gegen harten Wind an elf Kilometer über freies Land.

An einem dunklen Tage, spät im November, war der Sturm so hart ihm entgegen, daß Eschels nur unter größter Anstrengung Westerland erreichen konnte. Er war so erschöpft, daß er den Unterricht auf den Nachmittag verlegen mußte, und sich einen Wagen bestellte, der ihn danach heimbringen sollte. Der Wagen kam nicht. Die große Strandmauer vor Westerland war eingebrochen, alle verfügbaren Kräfte dort beschäftigt, vor der See zu bergen, war irgend noch gelingen konnte. Auch telefonisch konnte Eschels Morsum nicht mehr erreichen, alle Drähte auf der Insel waren zerrissen vom Sturm.

Er traf Bekannte, mit denen er abends noch lange bei einem Glase Bier saß, Neuigkeiten aus Deutschland gierig in sich aufnehmend. Nicht nur hatte das Deutsche Reich den Syltern den Eisenbahndamm durchs Watt versprochen – es hatte auch den Rodenäsern sein Wort gegeben, sie durch eine Bahn mit Niebüll zu verbinden, falls Tondern dänisch werden sollte. Mit dem Bau dieser Bahn wurde wahrhaftig drüben auf dem Festland begonnen.

Als Eschels am folgenden Mittag heimkehrte, kam ihm seine Tochter mit weißem Gesicht entgegen.

»Volquart Claasen ist ertrunken –«, und er hörte, ob sie die Worte auch nicht aussprach, ihre Angst: so fürchtete ich, daß auch du etwa vom Wege abgekommen und ertrunken seist. Er drückte ihr schweigend die Hand, wandte sich und ging zu seiner Schwester. Vorm Hause traf er die Schwiegertochter.

»Gestern abend hättet Ihr kommen sollen, da verlangte sie nach Euch«, sagte Frau Rasmus Claasen böse.

»Ich war in Westerland.«

»Wohl, Ihr mußtet ja beim Biere sitzen. Immer lauft Ihr nach Westerland. Ihr seid doch unser Pastor.«

Er zuckte nur die Achseln, ohne sich weiter mit der erregten Frau einzulassen, ging zu seiner Schwester in die Stube, und da sie ihn nicht beachtete, setzte er sich neben sie und nahm ihre Hand.

»Wie ist es denn geschehen, Lene?« fragte er, doch sie antwortete nicht, und Frau Rasmus Claasen, die nun auch hereinkam, sagte hart: »Jee, wie so was eben geschieht: die Flut sprang schneller hoch, als er wohl gedacht hatte. Er ging hinaus, das Vieh heimzuholen, und kam nicht wieder.«

»So wißt Ihr nichts Sicheres?« fragte Eschels eifrig, und eine unvernünftige Hoffnung klopfte an sein Herz. Doch nun war es seine Schwester selbst, die antwortete:

»Cäcilie Hansen hat ihn gesehen.«

Cäcilie Hansen war die Hexe des Dorfes, der man allgemein übernatürliche Kräfte zutraute. Pastor Eschels trat zornig mit dem Fuß auf.

»Wie kannst du auf solchen Unfug hören, Lene! Ihr solltet lieber nach ihm suchen.«

»Geik und Rasmus sind draußen. Mag sein, daß die Flut ihn im Katrevel heraufträgt.«

Es waren nicht nur die Söhne des Vermißten draußen, es waren alle Männer des Dorfes mit der Suche beschäftigt nach altem Brauch, und als der Sturm gegen Abend nachließ, fanden sie Volquart Claasen und brachten ihn heim. Pastor Eschels griff auch zu, half den Toten waschen und betten; tröstete Frau, Kinder und Enkel, gab sich ihnen ganz hin. Aber er spürte dennoch, wie sie ihm alle nicht verziehen, daß er gestern abend in Westerland beim Bier gesessen und heute seine Schwester hart angefahren hatte, da sie auf Cäcilie Hansen vertraute. –


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